Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.Die Zeitungen brachten nach einigen Tagen eine Nachricht über den Besuch des Asyles. Die Zahl hatte in den ersten Tagen zwischen eins und fünf geschwankt, dann war sie schnell gestiegen. Im Monat April haben nach dem letzten Ausweis achthundertvierundachtzig Personen in dem Asyle Zuflucht gesucht; am ersten sechsundzwanzig, am zweiten achtundzwanzig, am dritten neunundzwanzig, am vierten fünfunddreißig. Das Bedürfniß dafür ist also im hohen Grade vorhanden und man denkt jetzt auch bereits an die Vermehrung dieser Anstalten für Berlin -- so für Frauen als für Männer. Da die Comite-Mitglieder es sich zur Pflicht gemacht haben, abwechselnd die Aufsicht in je einer Nacht zu führen, hatte ich meinen vorhin erwähnten Freund gebeten, mir gelegentlich Auskunft über die Verhältnisse der Personen zu verschaffen, die sich zuerst in das Asyl flüchten würden. Einzelne dieser Angaben, wie die Hausverwalter sie erfahren und angegeben haben, setze ich hierher, um dem nur zu verbreiteten Vorurtheile zu begegnen, daß es in der Regel nur selbstverschuldetes Elend sei, welches den Menschen bis zur Obdachlosigkeit hinunter bringen könne. Eine der ersten Obdach suchenden Frauen war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin. Sie hatte keine Angehörigen mehr und hatte sich mit Stricken, das sehr schlecht bezahlt wird, eben nur vor dem Verhungern schützen können. Eines Abends, als sie ausgegangen war, Die Zeitungen brachten nach einigen Tagen eine Nachricht über den Besuch des Asyles. Die Zahl hatte in den ersten Tagen zwischen eins und fünf geschwankt, dann war sie schnell gestiegen. Im Monat April haben nach dem letzten Ausweis achthundertvierundachtzig Personen in dem Asyle Zuflucht gesucht; am ersten sechsundzwanzig, am zweiten achtundzwanzig, am dritten neunundzwanzig, am vierten fünfunddreißig. Das Bedürfniß dafür ist also im hohen Grade vorhanden und man denkt jetzt auch bereits an die Vermehrung dieser Anstalten für Berlin — so für Frauen als für Männer. Da die Comité-Mitglieder es sich zur Pflicht gemacht haben, abwechselnd die Aufsicht in je einer Nacht zu führen, hatte ich meinen vorhin erwähnten Freund gebeten, mir gelegentlich Auskunft über die Verhältnisse der Personen zu verschaffen, die sich zuerst in das Asyl flüchten würden. Einzelne dieser Angaben, wie die Hausverwalter sie erfahren und angegeben haben, setze ich hierher, um dem nur zu verbreiteten Vorurtheile zu begegnen, daß es in der Regel nur selbstverschuldetes Elend sei, welches den Menschen bis zur Obdachlosigkeit hinunter bringen könne. Eine der ersten Obdach suchenden Frauen war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin. Sie hatte keine Angehörigen mehr und hatte sich mit Stricken, das sehr schlecht bezahlt wird, eben nur vor dem Verhungern schützen können. Eines Abends, als sie ausgegangen war, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="74"/> Die Zeitungen brachten nach einigen Tagen eine Nachricht über den Besuch des Asyles. Die Zahl hatte in den ersten Tagen zwischen eins und fünf geschwankt, dann war sie schnell gestiegen. Im Monat April haben nach dem letzten Ausweis achthundertvierundachtzig Personen in dem Asyle Zuflucht gesucht; am ersten sechsundzwanzig, am zweiten achtundzwanzig, am dritten neunundzwanzig, am vierten fünfunddreißig. Das Bedürfniß dafür ist also im hohen Grade vorhanden und man denkt jetzt auch bereits an die Vermehrung dieser Anstalten für Berlin — so für Frauen als für Männer.</p> <p>Da die Comité-Mitglieder es sich zur Pflicht gemacht haben, abwechselnd die Aufsicht in je einer Nacht zu führen, hatte ich meinen vorhin erwähnten Freund gebeten, mir gelegentlich Auskunft über die Verhältnisse der Personen zu verschaffen, die sich zuerst in das Asyl flüchten würden. Einzelne dieser Angaben, wie die Hausverwalter sie erfahren und angegeben haben, setze ich hierher, um dem nur zu verbreiteten Vorurtheile zu begegnen, daß es in der Regel nur selbstverschuldetes Elend sei, welches den Menschen bis zur Obdachlosigkeit hinunter bringen könne.</p> <p>Eine der ersten Obdach suchenden Frauen war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin. Sie hatte keine Angehörigen mehr und hatte sich mit Stricken, das sehr schlecht bezahlt wird, eben nur vor dem Verhungern schützen können. Eines Abends, als sie ausgegangen war, </p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0084]
Die Zeitungen brachten nach einigen Tagen eine Nachricht über den Besuch des Asyles. Die Zahl hatte in den ersten Tagen zwischen eins und fünf geschwankt, dann war sie schnell gestiegen. Im Monat April haben nach dem letzten Ausweis achthundertvierundachtzig Personen in dem Asyle Zuflucht gesucht; am ersten sechsundzwanzig, am zweiten achtundzwanzig, am dritten neunundzwanzig, am vierten fünfunddreißig. Das Bedürfniß dafür ist also im hohen Grade vorhanden und man denkt jetzt auch bereits an die Vermehrung dieser Anstalten für Berlin — so für Frauen als für Männer.
Da die Comité-Mitglieder es sich zur Pflicht gemacht haben, abwechselnd die Aufsicht in je einer Nacht zu führen, hatte ich meinen vorhin erwähnten Freund gebeten, mir gelegentlich Auskunft über die Verhältnisse der Personen zu verschaffen, die sich zuerst in das Asyl flüchten würden. Einzelne dieser Angaben, wie die Hausverwalter sie erfahren und angegeben haben, setze ich hierher, um dem nur zu verbreiteten Vorurtheile zu begegnen, daß es in der Regel nur selbstverschuldetes Elend sei, welches den Menschen bis zur Obdachlosigkeit hinunter bringen könne.
Eine der ersten Obdach suchenden Frauen war eine fünfundsiebenzigjährige Greisin. Sie hatte keine Angehörigen mehr und hatte sich mit Stricken, das sehr schlecht bezahlt wird, eben nur vor dem Verhungern schützen können. Eines Abends, als sie ausgegangen war,
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