Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

weil sie mit sich selber nchts anzufangen und ihrem Manne den einsamen Abend in dem eigenen Hause nicht auszufüllen wußten. Ich habe einmal neben einer solchen Frau gesessen, die für Alles und Jedes lebte, nur nicht für die Familie, deren Heiligkeit sie stets im Munde führte, und habe sie klagen hören, wie die Sorgen für die Kinder, welche unter der Obhut einer guten Wärterin wohl aufgehoben waren, doch recht groß und vielfach "absorbirend" wären. Und neben uns stand ein unschönes alterndes Mädchen, die Musiklehrerin der ältesten Kinder des Hauses. Sie hielt den jüngsten Knaben der Familie, einen schönen, zweijährigen Jungen, auf dem Arm; sie war den ganzen kalten Wintertag in Schnee und Regen umhergelaufen, um ihre Lehrstunden an den vier Enden der großen Stadt zu geben, und den Knaben an ihr Herz drückend und küssend, sagte sie zu mir, während ihre seelenvollen Augen leuchteten: "Gott! wenn man sich solch ein Kind kaufen könnte, wie wollte man dafür arbeiten!" -- Wo war in diesem Falle die wahre Weiblichkeit, bei der Gattin und Mutter, die ihre Muße für Nichtigkeiten verwendete, oder bei dem armen emancipirten Mädchen, das wie ein Mann um des Lebens Nothdurft kämpfte, das früh und spät zu Fuß und unbegleitet durch die entlegensten Straßen gehen mußte, das von seiner schweren Arbeit dem Staate seine Steuer redlich zahlte und das in aller seiner Arbeit und Sorge noch das Herz hatte, für ein Kind arbeiten und leben zu wollen?

weil sie mit sich selber nchts anzufangen und ihrem Manne den einsamen Abend in dem eigenen Hause nicht auszufüllen wußten. Ich habe einmal neben einer solchen Frau gesessen, die für Alles und Jedes lebte, nur nicht für die Familie, deren Heiligkeit sie stets im Munde führte, und habe sie klagen hören, wie die Sorgen für die Kinder, welche unter der Obhut einer guten Wärterin wohl aufgehoben waren, doch recht groß und vielfach »absorbirend« wären. Und neben uns stand ein unschönes alterndes Mädchen, die Musiklehrerin der ältesten Kinder des Hauses. Sie hielt den jüngsten Knaben der Familie, einen schönen, zweijährigen Jungen, auf dem Arm; sie war den ganzen kalten Wintertag in Schnee und Regen umhergelaufen, um ihre Lehrstunden an den vier Enden der großen Stadt zu geben, und den Knaben an ihr Herz drückend und küssend, sagte sie zu mir, während ihre seelenvollen Augen leuchteten: »Gott! wenn man sich solch ein Kind kaufen könnte, wie wollte man dafür arbeiten!« — Wo war in diesem Falle die wahre Weiblichkeit, bei der Gattin und Mutter, die ihre Muße für Nichtigkeiten verwendete, oder bei dem armen emancipirten Mädchen, das wie ein Mann um des Lebens Nothdurft kämpfte, das früh und spät zu Fuß und unbegleitet durch die entlegensten Straßen gehen mußte, das von seiner schweren Arbeit dem Staate seine Steuer redlich zahlte und das in aller seiner Arbeit und Sorge noch das Herz hatte, für ein Kind arbeiten und leben zu wollen?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="103"/>
weil sie mit sich selber nchts anzufangen und ihrem Manne den einsamen Abend in dem eigenen Hause nicht auszufüllen wußten. Ich habe einmal neben einer solchen Frau gesessen, die für Alles und Jedes lebte, nur nicht für die Familie, deren Heiligkeit sie stets im Munde führte, und habe sie klagen hören, wie die Sorgen für die Kinder, welche unter der Obhut einer guten Wärterin wohl aufgehoben waren, doch recht groß und vielfach »absorbirend« wären. Und neben uns stand ein unschönes alterndes Mädchen, die Musiklehrerin der ältesten Kinder des Hauses. Sie hielt den jüngsten Knaben der Familie, einen schönen, zweijährigen Jungen, auf dem Arm; sie war den ganzen kalten Wintertag in Schnee und Regen umhergelaufen, um ihre Lehrstunden an den vier Enden der großen Stadt zu geben, und den Knaben an ihr Herz drückend und küssend, sagte sie zu mir, während ihre seelenvollen Augen leuchteten: »Gott! wenn man sich solch ein Kind kaufen könnte, wie wollte man dafür arbeiten!« &#x2014; Wo war in diesem Falle die wahre Weiblichkeit, bei der Gattin und Mutter, die ihre Muße für Nichtigkeiten verwendete, oder bei dem armen emancipirten Mädchen, das wie ein Mann um des Lebens Nothdurft kämpfte, das früh und spät zu Fuß und unbegleitet durch die entlegensten Straßen gehen mußte, das von seiner schweren Arbeit dem Staate seine Steuer redlich zahlte und das in aller seiner Arbeit und Sorge noch das Herz hatte, für ein Kind arbeiten und leben zu wollen?</p>
        <p>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0113] weil sie mit sich selber nchts anzufangen und ihrem Manne den einsamen Abend in dem eigenen Hause nicht auszufüllen wußten. Ich habe einmal neben einer solchen Frau gesessen, die für Alles und Jedes lebte, nur nicht für die Familie, deren Heiligkeit sie stets im Munde führte, und habe sie klagen hören, wie die Sorgen für die Kinder, welche unter der Obhut einer guten Wärterin wohl aufgehoben waren, doch recht groß und vielfach »absorbirend« wären. Und neben uns stand ein unschönes alterndes Mädchen, die Musiklehrerin der ältesten Kinder des Hauses. Sie hielt den jüngsten Knaben der Familie, einen schönen, zweijährigen Jungen, auf dem Arm; sie war den ganzen kalten Wintertag in Schnee und Regen umhergelaufen, um ihre Lehrstunden an den vier Enden der großen Stadt zu geben, und den Knaben an ihr Herz drückend und küssend, sagte sie zu mir, während ihre seelenvollen Augen leuchteten: »Gott! wenn man sich solch ein Kind kaufen könnte, wie wollte man dafür arbeiten!« — Wo war in diesem Falle die wahre Weiblichkeit, bei der Gattin und Mutter, die ihre Muße für Nichtigkeiten verwendete, oder bei dem armen emancipirten Mädchen, das wie ein Mann um des Lebens Nothdurft kämpfte, das früh und spät zu Fuß und unbegleitet durch die entlegensten Straßen gehen mußte, das von seiner schweren Arbeit dem Staate seine Steuer redlich zahlte und das in aller seiner Arbeit und Sorge noch das Herz hatte, für ein Kind arbeiten und leben zu wollen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax von zeno.org (2013-01-04T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus zeno.org entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/113
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/113>, abgerufen am 05.05.2024.