Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Adele. 2. Ausg. Berlin, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber Sie sind es fortwährenden Sitzens, des Nähens nicht gewohnt, Ihre frühere Lebensweise war gesünder. Sie machen sich seit Wochen keine Bewegung mehr, Sie gehen nicht mehr nach der Fabrik hinaus, wie Sie es pflegten."

"Samuel!" fiel sie ihm in's Wort, "es ist mir so viel Weh geschehen von den Menschen, daß mir es schwer fällt, Etwas zu erbitten. Sprechen Sie nie mit mir von der Vergangenheit. Das ist Alles todt! -- aber freilich kommt mir vor, ich bin es auch."

Die Wahrheit ihres Schmerzes machte Samuel schweigen. Er saß ihr gegenüber und sah ihr zu, wie sie mit ihrer kleinen, mager gewordenen Hand den groben Wollenstoff bewältigte.

"Cousine!" sagte er nach einer Weile, "ich habe freilich nicht die lebhaften Empfindungen, die Ihnen mitgegeben sind, aber ich weiß doch, daß der stärkste Mensch es nicht ertragen kann, sich gänzlich aufzugeben."

“Aber Sie sind es fortwährenden Sitzens, des Nähens nicht gewohnt, Ihre frühere Lebensweise war gesünder. Sie machen sich seit Wochen keine Bewegung mehr, Sie gehen nicht mehr nach der Fabrik hinaus, wie Sie es pflegten.”

“Samuel!” fiel sie ihm in’s Wort, “es ist mir so viel Weh geschehen von den Menschen, daß mir es schwer fällt, Etwas zu erbitten. Sprechen Sie nie mit mir von der Vergangenheit. Das ist Alles todt! — aber freilich kommt mir vor, ich bin es auch.”

Die Wahrheit ihres Schmerzes machte Samuel schweigen. Er saß ihr gegenüber und sah ihr zu, wie sie mit ihrer kleinen, mager gewordenen Hand den groben Wollenstoff bewältigte.

“Cousine!” sagte er nach einer Weile, “ich habe freilich nicht die lebhaften Empfindungen, die Ihnen mitgegeben sind, aber ich weiß doch, daß der stärkste Mensch es nicht ertragen kann, sich gänzlich aufzugeben.”

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="125"/>
&#x201C;Aber Sie sind es fortwährenden Sitzens, des Nähens nicht gewohnt, Ihre frühere Lebensweise war gesünder. Sie machen sich seit Wochen keine Bewegung mehr, Sie gehen nicht mehr nach der Fabrik hinaus, wie Sie es pflegten.&#x201D;</p>
        <p>                                 &#x201C;Samuel!&#x201D; fiel sie ihm in&#x2019;s Wort, &#x201C;es ist mir so viel Weh geschehen von den Menschen, daß mir es schwer fällt, Etwas zu erbitten. Sprechen Sie nie mit mir von der Vergangenheit. Das ist Alles todt! &#x2014; aber freilich kommt mir vor, ich bin es auch.&#x201D;</p>
        <p>                                     Die Wahrheit ihres Schmerzes machte Samuel schweigen. Er saß ihr gegenüber und sah ihr zu, wie sie mit ihrer kleinen, mager gewordenen Hand den groben Wollenstoff bewältigte.</p>
        <p>                         &#x201C;Cousine!&#x201D; sagte er nach einer Weile, &#x201C;ich habe freilich nicht die lebhaften Empfindungen, die Ihnen mitgegeben sind, aber ich weiß doch, daß der stärkste Mensch es nicht ertragen kann, sich gänzlich aufzugeben.&#x201D;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0135] “Aber Sie sind es fortwährenden Sitzens, des Nähens nicht gewohnt, Ihre frühere Lebensweise war gesünder. Sie machen sich seit Wochen keine Bewegung mehr, Sie gehen nicht mehr nach der Fabrik hinaus, wie Sie es pflegten.” “Samuel!” fiel sie ihm in’s Wort, “es ist mir so viel Weh geschehen von den Menschen, daß mir es schwer fällt, Etwas zu erbitten. Sprechen Sie nie mit mir von der Vergangenheit. Das ist Alles todt! — aber freilich kommt mir vor, ich bin es auch.” Die Wahrheit ihres Schmerzes machte Samuel schweigen. Er saß ihr gegenüber und sah ihr zu, wie sie mit ihrer kleinen, mager gewordenen Hand den groben Wollenstoff bewältigte. “Cousine!” sagte er nach einer Weile, “ich habe freilich nicht die lebhaften Empfindungen, die Ihnen mitgegeben sind, aber ich weiß doch, daß der stärkste Mensch es nicht ertragen kann, sich gänzlich aufzugeben.”

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Sophie - A Digital Library of Works by German-Speaking Women: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax von "Sophie". (2013-02-04T11:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss.
archive.org: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-04T11:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-02-04T11:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_adele_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_adele_1864/135
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Adele. 2. Ausg. Berlin, 1864, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_adele_1864/135>, abgerufen am 01.05.2024.