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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Erzb. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Wilhelms v. Fürstenberg.
Fürstenbergs hohem Alter den bisherigen Comtur zu Vellin, Gotthard1558
Kettlern, einen noch jungen aber versuchten Held, die Coadiutur anzunehmen.
Die schlechte Beschaffenheit der zur Erhaltung des Landes nöthigen Mittel, der
elende Zustand der Ordenscasse, die Uneinigkeit der Stände, von welchen allen
Kettler die beste Kentnis hatte, gaben ihm Entschuldigungen genug an die Hand,
diese Bürde auszuschlagen. Das Vertrauen aber, so jederman in seinen Helden-
muth gesetzet hatte, und die Liebe, so ihm jederman seiner Eigenschaften wegen erwei-
sen muste, brachten ihn dahin laut der Ordensregeln diesen Antrag zu genehmi-
gen, welches er am 9ten Jul. früh um 7 Uhr unter Vergiessung seiner Thränen
einzugehen sich gezwungen sahe.

Man kan leicht erachten, daß, wenn die Vormauern des Landes, die noch
am besten versehen waren und Entsatz hoffen konten, verloren giengen, die andern
nicht so haltbaren Plätze gewis nicht werden im Stande gewesen seyn die rußische
Macht aufzuhalten. Gerd Huen von Ansterath, Vogt zu Wesenberg, Die-
drich
von der Steinkuhle, Vogt zum Neuenschlosse, und Heinrich von Kal-
lenbach,
Vogt zu Tolsburg, zogen sich mit ihren Leuten ins Feld, welches man
sein Haus verlaufen nante, und mit welchem Titel damals mancher braver
Man beschimpfet wurde, der sein und der Seinigen augenscheinliches Verderben nicht
abwartete. Die Russen besetzten das Schlos Wesenberg, und befestigten es
besser; die Stadt, so dabey lag, ward mit Kirchen, Rathhaus und Gildenstu-
ben dem Erdboden gleich gemacht. So legten sie auch ihre Völker in Lais,
Oberpahlen, Ringen, Kawelecht
und andere Oerter mehr, welche die
Deutschen gleichfals verlassen hatten, weil das Schrecken und die Verwirrung
weder Rath noch Hülfe verstattete. Fürstenberg schrieb nach Dörpt, er wol-
le mit seinen Völkern in die Stadt rücken, dafür sich die Stadt und Stift zu al-
ler unterthänigen Treue gegen den ritterlichen Orden erbot; er machte ihr auch
sonst viele Hofnung von einem tapfern Beistande, so aber alles aufs neue durch
allerhand Mistrauen gestöret und krebsgängig gemacht wurde.

Der Bischof, welcher zuvor mit 270 Pferden ins Feldlager bey Kyran-
peh
gerücket war, hatte bey seinem Rückzuge lange nicht die Helfte mehr übrig.
Einige davon zwang der Ordensmeister bey ihm zu bleiben, und von dem Stiftsa-
del folgten dem Bischof nur 17 Man in die Stadt, worunter doch etliche noch
ohne Abschied, andre unter mancherley Entschuldigungen abzogen. An Reute-
rey waren noch 80 Man vorhanden, die nebst 80 Landsknechten den Dom und
ein weitläuftiges Schlos besetzen und vertheidigen solten. Das gröste Unglück
war daß auch die Gesandten zurück kamen, und den Bescheid mitbrachten, der
Czaar wolle kein Geld nehmen, sondern verlange in den Besitz der eroberten Plä-
tze zu bleiben, weil man es durch das lange Zaudern aufs höchste kommen lassen.
So ängstlich das Stift und die Stadt an Fürstenbergen schrieb und ihn seiner
Zusage von neuem erinnerte; so lies sich der alte Ordensmeister doch von seinen
Gebietigern zum Gegentheil bereden, und rührte sich also nicht aus der Stelle.
Ja der marienburgische Comtur, Schall von Bell, lies sich gar öffentlich ver-
nehmen, dem Orden wäre das Hemde näher als der Rock; daher müsse der Mei-
ster mehr die Ordensländer als die Stiftsgüter zu schützen trachten.

Da die Ordensgebietiger im Lager bey Walck sich mit Abfertigung neuer
Gesandten um kaiserliche und dänische Hülfe beschäftigten, kam die rußische
Armee der Stadt Dörpt immer näher. Das schwere Geschütz ward auf der
Peipus nach der Stadt gebracht, und das Schlos Werbeck bey Nacht durch
300 Cosaken überrumpelt. Die Besatzung hatte sich den Abend vorher in Wer-
beck
stark bezecht, und daher das Feuer nicht wahrgenommen, welches dieses
streifende Volk mit Pergel und Stroh an die Pforte gebracht. Der Burggraf
Claus Gelmuth ergab sich gleich nebst etlichen andern, welche dem rußischen
Feldherrn den Zustand der armen Stadt Dörpt entdecken musten. Am 11ten
Julii als den zweiten Pfingstag ward die Stadt Dörpt von dem Feinde berennet.

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Erzb. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Wilhelms v. Fuͤrſtenberg.
Fuͤrſtenbergs hohem Alter den bisherigen Comtur zu Vellin, Gotthard1558
Kettlern, einen noch jungen aber verſuchten Held, die Coadiutur anzunehmen.
Die ſchlechte Beſchaffenheit der zur Erhaltung des Landes noͤthigen Mittel, der
elende Zuſtand der Ordenscaſſe, die Uneinigkeit der Staͤnde, von welchen allen
Kettler die beſte Kentnis hatte, gaben ihm Entſchuldigungen genug an die Hand,
dieſe Buͤrde auszuſchlagen. Das Vertrauen aber, ſo jederman in ſeinen Helden-
muth geſetzet hatte, und die Liebe, ſo ihm jederman ſeiner Eigenſchaften wegen erwei-
ſen muſte, brachten ihn dahin laut der Ordensregeln dieſen Antrag zu genehmi-
gen, welches er am 9ten Jul. fruͤh um 7 Uhr unter Vergieſſung ſeiner Thraͤnen
einzugehen ſich gezwungen ſahe.

Man kan leicht erachten, daß, wenn die Vormauern des Landes, die noch
am beſten verſehen waren und Entſatz hoffen konten, verloren giengen, die andern
nicht ſo haltbaren Plaͤtze gewis nicht werden im Stande geweſen ſeyn die rußiſche
Macht aufzuhalten. Gerd Huen von Anſterath, Vogt zu Weſenberg, Die-
drich
von der Steinkuhle, Vogt zum Neuenſchloſſe, und Heinrich von Kal-
lenbach,
Vogt zu Tolsburg, zogen ſich mit ihren Leuten ins Feld, welches man
ſein Haus verlaufen nante, und mit welchem Titel damals mancher braver
Man beſchimpfet wurde, der ſein und der Seinigen augenſcheinliches Verderben nicht
abwartete. Die Ruſſen beſetzten das Schlos Weſenberg, und befeſtigten es
beſſer; die Stadt, ſo dabey lag, ward mit Kirchen, Rathhaus und Gildenſtu-
ben dem Erdboden gleich gemacht. So legten ſie auch ihre Voͤlker in Lais,
Oberpahlen, Ringen, Kawelecht
und andere Oerter mehr, welche die
Deutſchen gleichfals verlaſſen hatten, weil das Schrecken und die Verwirrung
weder Rath noch Huͤlfe verſtattete. Fuͤrſtenberg ſchrieb nach Doͤrpt, er wol-
le mit ſeinen Voͤlkern in die Stadt ruͤcken, dafuͤr ſich die Stadt und Stift zu al-
ler unterthaͤnigen Treue gegen den ritterlichen Orden erbot; er machte ihr auch
ſonſt viele Hofnung von einem tapfern Beiſtande, ſo aber alles aufs neue durch
allerhand Mistrauen geſtoͤret und krebsgaͤngig gemacht wurde.

Der Biſchof, welcher zuvor mit 270 Pferden ins Feldlager bey Kyran-
peh
geruͤcket war, hatte bey ſeinem Ruͤckzuge lange nicht die Helfte mehr uͤbrig.
Einige davon zwang der Ordensmeiſter bey ihm zu bleiben, und von dem Stiftsa-
del folgten dem Biſchof nur 17 Man in die Stadt, worunter doch etliche noch
ohne Abſchied, andre unter mancherley Entſchuldigungen abzogen. An Reute-
rey waren noch 80 Man vorhanden, die nebſt 80 Landsknechten den Dom und
ein weitlaͤuftiges Schlos beſetzen und vertheidigen ſolten. Das groͤſte Ungluͤck
war daß auch die Geſandten zuruͤck kamen, und den Beſcheid mitbrachten, der
Czaar wolle kein Geld nehmen, ſondern verlange in den Beſitz der eroberten Plaͤ-
tze zu bleiben, weil man es durch das lange Zaudern aufs hoͤchſte kommen laſſen.
So aͤngſtlich das Stift und die Stadt an Fuͤrſtenbergen ſchrieb und ihn ſeiner
Zuſage von neuem erinnerte; ſo lies ſich der alte Ordensmeiſter doch von ſeinen
Gebietigern zum Gegentheil bereden, und ruͤhrte ſich alſo nicht aus der Stelle.
Ja der marienburgiſche Comtur, Schall von Bell, lies ſich gar oͤffentlich ver-
nehmen, dem Orden waͤre das Hemde naͤher als der Rock; daher muͤſſe der Mei-
ſter mehr die Ordenslaͤnder als die Stiftsguͤter zu ſchuͤtzen trachten.

Da die Ordensgebietiger im Lager bey Walck ſich mit Abfertigung neuer
Geſandten um kaiſerliche und daͤniſche Huͤlfe beſchaͤftigten, kam die rußiſche
Armee der Stadt Doͤrpt immer naͤher. Das ſchwere Geſchuͤtz ward auf der
Peipus nach der Stadt gebracht, und das Schlos Werbeck bey Nacht durch
300 Coſaken uͤberrumpelt. Die Beſatzung hatte ſich den Abend vorher in Wer-
beck
ſtark bezecht, und daher das Feuer nicht wahrgenommen, welches dieſes
ſtreifende Volk mit Pergel und Stroh an die Pforte gebracht. Der Burggraf
Claus Gelmuth ergab ſich gleich nebſt etlichen andern, welche dem rußiſchen
Feldherrn den Zuſtand der armen Stadt Doͤrpt entdecken muſten. Am 11ten
Julii als den zweiten Pfingſtag ward die Stadt Doͤrpt von dem Feinde berennet.

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[235/0253] Erzb. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Wilhelms v. Fuͤrſtenberg. Fuͤrſtenbergs hohem Alter den bisherigen Comtur zu Vellin, Gotthard Kettlern, einen noch jungen aber verſuchten Held, die Coadiutur anzunehmen. Die ſchlechte Beſchaffenheit der zur Erhaltung des Landes noͤthigen Mittel, der elende Zuſtand der Ordenscaſſe, die Uneinigkeit der Staͤnde, von welchen allen Kettler die beſte Kentnis hatte, gaben ihm Entſchuldigungen genug an die Hand, dieſe Buͤrde auszuſchlagen. Das Vertrauen aber, ſo jederman in ſeinen Helden- muth geſetzet hatte, und die Liebe, ſo ihm jederman ſeiner Eigenſchaften wegen erwei- ſen muſte, brachten ihn dahin laut der Ordensregeln dieſen Antrag zu genehmi- gen, welches er am 9ten Jul. fruͤh um 7 Uhr unter Vergieſſung ſeiner Thraͤnen einzugehen ſich gezwungen ſahe. 1558 Man kan leicht erachten, daß, wenn die Vormauern des Landes, die noch am beſten verſehen waren und Entſatz hoffen konten, verloren giengen, die andern nicht ſo haltbaren Plaͤtze gewis nicht werden im Stande geweſen ſeyn die rußiſche Macht aufzuhalten. Gerd Huen von Anſterath, Vogt zu Weſenberg, Die- drich von der Steinkuhle, Vogt zum Neuenſchloſſe, und Heinrich von Kal- lenbach, Vogt zu Tolsburg, zogen ſich mit ihren Leuten ins Feld, welches man ſein Haus verlaufen nante, und mit welchem Titel damals mancher braver Man beſchimpfet wurde, der ſein und der Seinigen augenſcheinliches Verderben nicht abwartete. Die Ruſſen beſetzten das Schlos Weſenberg, und befeſtigten es beſſer; die Stadt, ſo dabey lag, ward mit Kirchen, Rathhaus und Gildenſtu- ben dem Erdboden gleich gemacht. So legten ſie auch ihre Voͤlker in Lais, Oberpahlen, Ringen, Kawelecht und andere Oerter mehr, welche die Deutſchen gleichfals verlaſſen hatten, weil das Schrecken und die Verwirrung weder Rath noch Huͤlfe verſtattete. Fuͤrſtenberg ſchrieb nach Doͤrpt, er wol- le mit ſeinen Voͤlkern in die Stadt ruͤcken, dafuͤr ſich die Stadt und Stift zu al- ler unterthaͤnigen Treue gegen den ritterlichen Orden erbot; er machte ihr auch ſonſt viele Hofnung von einem tapfern Beiſtande, ſo aber alles aufs neue durch allerhand Mistrauen geſtoͤret und krebsgaͤngig gemacht wurde. Der Biſchof, welcher zuvor mit 270 Pferden ins Feldlager bey Kyran- peh geruͤcket war, hatte bey ſeinem Ruͤckzuge lange nicht die Helfte mehr uͤbrig. Einige davon zwang der Ordensmeiſter bey ihm zu bleiben, und von dem Stiftsa- del folgten dem Biſchof nur 17 Man in die Stadt, worunter doch etliche noch ohne Abſchied, andre unter mancherley Entſchuldigungen abzogen. An Reute- rey waren noch 80 Man vorhanden, die nebſt 80 Landsknechten den Dom und ein weitlaͤuftiges Schlos beſetzen und vertheidigen ſolten. Das groͤſte Ungluͤck war daß auch die Geſandten zuruͤck kamen, und den Beſcheid mitbrachten, der Czaar wolle kein Geld nehmen, ſondern verlange in den Beſitz der eroberten Plaͤ- tze zu bleiben, weil man es durch das lange Zaudern aufs hoͤchſte kommen laſſen. So aͤngſtlich das Stift und die Stadt an Fuͤrſtenbergen ſchrieb und ihn ſeiner Zuſage von neuem erinnerte; ſo lies ſich der alte Ordensmeiſter doch von ſeinen Gebietigern zum Gegentheil bereden, und ruͤhrte ſich alſo nicht aus der Stelle. Ja der marienburgiſche Comtur, Schall von Bell, lies ſich gar oͤffentlich ver- nehmen, dem Orden waͤre das Hemde naͤher als der Rock; daher muͤſſe der Mei- ſter mehr die Ordenslaͤnder als die Stiftsguͤter zu ſchuͤtzen trachten. Da die Ordensgebietiger im Lager bey Walck ſich mit Abfertigung neuer Geſandten um kaiſerliche und daͤniſche Huͤlfe beſchaͤftigten, kam die rußiſche Armee der Stadt Doͤrpt immer naͤher. Das ſchwere Geſchuͤtz ward auf der Peipus nach der Stadt gebracht, und das Schlos Werbeck bey Nacht durch 300 Coſaken uͤberrumpelt. Die Beſatzung hatte ſich den Abend vorher in Wer- beck ſtark bezecht, und daher das Feuer nicht wahrgenommen, welches dieſes ſtreifende Volk mit Pergel und Stroh an die Pforte gebracht. Der Burggraf Claus Gelmuth ergab ſich gleich nebſt etlichen andern, welche dem rußiſchen Feldherrn den Zuſtand der armen Stadt Doͤrpt entdecken muſten. Am 11ten Julii als den zweiten Pfingſtag ward die Stadt Doͤrpt von dem Feinde berennet. Die N n n 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/253>, abgerufen am 23.11.2024.