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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Leben und Thaten der liefländischen Ordensmeister,
1557

Jm Schlosse war guter Rath theuer. Man war nur auf die liefländi-
schen
Gesandten ungehalten, die sich mit der Unterschrift übereilet hätten. Der
rußische Botschafter wurde bey der Unentschlossenheit der Dörptischen unge-
duldig, und wolte auch ohne Bescheid aufbrechen. Jn diesen Berathschlagungen
stelte der alte Jacob Krabbe so wol als der Bürgermeister Hencke die Noth
vor, die aus der Versiegelung entstehen würde; und doch fand sich keiner, der sie
abschlagen oder einen andern Ausweg zeigen konte. Bey dieser Verlegenheit, bey
diesem algemeinen Stilschweigen, bey der Eilfertigkeit des rußischen Botschaf-
ters trat endlich der bischöfliche Kanzler, Herr Georg Holtzschuher auf und
sagte: Lieben Herren, so reifliche Ueberlegung dieser Handel sonst erfordert, so
müssen wir uns doch dismal in die Zeit schicken. Wir wollen durch unsre Nota-
rien und den Orator dem grosfürstlichen Gesandten vorstellen: wir hätten uns
dieser Uebereilung nicht versehen; wir könten nichts ohne Einwilligung Sr. rö-
misch
kaiserlichen Majestät als unsers obersten Lehnsherrn thun; wir protestirten
aber indessen gegen den Zins. Was aber die Versiegelung betrift, so können wir
uns derselben unmöglich entschütten d). Dieser Entschlus fand durchgängigen

Bey-
der den Stiftsräthen und der Stadt Dörpt das Regiment gelassen, wobey ein jeder ohne
Aufsicht der hohen Obrigkeit gethan, was er wolte. Man habe ihn um des Goldes
willen gewehlet, da aber der Bischof ausgebeutelt worden, habe er mit seinem Kanz-
ler practiciret, heimlich unter rußischen Schutz zu kommen. Allein der Freiherr Cru-
se
ruft dieses vor eine öffentliche Unwahrheit aus, und giebt uns diese Nachricht: Die
Stände des Stifts Dörpt wären nach der Abreise ihres Herrn Josts von der Recke,
welcher sich verändern wollen, veranlasset worden, sich nach einem gelehrten, frommen
und aufrichtigen Man umzusehen, und ihrer freien Wahl nach einen Herren zu erweh-
len, den sie nirgends gelehrter, beredter, frommer und aufrichtiger zu suchen und zu
finden gewust, als in der Person des Abts zu Valckenau, welcher viele Jahre, ihren
alten Rechten und Gewohnheiten nach, als ein Haupt der Ritterschaft, ihre Sachen al-
lewege mit besonderer Geschicklichkeit vorgebracht und geführet, dabey von Natur
from, und von GOtt mit hohem Verstande begabt, auch von gutem Vermögen gewe-
sen. Es habe der Ritterschaft viel gute Worte gekostet, ihn zur Annehmung der
Stiftsherrschaft zu überreden. Es habe kein Verfolgungsgeist, sondern ein lauterer
Trieb, das göttliche Wort zu befördern, in ihm geherrschet, daher bey der getheilten
Religion beide Partheien mit ihm zufrieden gewesen, wie er auch durch seinen Stifts-
vogt zur Abtretung der Stiftsschulden viele tausend Thaler bezahlen lassen. Ein andrer
ungedruckter Verfasser giebt diesem Herman das Zeugnis, daß er den Lutheranern
in vielen Stücken nachgegeben, die 5 Jahre seines bischöflichen Amts hindurch keine
Messe gehalten, und mit allen öftern und liebreichen Umgang geflogen. Die Catholi-
ken warfen ihm vor, daß er auf beiden Schultern trüge, und gaben ihm Schuld, er
habe schlechte Leute und nicht ordentliche geweihete Priester hier und da ins Predigamt
gesetzt. Die Partheilichkeit oder auch die Einfalt verräth sich bey solchen Urtheilen am
ersten; doch mus ihn Cruse am nächsten gekant, und am besten zu schildern gewust ha-
ben. Wie denn überhaupt nach dem Bericht des letzten Schriftstellers der Ungrund
von den in der Historie unschuldiger Weise beschimpften Landesverräthern nur alzudeutlich
in die Augen fält.
d) Dieser wohlüberlegte holtzschuhersche Rath, welcher von allen genehm gehalten
wurde, und für Liefland am heilsamsten gewesen wäre, wenn man demselben seit et-
lichen Jahren beigepflichtet und nachgekommen wäre, ist hier aus der Feder des Herrn
Neustädts nachgeschrieben. Russov, der gegen die gemeine Sage gar zu leichtgläubig
ist, giebt dem Bischof so wol als seinem Kanzler ein Verständnis mit Rußland
schuld, dahingegen Henning solches wohlbedächtig übergehet. Bredenbach bemüht
sich, den holtzschuherschen Rath lächerlich und ungereimt zu machen, und giebt
Holtschuhern für einen grossen Gönner der lutherischen Parthey aus. Weil nach-
her so viele Schriftsteller diesen Rathschlag nach dem Sin des Pöbels gehäßig vorge-
stelt, so ist er in Liefland beinahe zum Sprüchworte eingeführet. Wer den Zusam-
menhang der dörptischen Veränderungen einsiehet, wird die gemeinen Vorurtheile
fahren lassen. Henning schreibt S. 25 von den Liefländern, es sey durch ihre Sün-
den schon so weit gekommen, vt salus ipsa, etiamsi voluisset, eos seruare non potuis-
set,
und doch suchte man den verzweifelten Schaden in Kleinigkeiten.
Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter,
1557

Jm Schloſſe war guter Rath theuer. Man war nur auf die lieflaͤndi-
ſchen
Geſandten ungehalten, die ſich mit der Unterſchrift uͤbereilet haͤtten. Der
rußiſche Botſchafter wurde bey der Unentſchloſſenheit der Doͤrptiſchen unge-
duldig, und wolte auch ohne Beſcheid aufbrechen. Jn dieſen Berathſchlagungen
ſtelte der alte Jacob Krabbe ſo wol als der Buͤrgermeiſter Hencke die Noth
vor, die aus der Verſiegelung entſtehen wuͤrde; und doch fand ſich keiner, der ſie
abſchlagen oder einen andern Ausweg zeigen konte. Bey dieſer Verlegenheit, bey
dieſem algemeinen Stilſchweigen, bey der Eilfertigkeit des rußiſchen Botſchaf-
ters trat endlich der biſchoͤfliche Kanzler, Herr Georg Holtzſchuher auf und
ſagte: Lieben Herren, ſo reifliche Ueberlegung dieſer Handel ſonſt erfordert, ſo
muͤſſen wir uns doch dismal in die Zeit ſchicken. Wir wollen durch unſre Nota-
rien und den Orator dem grosfuͤrſtlichen Geſandten vorſtellen: wir haͤtten uns
dieſer Uebereilung nicht verſehen; wir koͤnten nichts ohne Einwilligung Sr. roͤ-
miſch
kaiſerlichen Majeſtaͤt als unſers oberſten Lehnsherrn thun; wir proteſtirten
aber indeſſen gegen den Zins. Was aber die Verſiegelung betrift, ſo koͤnnen wir
uns derſelben unmoͤglich entſchuͤtten d). Dieſer Entſchlus fand durchgaͤngigen

Bey-
der den Stiftsraͤthen und der Stadt Doͤrpt das Regiment gelaſſen, wobey ein jeder ohne
Aufſicht der hohen Obrigkeit gethan, was er wolte. Man habe ihn um des Goldes
willen gewehlet, da aber der Biſchof ausgebeutelt worden, habe er mit ſeinem Kanz-
ler practiciret, heimlich unter rußiſchen Schutz zu kommen. Allein der Freiherr Cru-
ſe
ruft dieſes vor eine oͤffentliche Unwahrheit aus, und giebt uns dieſe Nachricht: Die
Staͤnde des Stifts Doͤrpt waͤren nach der Abreiſe ihres Herrn Joſts von der Recke,
welcher ſich veraͤndern wollen, veranlaſſet worden, ſich nach einem gelehrten, frommen
und aufrichtigen Man umzuſehen, und ihrer freien Wahl nach einen Herren zu erweh-
len, den ſie nirgends gelehrter, beredter, frommer und aufrichtiger zu ſuchen und zu
finden gewuſt, als in der Perſon des Abts zu Valckenau, welcher viele Jahre, ihren
alten Rechten und Gewohnheiten nach, als ein Haupt der Ritterſchaft, ihre Sachen al-
lewege mit beſonderer Geſchicklichkeit vorgebracht und gefuͤhret, dabey von Natur
from, und von GOtt mit hohem Verſtande begabt, auch von gutem Vermoͤgen gewe-
ſen. Es habe der Ritterſchaft viel gute Worte gekoſtet, ihn zur Annehmung der
Stiftsherrſchaft zu uͤberreden. Es habe kein Verfolgungsgeiſt, ſondern ein lauterer
Trieb, das goͤttliche Wort zu befoͤrdern, in ihm geherrſchet, daher bey der getheilten
Religion beide Partheien mit ihm zufrieden geweſen, wie er auch durch ſeinen Stifts-
vogt zur Abtretung der Stiftsſchulden viele tauſend Thaler bezahlen laſſen. Ein andrer
ungedruckter Verfaſſer giebt dieſem Herman das Zeugnis, daß er den Lutheranern
in vielen Stuͤcken nachgegeben, die 5 Jahre ſeines biſchoͤflichen Amts hindurch keine
Meſſe gehalten, und mit allen oͤftern und liebreichen Umgang geflogen. Die Catholi-
ken warfen ihm vor, daß er auf beiden Schultern truͤge, und gaben ihm Schuld, er
habe ſchlechte Leute und nicht ordentliche geweihete Prieſter hier und da ins Predigamt
geſetzt. Die Partheilichkeit oder auch die Einfalt verraͤth ſich bey ſolchen Urtheilen am
erſten; doch mus ihn Cruſe am naͤchſten gekant, und am beſten zu ſchildern gewuſt ha-
ben. Wie denn uͤberhaupt nach dem Bericht des letzten Schriftſtellers der Ungrund
von den in der Hiſtorie unſchuldiger Weiſe beſchimpften Landesverraͤthern nur alzudeutlich
in die Augen faͤlt.
d) Dieſer wohluͤberlegte holtzſchuherſche Rath, welcher von allen genehm gehalten
wurde, und fuͤr Liefland am heilſamſten geweſen waͤre, wenn man demſelben ſeit et-
lichen Jahren beigepflichtet und nachgekommen waͤre, iſt hier aus der Feder des Herrn
Neuſtaͤdts nachgeſchrieben. Ruſſov, der gegen die gemeine Sage gar zu leichtglaͤubig
iſt, giebt dem Biſchof ſo wol als ſeinem Kanzler ein Verſtaͤndnis mit Rußland
ſchuld, dahingegen Henning ſolches wohlbedaͤchtig uͤbergehet. Bredenbach bemuͤht
ſich, den holtzſchuherſchen Rath laͤcherlich und ungereimt zu machen, und giebt
Holtſchuhern fuͤr einen groſſen Goͤnner der lutheriſchen Parthey aus. Weil nach-
her ſo viele Schriftſteller dieſen Rathſchlag nach dem Sin des Poͤbels gehaͤßig vorge-
ſtelt, ſo iſt er in Liefland beinahe zum Spruͤchworte eingefuͤhret. Wer den Zuſam-
menhang der doͤrptiſchen Veraͤnderungen einſiehet, wird die gemeinen Vorurtheile
fahren laſſen. Henning ſchreibt S. 25 von den Lieflaͤndern, es ſey durch ihre Suͤn-
den ſchon ſo weit gekommen, vt ſalus ipſa, etiamſi voluiſſet, eos ſeruare non potuiſ-
ſet,
und doch ſuchte man den verzweifelten Schaden in Kleinigkeiten.
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[228/0246] Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter, Jm Schloſſe war guter Rath theuer. Man war nur auf die lieflaͤndi- ſchen Geſandten ungehalten, die ſich mit der Unterſchrift uͤbereilet haͤtten. Der rußiſche Botſchafter wurde bey der Unentſchloſſenheit der Doͤrptiſchen unge- duldig, und wolte auch ohne Beſcheid aufbrechen. Jn dieſen Berathſchlagungen ſtelte der alte Jacob Krabbe ſo wol als der Buͤrgermeiſter Hencke die Noth vor, die aus der Verſiegelung entſtehen wuͤrde; und doch fand ſich keiner, der ſie abſchlagen oder einen andern Ausweg zeigen konte. Bey dieſer Verlegenheit, bey dieſem algemeinen Stilſchweigen, bey der Eilfertigkeit des rußiſchen Botſchaf- ters trat endlich der biſchoͤfliche Kanzler, Herr Georg Holtzſchuher auf und ſagte: Lieben Herren, ſo reifliche Ueberlegung dieſer Handel ſonſt erfordert, ſo muͤſſen wir uns doch dismal in die Zeit ſchicken. Wir wollen durch unſre Nota- rien und den Orator dem grosfuͤrſtlichen Geſandten vorſtellen: wir haͤtten uns dieſer Uebereilung nicht verſehen; wir koͤnten nichts ohne Einwilligung Sr. roͤ- miſch kaiſerlichen Majeſtaͤt als unſers oberſten Lehnsherrn thun; wir proteſtirten aber indeſſen gegen den Zins. Was aber die Verſiegelung betrift, ſo koͤnnen wir uns derſelben unmoͤglich entſchuͤtten d). Dieſer Entſchlus fand durchgaͤngigen Bey- c) d) Dieſer wohluͤberlegte holtzſchuherſche Rath, welcher von allen genehm gehalten wurde, und fuͤr Liefland am heilſamſten geweſen waͤre, wenn man demſelben ſeit et- lichen Jahren beigepflichtet und nachgekommen waͤre, iſt hier aus der Feder des Herrn Neuſtaͤdts nachgeſchrieben. Ruſſov, der gegen die gemeine Sage gar zu leichtglaͤubig iſt, giebt dem Biſchof ſo wol als ſeinem Kanzler ein Verſtaͤndnis mit Rußland ſchuld, dahingegen Henning ſolches wohlbedaͤchtig uͤbergehet. Bredenbach bemuͤht ſich, den holtzſchuherſchen Rath laͤcherlich und ungereimt zu machen, und giebt Holtſchuhern fuͤr einen groſſen Goͤnner der lutheriſchen Parthey aus. Weil nach- her ſo viele Schriftſteller dieſen Rathſchlag nach dem Sin des Poͤbels gehaͤßig vorge- ſtelt, ſo iſt er in Liefland beinahe zum Spruͤchworte eingefuͤhret. Wer den Zuſam- menhang der doͤrptiſchen Veraͤnderungen einſiehet, wird die gemeinen Vorurtheile fahren laſſen. Henning ſchreibt S. 25 von den Lieflaͤndern, es ſey durch ihre Suͤn- den ſchon ſo weit gekommen, vt ſalus ipſa, etiamſi voluiſſet, eos ſeruare non potuiſ- ſet, und doch ſuchte man den verzweifelten Schaden in Kleinigkeiten. c) der den Stiftsraͤthen und der Stadt Doͤrpt das Regiment gelaſſen, wobey ein jeder ohne Aufſicht der hohen Obrigkeit gethan, was er wolte. Man habe ihn um des Goldes willen gewehlet, da aber der Biſchof ausgebeutelt worden, habe er mit ſeinem Kanz- ler practiciret, heimlich unter rußiſchen Schutz zu kommen. Allein der Freiherr Cru- ſe ruft dieſes vor eine oͤffentliche Unwahrheit aus, und giebt uns dieſe Nachricht: Die Staͤnde des Stifts Doͤrpt waͤren nach der Abreiſe ihres Herrn Joſts von der Recke, welcher ſich veraͤndern wollen, veranlaſſet worden, ſich nach einem gelehrten, frommen und aufrichtigen Man umzuſehen, und ihrer freien Wahl nach einen Herren zu erweh- len, den ſie nirgends gelehrter, beredter, frommer und aufrichtiger zu ſuchen und zu finden gewuſt, als in der Perſon des Abts zu Valckenau, welcher viele Jahre, ihren alten Rechten und Gewohnheiten nach, als ein Haupt der Ritterſchaft, ihre Sachen al- lewege mit beſonderer Geſchicklichkeit vorgebracht und gefuͤhret, dabey von Natur from, und von GOtt mit hohem Verſtande begabt, auch von gutem Vermoͤgen gewe- ſen. Es habe der Ritterſchaft viel gute Worte gekoſtet, ihn zur Annehmung der Stiftsherrſchaft zu uͤberreden. Es habe kein Verfolgungsgeiſt, ſondern ein lauterer Trieb, das goͤttliche Wort zu befoͤrdern, in ihm geherrſchet, daher bey der getheilten Religion beide Partheien mit ihm zufrieden geweſen, wie er auch durch ſeinen Stifts- vogt zur Abtretung der Stiftsſchulden viele tauſend Thaler bezahlen laſſen. Ein andrer ungedruckter Verfaſſer giebt dieſem Herman das Zeugnis, daß er den Lutheranern in vielen Stuͤcken nachgegeben, die 5 Jahre ſeines biſchoͤflichen Amts hindurch keine Meſſe gehalten, und mit allen oͤftern und liebreichen Umgang geflogen. Die Catholi- ken warfen ihm vor, daß er auf beiden Schultern truͤge, und gaben ihm Schuld, er habe ſchlechte Leute und nicht ordentliche geweihete Prieſter hier und da ins Predigamt geſetzt. Die Partheilichkeit oder auch die Einfalt verraͤth ſich bey ſolchen Urtheilen am erſten; doch mus ihn Cruſe am naͤchſten gekant, und am beſten zu ſchildern gewuſt ha- ben. Wie denn uͤberhaupt nach dem Bericht des letzten Schriftſtellers der Ungrund von den in der Hiſtorie unſchuldiger Weiſe beſchimpften Landesverraͤthern nur alzudeutlich in die Augen faͤlt.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/246>, abgerufen am 27.04.2024.