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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Leben und Thaten der liefländischen Ordensmeister,
1556

Runmehro gieng alles nach den hitzigen Anschlägen des Coadiutors Für-
stenbergs.
Der rositensche Vogt, Herr Werner Schall von Bell, ward
mit einigen Völkern nach dem Hofe Setzen befehligt, die Malve zu halten und
dem Erzbischof den Briefwechsel nach Pohlen und Preussen zu sperren. Der
pohlnische Gesandte, Caspar Lonsky, reisete eben dieselbe Strasse, wurde aber
in Ermangelung eines herrmeisterlichen Passes zurück gewiesen. Stanislaus
Vodt
gab ihm den Rath, sich heimlich durchzuschleichen. Man setzte ihm aber
nach, beraubte sein ganzes Gefolge, und verwundete den königlichen Gesandten
selbst so gefährlich, daß er den dritten Tag davon starb. Diese Beleidigung em-
pfand der König höher, als die Händel wider den Erzbischof selbst.

Am 16ten Junii schickten die Bischöfe von Dörpt, Oesel und Curland,
der Ordensmeister, und die Stadt Riga dem Erzbischof das Manifest von dem
grossen kokenhausischen Kriege zu, dessen Ueberbringer von dem Erzbischof ein
Geschenk erhielten. Was dieselben dabey am meisten befremdete, war die Ueber-
eilung der Rigischen. Denn man hatte der Bürgerschaft eingebildet, daß schon
wirklich 10000 Preussen durch Curland nach Riga auf dem Wege wären,
und etliche Kriegsschiffe den Hafen von Revel gesperret hielten. Der Erzbischof
wolte seinem Herrn Bruder davon Kundschaft geben; allein sein Abgeordneter,
Georg Taube von Lemsel, ward an der Mündung des Salisstroms da er eben
ins Boot steigen wolte, am 18ten Junii erschossen. Der segewoldische Com-
tur nahm dem Erzbischof Cremone weg, und die Herrmeisterlichen verbranten
Ronneburg, welches sich am 21sten Jun. ergab. Der alte Galen hatte Für-
stenbergen
schon zu viele Freiheit gelassen, der daher bey allen Erinnerungen sei-
nes Vormannes nicht zu regieren war g).

Für-
worauf er daß Schlos Ascherade Zeitlebens zur Provision erhalten, zu welcher der
Herzog von Curland einige Bauren hergab, weil der Landmarschal ihn schon an Für-
stenbergs
Stelle in Vorschlag gebracht. Als Ascherade 1577 an die Russen über-
gieng, und die Deutschen weggeführt wurden, der alte Münster aber Alters halber
nicht fortkommen konte, sollen jene ihn unter den Schlosmauren rodgeschlagen und lie-
gen gelassen, oder, wie Kelch erzehlet, ihm beide Augen ausgestochen und mit Ruthen
zu Tode gepeitschet haben. Daß Henning hier zu hart geurtheilet, beweisen unsre
Documente. Kettler verliehe ihm das Schlos Ascherade mit 40 Bauergesinden
auf Lebenszeit, und schützte ihn auch dabey. Wo hätte also die grosse Armuth herkom-
men sollen? Sigism. August bestätigte den 8ten April 1565 diese kettlersche Schen-
kung bey welcher Gelegenheit er die Verdienste dieses wackern Mannes rühmet und ihn
Generosum Casparem a Münster, quondam prouincialem Marchalcum Liuoniae
nennet.
g) Den Krieg zwischen dem Erzbischof und dem Landmarschal beschreibet Russov Bl. 38,
der neuesten Auflage, auf eine recht lustige Art. Es entstand ein greulicher Lerm, als
ob ein Haufen Schiffe mit Reuter und Fusvolk aus Preussen im Anzuge wären, die
von Seiten des Erzbischofs und seines Bruders, des Herzogs von Preussen, Liefland
überrumpeln solten. Hierauf giengen Tag und Nacht Briefe an die Landsassen, sich
bey erster Erblickung derselben nach Maasgebung ihrer Güter zu rüsten, und an den
Strand zu verfügen. Es war weder Knecht noch Rüstung da. Darum musten die
undeutschen Staljungen und die alten Sechsferdings-Knechte in der Eil herhalten, die
sich schon halb zu Tode gesoffen, sich beweibet, und ihr Lebenlang kaum ein Rohr los-
geschossen hatten. Wie sie den alten verrosteten Harnisch über die Haut kriegten, und
fortziehen solten, nahmen sie noch einen guten Rausch zu sich, und schwuren bey einan-
der zu leben und zu sterben. Etliche setzten sich halb tod zu Pferde, da inzwischen die
Frauen, Jungfern, Mägde und Kinder heuleten und weineten, als ob sie diese ihre
Helden nimmer wieder sehen würden. Sie rückten hierauf mit aller Macht an den
Strand, wo weder Schif noch Mensch zu sehen war, und nach einem Aufenthalt von
etlichen Wochen ward den Proviantwagen und Biertonnen der letzte Rest gegeben.
Noch satyrischer und vielleicht warhafter lautet die liefländische Kriegesanstalt, davon
besagter Verfasser uns diese Vorstellung macht. Als man in der Eil, schreibt er, Lands-
knechte annehmen müssen; so war nach langem Suchen kaum ein Trommelschläger zu
finden.
Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter,
1556

Runmehro gieng alles nach den hitzigen Anſchlaͤgen des Coadiutors Fuͤr-
ſtenbergs.
Der roſitenſche Vogt, Herr Werner Schall von Bell, ward
mit einigen Voͤlkern nach dem Hofe Setzen befehligt, die Malve zu halten und
dem Erzbiſchof den Briefwechſel nach Pohlen und Preuſſen zu ſperren. Der
pohlniſche Geſandte, Caſpar Lonsky, reiſete eben dieſelbe Straſſe, wurde aber
in Ermangelung eines herrmeiſterlichen Paſſes zuruͤck gewieſen. Stanislaus
Vodt
gab ihm den Rath, ſich heimlich durchzuſchleichen. Man ſetzte ihm aber
nach, beraubte ſein ganzes Gefolge, und verwundete den koͤniglichen Geſandten
ſelbſt ſo gefaͤhrlich, daß er den dritten Tag davon ſtarb. Dieſe Beleidigung em-
pfand der Koͤnig hoͤher, als die Haͤndel wider den Erzbiſchof ſelbſt.

Am 16ten Junii ſchickten die Biſchoͤfe von Doͤrpt, Oeſel und Curland,
der Ordensmeiſter, und die Stadt Riga dem Erzbiſchof das Manifeſt von dem
groſſen kokenhauſiſchen Kriege zu, deſſen Ueberbringer von dem Erzbiſchof ein
Geſchenk erhielten. Was dieſelben dabey am meiſten befremdete, war die Ueber-
eilung der Rigiſchen. Denn man hatte der Buͤrgerſchaft eingebildet, daß ſchon
wirklich 10000 Preuſſen durch Curland nach Riga auf dem Wege waͤren,
und etliche Kriegsſchiffe den Hafen von Revel geſperret hielten. Der Erzbiſchof
wolte ſeinem Herrn Bruder davon Kundſchaft geben; allein ſein Abgeordneter,
Georg Taube von Lemſel, ward an der Muͤndung des Salisſtroms da er eben
ins Boot ſteigen wolte, am 18ten Junii erſchoſſen. Der ſegewoldiſche Com-
tur nahm dem Erzbiſchof Cremone weg, und die Herrmeiſterlichen verbranten
Ronneburg, welches ſich am 21ſten Jun. ergab. Der alte Galen hatte Fuͤr-
ſtenbergen
ſchon zu viele Freiheit gelaſſen, der daher bey allen Erinnerungen ſei-
nes Vormannes nicht zu regieren war g).

Fuͤr-
worauf er daß Schlos Aſcherade Zeitlebens zur Proviſion erhalten, zu welcher der
Herzog von Curland einige Bauren hergab, weil der Landmarſchal ihn ſchon an Fuͤr-
ſtenbergs
Stelle in Vorſchlag gebracht. Als Aſcherade 1577 an die Ruſſen uͤber-
gieng, und die Deutſchen weggefuͤhrt wurden, der alte Muͤnſter aber Alters halber
nicht fortkommen konte, ſollen jene ihn unter den Schlosmauren rodgeſchlagen und lie-
gen gelaſſen, oder, wie Kelch erzehlet, ihm beide Augen ausgeſtochen und mit Ruthen
zu Tode gepeitſchet haben. Daß Henning hier zu hart geurtheilet, beweiſen unſre
Documente. Kettler verliehe ihm das Schlos Aſcherade mit 40 Bauergeſinden
auf Lebenszeit, und ſchuͤtzte ihn auch dabey. Wo haͤtte alſo die groſſe Armuth herkom-
men ſollen? Sigism. Auguſt beſtaͤtigte den 8ten April 1565 dieſe kettlerſche Schen-
kung bey welcher Gelegenheit er die Verdienſte dieſes wackern Mannes ruͤhmet und ihn
Generoſum Caſparem a Münſter, quondam prouincialem Marchalcum Liuoniae
nennet.
g) Den Krieg zwiſchen dem Erzbiſchof und dem Landmarſchal beſchreibet Ruſſov Bl. 38,
der neueſten Auflage, auf eine recht luſtige Art. Es entſtand ein greulicher Lerm, als
ob ein Haufen Schiffe mit Reuter und Fusvolk aus Preuſſen im Anzuge waͤren, die
von Seiten des Erzbiſchofs und ſeines Bruders, des Herzogs von Preuſſen, Liefland
uͤberrumpeln ſolten. Hierauf giengen Tag und Nacht Briefe an die Landſaſſen, ſich
bey erſter Erblickung derſelben nach Maasgebung ihrer Guͤter zu ruͤſten, und an den
Strand zu verfuͤgen. Es war weder Knecht noch Ruͤſtung da. Darum muſten die
undeutſchen Staljungen und die alten Sechsferdings-Knechte in der Eil herhalten, die
ſich ſchon halb zu Tode geſoffen, ſich beweibet, und ihr Lebenlang kaum ein Rohr los-
geſchoſſen hatten. Wie ſie den alten verroſteten Harniſch uͤber die Haut kriegten, und
fortziehen ſolten, nahmen ſie noch einen guten Rauſch zu ſich, und ſchwuren bey einan-
der zu leben und zu ſterben. Etliche ſetzten ſich halb tod zu Pferde, da inzwiſchen die
Frauen, Jungfern, Maͤgde und Kinder heuleten und weineten, als ob ſie dieſe ihre
Helden nimmer wieder ſehen wuͤrden. Sie ruͤckten hierauf mit aller Macht an den
Strand, wo weder Schif noch Menſch zu ſehen war, und nach einem Aufenthalt von
etlichen Wochen ward den Proviantwagen und Biertonnen der letzte Reſt gegeben.
Noch ſatyriſcher und vielleicht warhafter lautet die lieflaͤndiſche Kriegesanſtalt, davon
beſagter Verfaſſer uns dieſe Vorſtellung macht. Als man in der Eil, ſchreibt er, Lands-
knechte annehmen muͤſſen; ſo war nach langem Suchen kaum ein Trommelſchlaͤger zu
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[220/0238] Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter, Runmehro gieng alles nach den hitzigen Anſchlaͤgen des Coadiutors Fuͤr- ſtenbergs. Der roſitenſche Vogt, Herr Werner Schall von Bell, ward mit einigen Voͤlkern nach dem Hofe Setzen befehligt, die Malve zu halten und dem Erzbiſchof den Briefwechſel nach Pohlen und Preuſſen zu ſperren. Der pohlniſche Geſandte, Caſpar Lonsky, reiſete eben dieſelbe Straſſe, wurde aber in Ermangelung eines herrmeiſterlichen Paſſes zuruͤck gewieſen. Stanislaus Vodt gab ihm den Rath, ſich heimlich durchzuſchleichen. Man ſetzte ihm aber nach, beraubte ſein ganzes Gefolge, und verwundete den koͤniglichen Geſandten ſelbſt ſo gefaͤhrlich, daß er den dritten Tag davon ſtarb. Dieſe Beleidigung em- pfand der Koͤnig hoͤher, als die Haͤndel wider den Erzbiſchof ſelbſt. Am 16ten Junii ſchickten die Biſchoͤfe von Doͤrpt, Oeſel und Curland, der Ordensmeiſter, und die Stadt Riga dem Erzbiſchof das Manifeſt von dem groſſen kokenhauſiſchen Kriege zu, deſſen Ueberbringer von dem Erzbiſchof ein Geſchenk erhielten. Was dieſelben dabey am meiſten befremdete, war die Ueber- eilung der Rigiſchen. Denn man hatte der Buͤrgerſchaft eingebildet, daß ſchon wirklich 10000 Preuſſen durch Curland nach Riga auf dem Wege waͤren, und etliche Kriegsſchiffe den Hafen von Revel geſperret hielten. Der Erzbiſchof wolte ſeinem Herrn Bruder davon Kundſchaft geben; allein ſein Abgeordneter, Georg Taube von Lemſel, ward an der Muͤndung des Salisſtroms da er eben ins Boot ſteigen wolte, am 18ten Junii erſchoſſen. Der ſegewoldiſche Com- tur nahm dem Erzbiſchof Cremone weg, und die Herrmeiſterlichen verbranten Ronneburg, welches ſich am 21ſten Jun. ergab. Der alte Galen hatte Fuͤr- ſtenbergen ſchon zu viele Freiheit gelaſſen, der daher bey allen Erinnerungen ſei- nes Vormannes nicht zu regieren war g). Fuͤr- f) g) Den Krieg zwiſchen dem Erzbiſchof und dem Landmarſchal beſchreibet Ruſſov Bl. 38, der neueſten Auflage, auf eine recht luſtige Art. Es entſtand ein greulicher Lerm, als ob ein Haufen Schiffe mit Reuter und Fusvolk aus Preuſſen im Anzuge waͤren, die von Seiten des Erzbiſchofs und ſeines Bruders, des Herzogs von Preuſſen, Liefland uͤberrumpeln ſolten. Hierauf giengen Tag und Nacht Briefe an die Landſaſſen, ſich bey erſter Erblickung derſelben nach Maasgebung ihrer Guͤter zu ruͤſten, und an den Strand zu verfuͤgen. Es war weder Knecht noch Ruͤſtung da. Darum muſten die undeutſchen Staljungen und die alten Sechsferdings-Knechte in der Eil herhalten, die ſich ſchon halb zu Tode geſoffen, ſich beweibet, und ihr Lebenlang kaum ein Rohr los- geſchoſſen hatten. Wie ſie den alten verroſteten Harniſch uͤber die Haut kriegten, und fortziehen ſolten, nahmen ſie noch einen guten Rauſch zu ſich, und ſchwuren bey einan- der zu leben und zu ſterben. Etliche ſetzten ſich halb tod zu Pferde, da inzwiſchen die Frauen, Jungfern, Maͤgde und Kinder heuleten und weineten, als ob ſie dieſe ihre Helden nimmer wieder ſehen wuͤrden. Sie ruͤckten hierauf mit aller Macht an den Strand, wo weder Schif noch Menſch zu ſehen war, und nach einem Aufenthalt von etlichen Wochen ward den Proviantwagen und Biertonnen der letzte Reſt gegeben. Noch ſatyriſcher und vielleicht warhafter lautet die lieflaͤndiſche Kriegesanſtalt, davon beſagter Verfaſſer uns dieſe Vorſtellung macht. Als man in der Eil, ſchreibt er, Lands- knechte annehmen muͤſſen; ſo war nach langem Suchen kaum ein Trommelſchlaͤger zu finden. f) worauf er daß Schlos Aſcherade Zeitlebens zur Proviſion erhalten, zu welcher der Herzog von Curland einige Bauren hergab, weil der Landmarſchal ihn ſchon an Fuͤr- ſtenbergs Stelle in Vorſchlag gebracht. Als Aſcherade 1577 an die Ruſſen uͤber- gieng, und die Deutſchen weggefuͤhrt wurden, der alte Muͤnſter aber Alters halber nicht fortkommen konte, ſollen jene ihn unter den Schlosmauren rodgeſchlagen und lie- gen gelaſſen, oder, wie Kelch erzehlet, ihm beide Augen ausgeſtochen und mit Ruthen zu Tode gepeitſchet haben. Daß Henning hier zu hart geurtheilet, beweiſen unſre Documente. Kettler verliehe ihm das Schlos Aſcherade mit 40 Bauergeſinden auf Lebenszeit, und ſchuͤtzte ihn auch dabey. Wo haͤtte alſo die groſſe Armuth herkom- men ſollen? Sigism. Auguſt beſtaͤtigte den 8ten April 1565 dieſe kettlerſche Schen- kung bey welcher Gelegenheit er die Verdienſte dieſes wackern Mannes ruͤhmet und ihn Generoſum Caſparem a Münſter, quondam prouincialem Marchalcum Liuoniae nennet.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/238>, abgerufen am 27.04.2024.