[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.Vorrede. hergestellet, und alten Berichten ihre Gewisheit verschaffet. Zwar istdie alte Historie von Liefland für die Ehre eines Schriftstellers gefähr- lich genug; weil sie selbst in den Urkunden durch so viele Lücken ganzer Jahrzehnde durchbrochen ist, zumal wenn unsere Leser getrennete Bege- benheiten in einer anmuthigen Erzehlung und richtigem Zusammenhang von uns verlangen solten. Allein da die witzigsten Einfälle am leichte- sten straucheln können, so hat man sich derselben mit gutem Bedacht enthalten, und lieber den Titel einer Chronik erwehlet, auch nicht den Text nach den Jahren, sondern die Jahre nach dem Text eingerichtet, wenn gleich dadurch mehrere Lücken entstanden. Denn Kauf- und Han- delsbriefe in die ledigen Stellen einzuschieben, die die Jahre hätten zur Noth füllen können, würde so wol jedermans Erwartung als un- serm Endzweck zuwider gewesen seyn. Wir geben selbst diese Materien für weiter nichts als einige vom algemeinen Schifbruch übrige Trümmern aus. Verunglückte oder verschlagene Leute sehen sich nach ein paar Bret- tern um, wenn sie ihr altes Vaterland wieder finden wollen. Ein Haus aus alten Werkstücken komt der Natur am ähnsichsten. Die Kentnis der Knochen an einem Gerippe ist eben so nöthig, als die Kentnis der fleischichten und festen Theile des Körpers. Vielleicht finden sich nach unsern Tagen Künstler, welche über diese Gebeine eine saubere Haut ziehen. Wir haben uns der vorhandenen Documente nicht weiter bedienet, als es unsere Absicht, Fähigkeit, Kräfte und Nebenstunden zu- gelassen. Manche gar besondere Nachrichten sind um des liefländischen Lesers willen unumgänglich nothwendig gewesen. So trocken die alte Historie an ausführlichen Begebenheiten ist; so Der Oberste unter den Ordensgebietigern hies der Meister. Die ren
Vorrede. hergeſtellet, und alten Berichten ihre Gewisheit verſchaffet. Zwar iſtdie alte Hiſtorie von Liefland fuͤr die Ehre eines Schriftſtellers gefaͤhr- lich genug; weil ſie ſelbſt in den Urkunden durch ſo viele Luͤcken ganzer Jahrzehnde durchbrochen iſt, zumal wenn unſere Leſer getrennete Bege- benheiten in einer anmuthigen Erzehlung und richtigem Zuſammenhang von uns verlangen ſolten. Allein da die witzigſten Einfaͤlle am leichte- ſten ſtraucheln koͤnnen, ſo hat man ſich derſelben mit gutem Bedacht enthalten, und lieber den Titel einer Chronik erwehlet, auch nicht den Text nach den Jahren, ſondern die Jahre nach dem Text eingerichtet, wenn gleich dadurch mehrere Luͤcken entſtanden. Denn Kauf- und Han- delsbriefe in die ledigen Stellen einzuſchieben, die die Jahre haͤtten zur Noth fuͤllen koͤnnen, wuͤrde ſo wol jedermans Erwartung als un- ſerm Endzweck zuwider geweſen ſeyn. Wir geben ſelbſt dieſe Materien fuͤr weiter nichts als einige vom algemeinen Schifbruch uͤbrige Truͤmmern aus. Verungluͤckte oder verſchlagene Leute ſehen ſich nach ein paar Bret- tern um, wenn ſie ihr altes Vaterland wieder finden wollen. Ein Haus aus alten Werkſtuͤcken komt der Natur am aͤhnſichſten. Die Kentnis der Knochen an einem Gerippe iſt eben ſo noͤthig, als die Kentnis der fleiſchichten und feſten Theile des Koͤrpers. Vielleicht finden ſich nach unſern Tagen Kuͤnſtler, welche uͤber dieſe Gebeine eine ſaubere Haut ziehen. Wir haben uns der vorhandenen Documente nicht weiter bedienet, als es unſere Abſicht, Faͤhigkeit, Kraͤfte und Nebenſtunden zu- gelaſſen. Manche gar beſondere Nachrichten ſind um des lieflaͤndiſchen Leſers willen unumgaͤnglich nothwendig geweſen. So trocken die alte Hiſtorie an ausfuͤhrlichen Begebenheiten iſt; ſo Der Oberſte unter den Ordensgebietigern hies der Meiſter. Die ren
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Vorrede.
hergeſtellet, und alten Berichten ihre Gewisheit verſchaffet. Zwar iſt
die alte Hiſtorie von Liefland fuͤr die Ehre eines Schriftſtellers gefaͤhr-
lich genug; weil ſie ſelbſt in den Urkunden durch ſo viele Luͤcken ganzer
Jahrzehnde durchbrochen iſt, zumal wenn unſere Leſer getrennete Bege-
benheiten in einer anmuthigen Erzehlung und richtigem Zuſammenhang
von uns verlangen ſolten. Allein da die witzigſten Einfaͤlle am leichte-
ſten ſtraucheln koͤnnen, ſo hat man ſich derſelben mit gutem Bedacht
enthalten, und lieber den Titel einer Chronik erwehlet, auch nicht den
Text nach den Jahren, ſondern die Jahre nach dem Text eingerichtet,
wenn gleich dadurch mehrere Luͤcken entſtanden. Denn Kauf- und Han-
delsbriefe in die ledigen Stellen einzuſchieben, die die Jahre haͤtten zur
Noth fuͤllen koͤnnen, wuͤrde ſo wol jedermans Erwartung als un-
ſerm Endzweck zuwider geweſen ſeyn. Wir geben ſelbſt dieſe Materien
fuͤr weiter nichts als einige vom algemeinen Schifbruch uͤbrige Truͤmmern
aus. Verungluͤckte oder verſchlagene Leute ſehen ſich nach ein paar Bret-
tern um, wenn ſie ihr altes Vaterland wieder finden wollen. Ein
Haus aus alten Werkſtuͤcken komt der Natur am aͤhnſichſten. Die
Kentnis der Knochen an einem Gerippe iſt eben ſo noͤthig, als die Kentnis
der fleiſchichten und feſten Theile des Koͤrpers. Vielleicht finden ſich
nach unſern Tagen Kuͤnſtler, welche uͤber dieſe Gebeine eine ſaubere
Haut ziehen. Wir haben uns der vorhandenen Documente nicht weiter
bedienet, als es unſere Abſicht, Faͤhigkeit, Kraͤfte und Nebenſtunden zu-
gelaſſen. Manche gar beſondere Nachrichten ſind um des lieflaͤndiſchen
Leſers willen unumgaͤnglich nothwendig geweſen.
So trocken die alte Hiſtorie an ausfuͤhrlichen Begebenheiten iſt; ſo
fruchtbar wird ſie nach der Zeit des Ordens an Feldzuͤgen, Belagerun-
gen, Streifereien, Scharmuͤtzeln, beruͤhmten Perſonen und merkwuͤr-
digen Veraͤnderungen; nicht als ob es vorher an dergleichen Vorfaͤllen
gefehlet, ſondern weil die Moͤnche zu gemaͤchlich und neidiſch geweſen, die
haͤufigen Siege der Ordensherren und ihrer Ritterſchaft umſtaͤndlich und
ruͤhmlich zu melden. Was auch von Moͤnchsarbeiten noch zu Papier ge-
bracht worden, hat nicht immer Gedeihen gehabt. Vermuthlich iſt
mancher Aufſatz von dem Orden unterdruͤckt, weil mehrentheils die Geiſt-
lichen, als der beleidigte Theil, ihr Unrecht und die erlittenen Bedraͤngniſ-
ſe zu lebhaft beklagten. Dazu komt noch, daß die Stadt Riga in den er-
ſtern Zeiten wenig mit den Meiſtern zu thun gehabt. Es giengen 130
Jahr vorbey, ehe die Buͤrgerſchaft, der ſchon das ſanfte Regiment des
Krumſtabs beſchwerlich fiel, auch noch uͤber dem das harte Joch des
Kreuzes, wiewol nicht ohne Murren, auf ſich nahm, und dem Meiſter
ſo wol als dem Erzbiſchof huldigen muſte. Daher auch die Zahl der
Ordensmeiſter des dreizehnten Jahrhunderts ſo wenig, als ihre Na-
men, von unſtreitiger Richtigkeit ſind, auch nicht aus dem Archiv der
Stadt hergeſtellet werden koͤnnen.
Der Oberſte unter den Ordensgebietigern hies der Meiſter. Die
Hoͤflichkeit der mitlern Zeiten ſetzte das Ehrenwort Herr davor, daher
ſie Herrmeiſter Domini Magiſtri, keinesweges aber Heermeiſter, Duces
exercitus, genennet worden. Jn dem 16ten Jahrhundert ſagte man
auch Vorſtenmeiſter, nachdem Plettenberg die Fuͤrſtenwuͤrde erhalten.
Wir haben ſie, um den harten und zweideutigen Ausdruck des Alter-
thums zu vermeiden, Ordensmeiſter betiteln wollen. Hochmeiſter,
Magiſtri generales, waren allein in Preuſſen zu ſuchen, welche ih-
ren
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