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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischofs Alberts, fünftes Jahr.
1202gen, als sie eben mit den Deutschen Pilgern den Wald aushieben, und erschlu-
gen Dietrich Brudegamus mit noch etlichen Bürgern, die mit ihm gefolget
waren.

g) Die Buchstaben G. und B. in grösserer Forme, sehen in den Schriften voriger Zeiten
sich so ähnlich, daß man in eigentümlichen Namen, oder in Wörtern, die nur einmal vor-
kommen, fast nicht weiß, welchen man von beyden nehmen sol. Jch sehe, daß mein
Abschreiber hier stecken geblieben, weil er dem Buchstaben B, den er vorher gesetzet, ein
grosses G. auf- oder vielmehr übergeschrieben. Man solte denken, das wäre schlecht ge-
rathen, indem keine Provinz oder Stadt in der Nachbarschaft von Liefland vorkomt,
die wie Gercike einigermassen klinge; wenn man hingegen Bercike lesen würde, so hät-
te man die Stadt Birze in Samogitien, derer Fürsten von Radzivil Erbgut. Weil
aber Gercike beym Jahr 1208 n. 4 beschrieben wird, als eine Stadt an der Düne, von
der Birze etwas abliegt: so meine ich nichts zu ändern; doch laß ich mich von einem,
der Orte kundigen, gerne zurechte weisen*).
h) Kaum ist hier die Erinnerung nöthig, daß diese Zunamen klingen, als ob sie aus dem
Münsterischen und Bremischen wären.
§. 9.

Damals lebte ein gewisser Mönch, Namens Sigfrid, der in seinem Prie-
steramte die ihm anvertraute Seelenpflege in dem Kirchspiel Holme sehr andächtig
abwartete, in dem Dienst GOttes Tag und Nacht aushielt, und mit seinem vor-
treflichen Beyspiel und Wandel die Liven erbauete. Zulezt, nach langwieriger
Arbeit gab ihm GOtt ein seliges Ende, und er verschied. Die Neubekehrten tru-
gen seinen Leichnam christlichem Gebrauch nach mit Thränen zur Kirche, machten
ihm auch als Kinder ihrem lieben Vater einen Sarg von gutem Holze, befunden
aber, daß das eine zum Deckel abgesägte Bret um einen ganzen Fuß zu kurz wä-
re. Hierüber wurden sie bestürzt und sahen sich lange nach einem Holze um, wo-
mit sie es verlängern könten; und da sie endlich eins fanden, zimmerten sie es nach
dem vorigen Brete zurechte, und versuchtens mit Nägeln anzuschlagen: Jn-
dem sie aber das Bret erstlich über den Sarg hielten und genauer nachsehen wol-
ten, so sahen sie, daß es nicht durch menschliche Kunst, sondern durch GOttes
Finger länger geworden, und sich ihrem Verlangen nach recht wohl zum Sarge
passe**). Hierüber freueten sich diese Pfarrkinder, und warfen das von ihnen un-
nützer Weise geschnizte Holz weg, preiseten auch, nachdem sie ihren Hirten mit christ-
lichen Cäremonien begraben, GOTT, der unter seinen Heiligen solche Wunder
thut i).

i) Da um diese Zeiten disseits der See eine so ungeheure und erstaunliche Menge Wunder-
werke vorhanden, daß Cäsarius ein Mönch von Heisterbach in dem Erzstifte Cöln,
nur blos mit denen, so bey seinem Leben passiret, 12 Bücher volschreiben und sie der
Nachwelt aufbehalten können: so würde es ein groß Wunder seyn, und mit der Beschaf-
fenheit dieser Zeit sich nicht reimen lassen, wenn nicht auch unter den Leuten jenseit der
See was vorgegangen zu seyn erzählet würde. Jch kan sogar unserm Chronikschreiber
es nicht verdenken, daß ichs ihm desto lieber noch zu gute halte, je sparsamer er mit der-
gleichen Histörchen aufgezogen kömt.


Des
*) Nicht nur die gedruckten, sondern auch geschriebenen Bücher von Liefland, auch selbst die beyden Ab-
schriften, haben den Buchstaben G. beybehalten.
**) Ein ungenanter Auctor erzählet von dem heiligen Bertold, einem Abte zu Garsten, der unter an-
dern Wundern den Teufel aus einem Knaben mit einem Strohwische vertrieben, daß, wie er Anno
1130 beerdiget werden sollen, die Leichenträger keine Last einmal gefühlet, sondern der Sarg auf ihren
Schultern sich von selbst in die Höhe gehoben.

Geſchichte des dritten Biſchofs Alberts, fuͤnftes Jahr.
1202gen, als ſie eben mit den Deutſchen Pilgern den Wald aushieben, und erſchlu-
gen Dietrich Brudegamus mit noch etlichen Buͤrgern, die mit ihm gefolget
waren.

g) Die Buchſtaben G. und B. in groͤſſerer Forme, ſehen in den Schriften voriger Zeiten
ſich ſo aͤhnlich, daß man in eigentuͤmlichen Namen, oder in Woͤrtern, die nur einmal vor-
kommen, faſt nicht weiß, welchen man von beyden nehmen ſol. Jch ſehe, daß mein
Abſchreiber hier ſtecken geblieben, weil er dem Buchſtaben B, den er vorher geſetzet, ein
groſſes G. auf- oder vielmehr uͤbergeſchrieben. Man ſolte denken, das waͤre ſchlecht ge-
rathen, indem keine Provinz oder Stadt in der Nachbarſchaft von Liefland vorkomt,
die wie Gercike einigermaſſen klinge; wenn man hingegen Bercike leſen wuͤrde, ſo haͤt-
te man die Stadt Birze in Samogitien, derer Fuͤrſten von Radzivil Erbgut. Weil
aber Gercike beym Jahr 1208 n. 4 beſchrieben wird, als eine Stadt an der Duͤne, von
der Birze etwas abliegt: ſo meine ich nichts zu aͤndern; doch laß ich mich von einem,
der Orte kundigen, gerne zurechte weiſen*).
h) Kaum iſt hier die Erinnerung noͤthig, daß dieſe Zunamen klingen, als ob ſie aus dem
Muͤnſteriſchen und Bremiſchen waͤren.
§. 9.

Damals lebte ein gewiſſer Moͤnch, Namens Sigfrid, der in ſeinem Prie-
ſteramte die ihm anvertraute Seelenpflege in dem Kirchſpiel Holme ſehr andaͤchtig
abwartete, in dem Dienſt GOttes Tag und Nacht aushielt, und mit ſeinem vor-
treflichen Beyſpiel und Wandel die Liven erbauete. Zulezt, nach langwieriger
Arbeit gab ihm GOtt ein ſeliges Ende, und er verſchied. Die Neubekehrten tru-
gen ſeinen Leichnam chriſtlichem Gebrauch nach mit Thraͤnen zur Kirche, machten
ihm auch als Kinder ihrem lieben Vater einen Sarg von gutem Holze, befunden
aber, daß das eine zum Deckel abgeſaͤgte Bret um einen ganzen Fuß zu kurz waͤ-
re. Hieruͤber wurden ſie beſtuͤrzt und ſahen ſich lange nach einem Holze um, wo-
mit ſie es verlaͤngern koͤnten; und da ſie endlich eins fanden, zimmerten ſie es nach
dem vorigen Brete zurechte, und verſuchtens mit Naͤgeln anzuſchlagen: Jn-
dem ſie aber das Bret erſtlich uͤber den Sarg hielten und genauer nachſehen wol-
ten, ſo ſahen ſie, daß es nicht durch menſchliche Kunſt, ſondern durch GOttes
Finger laͤnger geworden, und ſich ihrem Verlangen nach recht wohl zum Sarge
paſſe**). Hieruͤber freueten ſich dieſe Pfarrkinder, und warfen das von ihnen un-
nuͤtzer Weiſe geſchnizte Holz weg, preiſeten auch, nachdem ſie ihren Hirten mit chriſt-
lichen Caͤremonien begraben, GOTT, der unter ſeinen Heiligen ſolche Wunder
thut i).

i) Da um dieſe Zeiten diſſeits der See eine ſo ungeheure und erſtaunliche Menge Wunder-
werke vorhanden, daß Caͤſarius ein Moͤnch von Heiſterbach in dem Erzſtifte Coͤln,
nur blos mit denen, ſo bey ſeinem Leben paſſiret, 12 Buͤcher volſchreiben und ſie der
Nachwelt aufbehalten koͤnnen: ſo wuͤrde es ein groß Wunder ſeyn, und mit der Beſchaf-
fenheit dieſer Zeit ſich nicht reimen laſſen, wenn nicht auch unter den Leuten jenſeit der
See was vorgegangen zu ſeyn erzaͤhlet wuͤrde. Jch kan ſogar unſerm Chronikſchreiber
es nicht verdenken, daß ichs ihm deſto lieber noch zu gute halte, je ſparſamer er mit der-
gleichen Hiſtoͤrchen aufgezogen koͤmt.


Des
*) Nicht nur die gedruckten, ſondern auch geſchriebenen Buͤcher von Liefland, auch ſelbſt die beyden Ab-
ſchriften, haben den Buchſtaben G. beybehalten.
**) Ein ungenanter Auctor erzaͤhlet von dem heiligen Bertold, einem Abte zu Garſten, der unter an-
dern Wundern den Teufel aus einem Knaben mit einem Strohwiſche vertrieben, daß, wie er Anno
1130 beerdiget werden ſollen, die Leichentraͤger keine Laſt einmal gefuͤhlet, ſondern der Sarg auf ihren
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[36/0068] Geſchichte des dritten Biſchofs Alberts, fuͤnftes Jahr. gen, als ſie eben mit den Deutſchen Pilgern den Wald aushieben, und erſchlu- gen Dietrich Brudegamus mit noch etlichen Buͤrgern, die mit ihm gefolget waren. 1202 g⁾ Die Buchſtaben G. und B. in groͤſſerer Forme, ſehen in den Schriften voriger Zeiten ſich ſo aͤhnlich, daß man in eigentuͤmlichen Namen, oder in Woͤrtern, die nur einmal vor- kommen, faſt nicht weiß, welchen man von beyden nehmen ſol. Jch ſehe, daß mein Abſchreiber hier ſtecken geblieben, weil er dem Buchſtaben B, den er vorher geſetzet, ein groſſes G. auf- oder vielmehr uͤbergeſchrieben. Man ſolte denken, das waͤre ſchlecht ge- rathen, indem keine Provinz oder Stadt in der Nachbarſchaft von Liefland vorkomt, die wie Gercike einigermaſſen klinge; wenn man hingegen Bercike leſen wuͤrde, ſo haͤt- te man die Stadt Birze in Samogitien, derer Fuͤrſten von Radzivil Erbgut. Weil aber Gercike beym Jahr 1208 n. 4 beſchrieben wird, als eine Stadt an der Duͤne, von der Birze etwas abliegt: ſo meine ich nichts zu aͤndern; doch laß ich mich von einem, der Orte kundigen, gerne zurechte weiſen *). h⁾ Kaum iſt hier die Erinnerung noͤthig, daß dieſe Zunamen klingen, als ob ſie aus dem Muͤnſteriſchen und Bremiſchen waͤren. §. 9. Damals lebte ein gewiſſer Moͤnch, Namens Sigfrid, der in ſeinem Prie- ſteramte die ihm anvertraute Seelenpflege in dem Kirchſpiel Holme ſehr andaͤchtig abwartete, in dem Dienſt GOttes Tag und Nacht aushielt, und mit ſeinem vor- treflichen Beyſpiel und Wandel die Liven erbauete. Zulezt, nach langwieriger Arbeit gab ihm GOtt ein ſeliges Ende, und er verſchied. Die Neubekehrten tru- gen ſeinen Leichnam chriſtlichem Gebrauch nach mit Thraͤnen zur Kirche, machten ihm auch als Kinder ihrem lieben Vater einen Sarg von gutem Holze, befunden aber, daß das eine zum Deckel abgeſaͤgte Bret um einen ganzen Fuß zu kurz waͤ- re. Hieruͤber wurden ſie beſtuͤrzt und ſahen ſich lange nach einem Holze um, wo- mit ſie es verlaͤngern koͤnten; und da ſie endlich eins fanden, zimmerten ſie es nach dem vorigen Brete zurechte, und verſuchtens mit Naͤgeln anzuſchlagen: Jn- dem ſie aber das Bret erſtlich uͤber den Sarg hielten und genauer nachſehen wol- ten, ſo ſahen ſie, daß es nicht durch menſchliche Kunſt, ſondern durch GOttes Finger laͤnger geworden, und ſich ihrem Verlangen nach recht wohl zum Sarge paſſe **). Hieruͤber freueten ſich dieſe Pfarrkinder, und warfen das von ihnen un- nuͤtzer Weiſe geſchnizte Holz weg, preiſeten auch, nachdem ſie ihren Hirten mit chriſt- lichen Caͤremonien begraben, GOTT, der unter ſeinen Heiligen ſolche Wunder thut i⁾ . i⁾ Da um dieſe Zeiten diſſeits der See eine ſo ungeheure und erſtaunliche Menge Wunder- werke vorhanden, daß Caͤſarius ein Moͤnch von Heiſterbach in dem Erzſtifte Coͤln, nur blos mit denen, ſo bey ſeinem Leben paſſiret, 12 Buͤcher volſchreiben und ſie der Nachwelt aufbehalten koͤnnen: ſo wuͤrde es ein groß Wunder ſeyn, und mit der Beſchaf- fenheit dieſer Zeit ſich nicht reimen laſſen, wenn nicht auch unter den Leuten jenſeit der See was vorgegangen zu ſeyn erzaͤhlet wuͤrde. Jch kan ſogar unſerm Chronikſchreiber es nicht verdenken, daß ichs ihm deſto lieber noch zu gute halte, je ſparſamer er mit der- gleichen Hiſtoͤrchen aufgezogen koͤmt. Des *) Nicht nur die gedruckten, ſondern auch geſchriebenen Buͤcher von Liefland, auch ſelbſt die beyden Ab- ſchriften, haben den Buchſtaben G. beybehalten. **) Ein ungenanter Auctor erzaͤhlet von dem heiligen Bertold, einem Abte zu Garſten, der unter an- dern Wundern den Teufel aus einem Knaben mit einem Strohwiſche vertrieben, daß, wie er Anno 1130 beerdiget werden ſollen, die Leichentraͤger keine Laſt einmal gefuͤhlet, ſondern der Sarg auf ihren Schultern ſich von ſelbſt in die Hoͤhe gehoben.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/68>, abgerufen am 21.11.2024.