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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1184 bis 1196.
§. 4.1186

Aus demselben Dorfe waren Ylo, des Kulewene Vater, und Viezo,
Alons
Vater, die ersten, die getauft wurden, auf welche nach und nach andre
folgten.

§. 5.

Den nächsten Winter darauf verheereten die Litthauer g) Liefland, und
führten sehr viele in die Gefangenschaft. Der Priester Meinhard wolte mit
seinen Leuten aus Yxkul ihrer Wuth Einhalt thun, und lieferte diesen Feinden
eine Schlacht in dem Gehölze. Wie die Litthauer sich zurück zogen, so bestraf-
te obbesagter Meinhard die Einfalt der Liefländer, daß sie bisher keine Ve-
stungen gehabt hätten oder haben wolten. Endlich versprach er ihnen Schlösser zu
bauen, wenn sie den Vorsatz hätten Kinder GOttes zu werden und zu bleiben.
Durch GOttes Eingeben liessen sie sichs gefallen, versprachen es, und bestätigten
mit einem Eide, die heilige Taufe anzunehmen.

g) Der Autor nennet diejenigen Lettonen, welche bey uns Litthauer heissen. Ray-
nald
in seinen Jahrbüchern lieset manchmal Lectouia und Luctouia, wann er ihr Land
anzeigen will. Das beweiset, wie auch in den päbstlichen Regesten die Namen wenig
bekanter Völker von den Schreibern sehr verstellet seyn. Die Geschichte dieses Volks,
die Matthias Stryikowsky Osostewiz, ein Domherr in Samogitien, in polni-
scher
Sprache beschrieben, hat uns der Jesuite Albertus Wüuk Kojalowicz ins
Lateinische übersetzet, die wir aber nichtsdestoweniger nicht sonderlich nutzen können,
weil sie in den Begebenheiten dieser Zeit mangelhaft, und fast gar kein Licht zu geben
vermögend ist.
§. 6.

Demnach wurden den nächsten Sommer aus Gothland allerhand Künst-
ler und Steinhauer geholet. Jndessen schwören die Liefländer zum andern ma-
le, daß sie aufrichtige Glaubensgenossen seyn wollen. Ehe das Schloß Ykesko-
le
angefangen ward, ließ sich ein Theil des Volks taufen, und die ganze Gemeine
versprach, obgleich lügenhaftig, wenn das Schloß fertig wäre, sich auch taufen
zu lassen. Also wurden die Mauren von Grund an aufgeführet. Der fünfte
Theil des Schlosses fiel Meinharden zum Eigenthum zu, so wie es auf seine Ko-
sten errichtet ward, und er hat damit zu erst der Kirche einige Güter verschaft.
Wie das Schloß zuletzt zu Stande kam, so fielen sie ab, und die noch nicht getauft
waren, weigerten sich den Glauben anzunehmen. Doch Meinhard ließ sich in
seinem Vorsatz nicht stören. Um dieselbe Zeit kamen die Semgallen, Heiden
aus der Nachbarschaft, welche von diesem steinernen Bau gehöret hatten, und nicht
wusten, daß er durch Kalk so veste wäre, mit grossen Schifstauen, und meinten
ihren närrischen Gedanken nach das Schloß in die Düne zu zerren h). Jedoch
die Steinschützen*) machten ihnen die Köpfe blutig, und sie musten mit Scha-
den abziehen.

h) Das erste steinerne Gebäude in diesem Lande war also das Schloß Ykeskole. Denn
der Einwohner Häuser sollen auch jetzo noch nur aus Balken zusammen gefüget, und da-
her leicht von ihrem Ort zu bewegen seyn.
§. 7.
*) Ballistarii, Steinschützen oder Steinschleuderer, sind Leute, welche die ballistas gebrauchten. Balli-
stae
aber waren die bekanten grossen Schleudern, welche Steine, Balken, Feuertöpfe und dergleichen
schmissen, und durch mechanische Räder zum Wurf regiret wurden, die Mauren oder Planken, als
den schwächsten Theil einer Vestung umzuwerfen, und die Feinde zu beschädigen; da man hingegen
das untere vestere Theil mit Mauerbrechern durchboren muste. Sie heissen in diesem Buche auch oft-
mals Patherellen. Die kleinsten warfen etwan eine Last von 5 Lispfund, die grösten auch wol ein
Schifpfund. Sie trugen aber nicht viel weiter als 500 Schritte, dabey sie doch die Kraft hatten, al-
les zu zerschmettern, und was sie schlugen, einige hundert Schritte und weiter in die Luft zu prellen.
Man verkroch sich vor ihrem Schuß hinter lederne mit Spreu gefülte Säcke, und ausgespante Segel-
tücher. Manchmal wurden aus selbigen auch solche Balken geworfen, die vorne spitzig gemacht und
mit Eisen versehen waren; daß also patherella, ballista und catapulta einerley, (und nur der Gewalt
und Grösse nach verschieden) sind.
B 2
von 1184 bis 1196.
§. 4.1186

Aus demſelben Dorfe waren Ylo, des Kulewene Vater, und Viezo,
Alons
Vater, die erſten, die getauft wurden, auf welche nach und nach andre
folgten.

§. 5.

Den naͤchſten Winter darauf verheereten die Litthauer g) Liefland, und
fuͤhrten ſehr viele in die Gefangenſchaft. Der Prieſter Meinhard wolte mit
ſeinen Leuten aus Yxkul ihrer Wuth Einhalt thun, und lieferte dieſen Feinden
eine Schlacht in dem Gehoͤlze. Wie die Litthauer ſich zuruͤck zogen, ſo beſtraf-
te obbeſagter Meinhard die Einfalt der Lieflaͤnder, daß ſie bisher keine Ve-
ſtungen gehabt haͤtten oder haben wolten. Endlich verſprach er ihnen Schloͤſſer zu
bauen, wenn ſie den Vorſatz haͤtten Kinder GOttes zu werden und zu bleiben.
Durch GOttes Eingeben lieſſen ſie ſichs gefallen, verſprachen es, und beſtaͤtigten
mit einem Eide, die heilige Taufe anzunehmen.

g) Der Autor nennet diejenigen Lettonen, welche bey uns Litthauer heiſſen. Ray-
nald
in ſeinen Jahrbuͤchern lieſet manchmal Lectouia und Luctouia, wann er ihr Land
anzeigen will. Das beweiſet, wie auch in den paͤbſtlichen Regeſten die Namen wenig
bekanter Voͤlker von den Schreibern ſehr verſtellet ſeyn. Die Geſchichte dieſes Volks,
die Matthias Stryikowsky Oſoſtewiz, ein Domherr in Samogitien, in polni-
ſcher
Sprache beſchrieben, hat uns der Jeſuite Albertus Wuͤuk Kojalowicz ins
Lateiniſche uͤberſetzet, die wir aber nichtsdeſtoweniger nicht ſonderlich nutzen koͤnnen,
weil ſie in den Begebenheiten dieſer Zeit mangelhaft, und faſt gar kein Licht zu geben
vermoͤgend iſt.
§. 6.

Demnach wurden den naͤchſten Sommer aus Gothland allerhand Kuͤnſt-
ler und Steinhauer geholet. Jndeſſen ſchwoͤren die Lieflaͤnder zum andern ma-
le, daß ſie aufrichtige Glaubensgenoſſen ſeyn wollen. Ehe das Schloß Ykesko-
le
angefangen ward, ließ ſich ein Theil des Volks taufen, und die ganze Gemeine
verſprach, obgleich luͤgenhaftig, wenn das Schloß fertig waͤre, ſich auch taufen
zu laſſen. Alſo wurden die Mauren von Grund an aufgefuͤhret. Der fuͤnfte
Theil des Schloſſes fiel Meinharden zum Eigenthum zu, ſo wie es auf ſeine Ko-
ſten errichtet ward, und er hat damit zu erſt der Kirche einige Guͤter verſchaft.
Wie das Schloß zuletzt zu Stande kam, ſo fielen ſie ab, und die noch nicht getauft
waren, weigerten ſich den Glauben anzunehmen. Doch Meinhard ließ ſich in
ſeinem Vorſatz nicht ſtoͤren. Um dieſelbe Zeit kamen die Semgallen, Heiden
aus der Nachbarſchaft, welche von dieſem ſteinernen Bau gehoͤret hatten, und nicht
wuſten, daß er durch Kalk ſo veſte waͤre, mit groſſen Schifstauen, und meinten
ihren naͤrriſchen Gedanken nach das Schloß in die Duͤne zu zerren h). Jedoch
die Steinſchuͤtzen*) machten ihnen die Koͤpfe blutig, und ſie muſten mit Scha-
den abziehen.

h) Das erſte ſteinerne Gebaͤude in dieſem Lande war alſo das Schloß Ykeskole. Denn
der Einwohner Haͤuſer ſollen auch jetzo noch nur aus Balken zuſammen gefuͤget, und da-
her leicht von ihrem Ort zu bewegen ſeyn.
§. 7.
*) Balliſtarii, Steinſchuͤtzen oder Steinſchleuderer, ſind Leute, welche die balliſtas gebrauchten. Balli-
ſtae
aber waren die bekanten groſſen Schleudern, welche Steine, Balken, Feuertoͤpfe und dergleichen
ſchmiſſen, und durch mechaniſche Raͤder zum Wurf regiret wurden, die Mauren oder Planken, als
den ſchwaͤchſten Theil einer Veſtung umzuwerfen, und die Feinde zu beſchaͤdigen; da man hingegen
das untere veſtere Theil mit Mauerbrechern durchboren muſte. Sie heiſſen in dieſem Buche auch oft-
mals Patherellen. Die kleinſten warfen etwan eine Laſt von 5 Lispfund, die groͤſten auch wol ein
Schifpfund. Sie trugen aber nicht viel weiter als 500 Schritte, dabey ſie doch die Kraft hatten, al-
les zu zerſchmettern, und was ſie ſchlugen, einige hundert Schritte und weiter in die Luft zu prellen.
Man verkroch ſich vor ihrem Schuß hinter lederne mit Spreu gefuͤlte Saͤcke, und ausgeſpante Segel-
tuͤcher. Manchmal wurden aus ſelbigen auch ſolche Balken geworfen, die vorne ſpitzig gemacht und
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B 2
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[7/0039] von 1184 bis 1196. §. 4. Aus demſelben Dorfe waren Ylo, des Kulewene Vater, und Viezo, Alons Vater, die erſten, die getauft wurden, auf welche nach und nach andre folgten. §. 5. Den naͤchſten Winter darauf verheereten die Litthauer g⁾ Liefland, und fuͤhrten ſehr viele in die Gefangenſchaft. Der Prieſter Meinhard wolte mit ſeinen Leuten aus Yxkul ihrer Wuth Einhalt thun, und lieferte dieſen Feinden eine Schlacht in dem Gehoͤlze. Wie die Litthauer ſich zuruͤck zogen, ſo beſtraf- te obbeſagter Meinhard die Einfalt der Lieflaͤnder, daß ſie bisher keine Ve- ſtungen gehabt haͤtten oder haben wolten. Endlich verſprach er ihnen Schloͤſſer zu bauen, wenn ſie den Vorſatz haͤtten Kinder GOttes zu werden und zu bleiben. Durch GOttes Eingeben lieſſen ſie ſichs gefallen, verſprachen es, und beſtaͤtigten mit einem Eide, die heilige Taufe anzunehmen. g⁾ Der Autor nennet diejenigen Lettonen, welche bey uns Litthauer heiſſen. Ray- nald in ſeinen Jahrbuͤchern lieſet manchmal Lectouia und Luctouia, wann er ihr Land anzeigen will. Das beweiſet, wie auch in den paͤbſtlichen Regeſten die Namen wenig bekanter Voͤlker von den Schreibern ſehr verſtellet ſeyn. Die Geſchichte dieſes Volks, die Matthias Stryikowsky Oſoſtewiz, ein Domherr in Samogitien, in polni- ſcher Sprache beſchrieben, hat uns der Jeſuite Albertus Wuͤuk Kojalowicz ins Lateiniſche uͤberſetzet, die wir aber nichtsdeſtoweniger nicht ſonderlich nutzen koͤnnen, weil ſie in den Begebenheiten dieſer Zeit mangelhaft, und faſt gar kein Licht zu geben vermoͤgend iſt. §. 6. Demnach wurden den naͤchſten Sommer aus Gothland allerhand Kuͤnſt- ler und Steinhauer geholet. Jndeſſen ſchwoͤren die Lieflaͤnder zum andern ma- le, daß ſie aufrichtige Glaubensgenoſſen ſeyn wollen. Ehe das Schloß Ykesko- le angefangen ward, ließ ſich ein Theil des Volks taufen, und die ganze Gemeine verſprach, obgleich luͤgenhaftig, wenn das Schloß fertig waͤre, ſich auch taufen zu laſſen. Alſo wurden die Mauren von Grund an aufgefuͤhret. Der fuͤnfte Theil des Schloſſes fiel Meinharden zum Eigenthum zu, ſo wie es auf ſeine Ko- ſten errichtet ward, und er hat damit zu erſt der Kirche einige Guͤter verſchaft. Wie das Schloß zuletzt zu Stande kam, ſo fielen ſie ab, und die noch nicht getauft waren, weigerten ſich den Glauben anzunehmen. Doch Meinhard ließ ſich in ſeinem Vorſatz nicht ſtoͤren. Um dieſelbe Zeit kamen die Semgallen, Heiden aus der Nachbarſchaft, welche von dieſem ſteinernen Bau gehoͤret hatten, und nicht wuſten, daß er durch Kalk ſo veſte waͤre, mit groſſen Schifstauen, und meinten ihren naͤrriſchen Gedanken nach das Schloß in die Duͤne zu zerren h⁾ . Jedoch die Steinſchuͤtzen *) machten ihnen die Koͤpfe blutig, und ſie muſten mit Scha- den abziehen. h⁾ Das erſte ſteinerne Gebaͤude in dieſem Lande war alſo das Schloß Ykeskole. Denn der Einwohner Haͤuſer ſollen auch jetzo noch nur aus Balken zuſammen gefuͤget, und da- her leicht von ihrem Ort zu bewegen ſeyn. §. 7. *) Balliſtarii, Steinſchuͤtzen oder Steinſchleuderer, ſind Leute, welche die balliſtas gebrauchten. Balli- ſtae aber waren die bekanten groſſen Schleudern, welche Steine, Balken, Feuertoͤpfe und dergleichen ſchmiſſen, und durch mechaniſche Raͤder zum Wurf regiret wurden, die Mauren oder Planken, als den ſchwaͤchſten Theil einer Veſtung umzuwerfen, und die Feinde zu beſchaͤdigen; da man hingegen das untere veſtere Theil mit Mauerbrechern durchboren muſte. Sie heiſſen in dieſem Buche auch oft- mals Patherellen. Die kleinſten warfen etwan eine Laſt von 5 Lispfund, die groͤſten auch wol ein Schifpfund. Sie trugen aber nicht viel weiter als 500 Schritte, dabey ſie doch die Kraft hatten, al- les zu zerſchmettern, und was ſie ſchlugen, einige hundert Schritte und weiter in die Luft zu prellen. Man verkroch ſich vor ihrem Schuß hinter lederne mit Spreu gefuͤlte Saͤcke, und ausgeſpante Segel- tuͤcher. Manchmal wurden aus ſelbigen auch ſolche Balken geworfen, die vorne ſpitzig gemacht und mit Eiſen verſehen waren; daß alſo patherella, balliſta und catapulta einerley, (und nur der Gewalt und Groͤſſe nach verſchieden) ſind. B 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/39>, abgerufen am 21.11.2024.