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Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

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Sittah.
Hab' ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
Jhr Stolz ist: Christen seyn; nicht Menschen. Denn
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,
Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
Weils Christus lehrt; weils Christus hat gethan. --
Wohl ihnen, daß er ein so guter Mensch
Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend
Auf Treu und Glaube nehmen können! -- Doch
Was Tugend? -- Seine Tugend nicht; sein Name
Soll überall verbreitet werden; soll
Die Namen aller guten Menschen schänden,
Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
Jst ihnen nur zu thun.
Saladin.
Du meynst: warum
Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr,
Auch du und Melek, Christen hießet, eh
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?
Sittah.
Ja wohl! Als wär' von Christen nur, als Christen,
Die Liebe zu gewärtigen, womit
Der Schöpfer Mann und Männinn ausgestattet!
Saladin.
Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
Als
Sittah.
Hab’ ich des ſchoͤnen Traums nicht gleich gelacht?
Du kennſt die Chriſten nicht, willſt ſie nicht kennen.
Jhr Stolz iſt: Chriſten ſeyn; nicht Menſchen. Denn
Selbſt das, was, noch von ihrem Stifter her,
Mit Menſchlichkeit den Aberglauben wirzt,
Das lieben ſie, nicht weil es menſchlich iſt:
Weils Chriſtus lehrt; weils Chriſtus hat gethan. —
Wohl ihnen, daß er ein ſo guter Menſch
Noch war! Wohl ihnen, daß ſie ſeine Tugend
Auf Treu und Glaube nehmen koͤnnen! — Doch
Was Tugend? — Seine Tugend nicht; ſein Name
Soll uͤberall verbreitet werden; ſoll
Die Namen aller guten Menſchen ſchaͤnden,
Verſchlingen. Um den Namen, um den Namen
Jſt ihnen nur zu thun.
Saladin.
Du meynſt: warum
Sie ſonſt verlangen wuͤrden, daß auch ihr,
Auch du und Melek, Chriſten hießet, eh
Als Ehgemahl ihr Chriſten lieben wolltet?
Sittah.
Ja wohl! Als waͤr’ von Chriſten nur, als Chriſten,
Die Liebe zu gewaͤrtigen, womit
Der Schoͤpfer Mann und Maͤnninn ausgeſtattet!
Saladin.
Die Chriſten glauben mehr Armſeligkeiten,
Als
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[56/0064] Sittah. Hab’ ich des ſchoͤnen Traums nicht gleich gelacht? Du kennſt die Chriſten nicht, willſt ſie nicht kennen. Jhr Stolz iſt: Chriſten ſeyn; nicht Menſchen. Denn Selbſt das, was, noch von ihrem Stifter her, Mit Menſchlichkeit den Aberglauben wirzt, Das lieben ſie, nicht weil es menſchlich iſt: Weils Chriſtus lehrt; weils Chriſtus hat gethan. — Wohl ihnen, daß er ein ſo guter Menſch Noch war! Wohl ihnen, daß ſie ſeine Tugend Auf Treu und Glaube nehmen koͤnnen! — Doch Was Tugend? — Seine Tugend nicht; ſein Name Soll uͤberall verbreitet werden; ſoll Die Namen aller guten Menſchen ſchaͤnden, Verſchlingen. Um den Namen, um den Namen Jſt ihnen nur zu thun. Saladin. Du meynſt: warum Sie ſonſt verlangen wuͤrden, daß auch ihr, Auch du und Melek, Chriſten hießet, eh Als Ehgemahl ihr Chriſten lieben wolltet? Sittah. Ja wohl! Als waͤr’ von Chriſten nur, als Chriſten, Die Liebe zu gewaͤrtigen, womit Der Schoͤpfer Mann und Maͤnninn ausgeſtattet! Saladin. Die Chriſten glauben mehr Armſeligkeiten, Als

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/64>, abgerufen am 29.03.2024.