Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freyheit Mehr als den ledern Gurt gebothen, der Sein Eisen schleppt: und höchstens seinen Dolch? Recha. Das schließt für mich, mein Vater. -- Darum eben War das kein Tempelherr; er schien es nur. -- Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewissen Tode nach Jerusalem: Geht keiner in Jerusalem so frey Umher: wie hätte mich des Nachts freywillig Denn einer retten können? Nathan. Sieh! wie sinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Jch hab' es ja Von dir, daß er gefangen hergeschickt Jst worden. Ohne Zweifel weißt du mehr. Daja.
Nun ja. -- So sagt man freylich; -- doch man sagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, -- er hieß, Jch weiß nicht wie; -- er blieb, ich weiß nicht wo: -- So klingt das ja so gar -- so gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist. Nathan.
Ein Tempelherr von ihm verſchont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je fuͤr ſeine Freyheit Mehr als den ledern Gurt gebothen, der Sein Eiſen ſchleppt: und hoͤchſtens ſeinen Dolch? Recha. Das ſchließt fuͤr mich, mein Vater. — Darum eben War das kein Tempelherr; er ſchien es nur. — Koͤmmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewiſſen Tode nach Jeruſalem: Geht keiner in Jeruſalem ſo frey Umher: wie haͤtte mich des Nachts freywillig Denn einer retten koͤnnen? Nathan. Sieh! wie ſinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Jch hab’ es ja Von dir, daß er gefangen hergeſchickt Jſt worden. Ohne Zweifel weißt du mehr. Daja.
Nun ja. — So ſagt man freylich; — doch man ſagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er ſeiner Bruͤder einem, Den er beſonders lieb gehabt, ſo aͤhnlich ſehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Daß dieſer Bruder nicht mehr lebt, — er hieß, Jch weiß nicht wie; — er blieb, ich weiß nicht wo: — So klingt das ja ſo gar — ſo gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nichts iſt. Nathan.
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Ein Tempelherr von ihm verſchont zu werden
Verlangt? gehofft? ihm je fuͤr ſeine Freyheit
Mehr als den ledern Gurt gebothen, der
Sein Eiſen ſchleppt: und hoͤchſtens ſeinen Dolch?
Recha.
Das ſchließt fuͤr mich, mein Vater. — Darum eben
War das kein Tempelherr; er ſchien es nur. —
Koͤmmt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewiſſen Tode nach Jeruſalem:
Geht keiner in Jeruſalem ſo frey
Umher: wie haͤtte mich des Nachts freywillig
Denn einer retten koͤnnen?
Nathan.
Sieh! wie ſinnreich.
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Jch hab’ es ja
Von dir, daß er gefangen hergeſchickt
Jſt worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.
Daja.
Nun ja. — So ſagt man freylich; — doch man ſagt
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er ſeiner Bruͤder einem,
Den er beſonders lieb gehabt, ſo aͤhnlich ſehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Daß dieſer Bruder nicht mehr lebt, — er hieß,
Jch weiß nicht wie; — er blieb, ich weiß nicht wo: —
So klingt das ja ſo gar — ſo gar unglaublich,
Daß an der ganzen Sache wohl nichts iſt.
Nathan.
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Zitationshilfe: | Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/23>, abgerufen am 16.02.2025. |