Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
Der einen Ring von unschätzbarem Werth'
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
Jn dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bey seinem Hause zu
Erhalten? Nehmlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, daß dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sey; und stets der Liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. --
Versteh mich, Sultan.
Saladin.
Jch versteh dich. Weiter!
Nathan.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drey Söhnen;
Die alle drey ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drey er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, -- so wie jeder sich mit ihm
Allein
H 5
Der einen Ring von unſchaͤtzbarem Werth’
Aus lieber Hand beſaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert ſchoͤne Farben ſpielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menſchen angenehm zu machen, wer
Jn dieſer Zuverſicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann in Oſten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfuͤgung traf,
Auf ewig ihn bey ſeinem Hauſe zu
Erhalten? Nehmlich ſo. Er ließ den Ring
Von ſeinen Soͤhnen dem Geliebteſten;
Und ſetzte feſt, daß dieſer wiederum
Den Ring von ſeinen Soͤhnen dem vermache,
Der ihm der liebſte ſey; und ſtets der Liebſte,
Ohn’ Anſehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fuͤrſt des Hauſes werde. —
Verſteh mich, Sultan.
Saladin.
Jch verſteh dich. Weiter!
Nathan.
So kam nun dieſer Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drey Soͤhnen;
Die alle drey ihm gleich gehorſam waren,
Die alle drey er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit ſchien ihm bald der, bald dieſer, bald
Der dritte, — ſo wie jeder ſich mit ihm
Allein
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#NAT">
              <p><pb facs="#f0129" n="121"/>
Der einen Ring von un&#x017F;cha&#x0364;tzbarem Werth&#x2019;<lb/>
Aus lieber Hand be&#x017F;aß. Der Stein war ein<lb/>
Opal, der hundert &#x017F;cho&#x0364;ne Farben &#x017F;pielte,<lb/>
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott<lb/>
Und Men&#x017F;chen angenehm zu machen, wer<lb/>
Jn die&#x017F;er Zuver&#x017F;icht ihn trug. Was Wunder,<lb/>
Daß ihn der Mann in O&#x017F;ten darum nie<lb/>
Vom Finger ließ; und die Verfu&#x0364;gung traf,<lb/>
Auf ewig ihn bey &#x017F;einem Hau&#x017F;e zu<lb/>
Erhalten? Nehmlich &#x017F;o. Er ließ den Ring<lb/>
Von &#x017F;einen So&#x0364;hnen dem Geliebte&#x017F;ten;<lb/>
Und &#x017F;etzte fe&#x017F;t, daß die&#x017F;er wiederum<lb/>
Den Ring von &#x017F;einen So&#x0364;hnen dem vermache,<lb/>
Der ihm der lieb&#x017F;te &#x017F;ey; und &#x017F;tets der Lieb&#x017F;te,<lb/>
Ohn&#x2019; An&#x017F;ehn der Geburt, in Kraft allein<lb/>
Des Rings, das Haupt, der Fu&#x0364;r&#x017F;t des Hau&#x017F;es werde. &#x2014;<lb/>
Ver&#x017F;teh mich, Sultan.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#SAL">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Saladin.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">Jch ver&#x017F;teh dich. Weiter!</hi> </p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#NAT">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>So kam nun die&#x017F;er Ring, von Sohn zu Sohn,<lb/>
Auf einen Vater endlich von drey So&#x0364;hnen;<lb/>
Die alle drey ihm gleich gehor&#x017F;am waren,<lb/>
Die alle drey er folglich gleich zu lieben<lb/>
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit<lb/>
Zu Zeit &#x017F;chien ihm bald der, bald die&#x017F;er, bald<lb/>
Der dritte, &#x2014; &#x017F;o wie jeder &#x017F;ich mit ihm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Allein</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0129] Der einen Ring von unſchaͤtzbarem Werth’ Aus lieber Hand beſaß. Der Stein war ein Opal, der hundert ſchoͤne Farben ſpielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menſchen angenehm zu machen, wer Jn dieſer Zuverſicht ihn trug. Was Wunder, Daß ihn der Mann in Oſten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfuͤgung traf, Auf ewig ihn bey ſeinem Hauſe zu Erhalten? Nehmlich ſo. Er ließ den Ring Von ſeinen Soͤhnen dem Geliebteſten; Und ſetzte feſt, daß dieſer wiederum Den Ring von ſeinen Soͤhnen dem vermache, Der ihm der liebſte ſey; und ſtets der Liebſte, Ohn’ Anſehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fuͤrſt des Hauſes werde. — Verſteh mich, Sultan. Saladin. Jch verſteh dich. Weiter! Nathan. So kam nun dieſer Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drey Soͤhnen; Die alle drey ihm gleich gehorſam waren, Die alle drey er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit ſchien ihm bald der, bald dieſer, bald Der dritte, — ſo wie jeder ſich mit ihm Allein H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/129
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/129>, abgerufen am 23.04.2024.