Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! -- Und ich muß dir sagen,
Jch selber fühle meinen Boden, wenn
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
So ausgezehrt durch deine Blumen; fühle
Jn ihrem Dufte, sauersüssem Dufte,
Mich so betäubt, so schwindelnd! -- Dein Gehirn
Jst dessen mehr gewohnt. Jch tadle drum
Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,
Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrinn
Gemacht? -- Noch schäm' ich mich vor meinem Vater
Der Posse!
Daja.
Posse! -- Als ob der Verstand
Nur hier zu Hause wäre! Posse! Posse!
Wenn ich nur reden dürfte!
Recha.
Darfst du nicht?
Wenn war ich nicht ganz Ohr, so oft es dir
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich
Zu unterhalten? Hab ich ihren Thaten
Nicht stets Bewunderung; und ihren Leiden
Nicht immer Thränen gern gezollt? Jhr Glaube
Schien freylich mir das Heldenmäßigste
An ihnen nie. Doch so viel tröstender
War mir die Lehre, daß Ergebenheit
Jn Gott von unserm Wähnen über Gott
So
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! — Und ich muß dir ſagen,
Jch ſelber fuͤhle meinen Boden, wenn
Sie noch ſo ſchoͤn ihn kleiden, ſo entkraͤftet,
So ausgezehrt durch deine Blumen; fuͤhle
Jn ihrem Dufte, ſauerſuͤſſem Dufte,
Mich ſo betaͤubt, ſo ſchwindelnd! — Dein Gehirn
Jſt deſſen mehr gewohnt. Jch tadle drum
Die ſtaͤrkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
Nur ſchlaͤgt er mir nicht zu; und ſchon dein Engel,
Wie wenig fehlte, daß er mich zur Naͤrrinn
Gemacht? — Noch ſchaͤm’ ich mich vor meinem Vater
Der Poſſe!
Daja.
Poſſe! — Als ob der Verſtand
Nur hier zu Hauſe waͤre! Poſſe! Poſſe!
Wenn ich nur reden duͤrfte!
Recha.
Darfſt du nicht?
Wenn war ich nicht ganz Ohr, ſo oft es dir
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich
Zu unterhalten? Hab ich ihren Thaten
Nicht ſtets Bewunderung; und ihren Leiden
Nicht immer Thraͤnen gern gezollt? Jhr Glaube
Schien freylich mir das Heldenmaͤßigſte
An ihnen nie. Doch ſo viel troͤſtender
War mir die Lehre, daß Ergebenheit
Jn Gott von unſerm Waͤhnen uͤber Gott
So
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#REC">
              <p><pb facs="#f0108" n="100"/>
Er will nun deine bunten Blumen nicht<lb/>
Auf meinem Boden! &#x2014; Und ich muß dir &#x017F;agen,<lb/>
Jch &#x017F;elber fu&#x0364;hle meinen Boden, wenn<lb/>
Sie noch &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n ihn kleiden, &#x017F;o entkra&#x0364;ftet,<lb/>
So ausgezehrt durch deine Blumen; fu&#x0364;hle<lb/>
Jn ihrem Dufte, &#x017F;auer&#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;em Dufte,<lb/>
Mich &#x017F;o beta&#x0364;ubt, &#x017F;o &#x017F;chwindelnd! &#x2014; Dein Gehirn<lb/>
J&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en mehr gewohnt. Jch tadle drum<lb/>
Die &#x017F;ta&#x0364;rkern Nerven nicht, die ihn vertragen.<lb/>
Nur &#x017F;chla&#x0364;gt er mir nicht zu; und &#x017F;chon dein Engel,<lb/>
Wie wenig fehlte, daß er mich zur Na&#x0364;rrinn<lb/>
Gemacht? &#x2014; Noch &#x017F;cha&#x0364;m&#x2019; ich mich vor meinem Vater<lb/>
Der Po&#x017F;&#x017F;e!</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#DAJ">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Daja.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Po&#x017F;&#x017F;e! &#x2014; Als ob der Ver&#x017F;tand</hi><lb/>
Nur hier zu Hau&#x017F;e wa&#x0364;re! Po&#x017F;&#x017F;e! Po&#x017F;&#x017F;e!<lb/>
Wenn ich nur reden du&#x0364;rfte!</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#REC">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Recha.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Darf&#x017F;t du nicht?</hi><lb/>
Wenn war ich nicht ganz Ohr, &#x017F;o oft es dir<lb/>
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich<lb/>
Zu unterhalten? Hab ich ihren Thaten<lb/>
Nicht &#x017F;tets Bewunderung; und ihren Leiden<lb/>
Nicht immer Thra&#x0364;nen gern gezollt? Jhr Glaube<lb/>
Schien freylich mir das Heldenma&#x0364;ßig&#x017F;te<lb/>
An ihnen nie. Doch &#x017F;o viel tro&#x0364;&#x017F;tender<lb/>
War mir die Lehre, daß Ergebenheit<lb/>
Jn Gott von un&#x017F;erm Wa&#x0364;hnen u&#x0364;ber Gott<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0108] Er will nun deine bunten Blumen nicht Auf meinem Boden! — Und ich muß dir ſagen, Jch ſelber fuͤhle meinen Boden, wenn Sie noch ſo ſchoͤn ihn kleiden, ſo entkraͤftet, So ausgezehrt durch deine Blumen; fuͤhle Jn ihrem Dufte, ſauerſuͤſſem Dufte, Mich ſo betaͤubt, ſo ſchwindelnd! — Dein Gehirn Jſt deſſen mehr gewohnt. Jch tadle drum Die ſtaͤrkern Nerven nicht, die ihn vertragen. Nur ſchlaͤgt er mir nicht zu; und ſchon dein Engel, Wie wenig fehlte, daß er mich zur Naͤrrinn Gemacht? — Noch ſchaͤm’ ich mich vor meinem Vater Der Poſſe! Daja. Poſſe! — Als ob der Verſtand Nur hier zu Hauſe waͤre! Poſſe! Poſſe! Wenn ich nur reden duͤrfte! Recha. Darfſt du nicht? Wenn war ich nicht ganz Ohr, ſo oft es dir Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich Zu unterhalten? Hab ich ihren Thaten Nicht ſtets Bewunderung; und ihren Leiden Nicht immer Thraͤnen gern gezollt? Jhr Glaube Schien freylich mir das Heldenmaͤßigſte An ihnen nie. Doch ſo viel troͤſtender War mir die Lehre, daß Ergebenheit Jn Gott von unſerm Waͤhnen uͤber Gott So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/108
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/108>, abgerufen am 19.04.2024.