Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Berlin, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Minna von Barnhelm,


Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von
ungefehr wieder hier in den Saal --
Franciska. Von ungefehr, in der Absicht, ein
wenig zu horchen.
Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie
das von mir denken? Einem Wirthe läßt nichts
übler, als Neugierde. -- Jch war nicht lange
hier, so prellte auf einmal die Thüre bey dem gnä-
digen Fräulein auf. Der Major stürzte heraus; das
Fräulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit
Blicken, in einer Stellung -- so was läßt sich nur
sehen. Sie ergriff ihn; er riß sich los; sie ergriff
ihn wieder. Tellheim! -- Fräulein! lassen Sie
mich! -- Wohin? So zog er sie bis an die Treppe.
Mir war schon bange, er würde sie mit herab-
reißen. Aber er wand sich noch los. Das Fräu-
lein blieb an der obersten Schwelle stehn;
sah ihm nach; rief ihm nach; rang die Hände.
Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem
Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe,
von der Treppe in dem Saale hin und wieder.
Hier stand ich; hier gieng sie dreymal bey mir vor-
bey, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob
sie
Minna von Barnhelm,


Kind, unten in der Kuͤche verließ, ſo kam ich von
ungefehr wieder hier in den Saal —
Franciska. Von ungefehr, in der Abſicht, ein
wenig zu horchen.
Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie
das von mir denken? Einem Wirthe laͤßt nichts
uͤbler, als Neugierde. — Jch war nicht lange
hier, ſo prellte auf einmal die Thuͤre bey dem gnaͤ-
digen Fraͤulein auf. Der Major ſtuͤrzte heraus; das
Fraͤulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit
Blicken, in einer Stellung — ſo was laͤßt ſich nur
ſehen. Sie ergriff ihn; er riß ſich los; ſie ergriff
ihn wieder. Tellheim! — Fraͤulein! laſſen Sie
mich! — Wohin? So zog er ſie bis an die Treppe.
Mir war ſchon bange, er wuͤrde ſie mit herab-
reißen. Aber er wand ſich noch los. Das Fraͤu-
lein blieb an der oberſten Schwelle ſtehn;
ſah ihm nach; rief ihm nach; rang die Haͤnde.
Auf einmal wandte ſie ſich um, lief nach dem
Fenſter, von dem Fenſter wieder zur Treppe,
von der Treppe in dem Saale hin und wieder.
Hier ſtand ich; hier gieng ſie dreymal bey mir vor-
bey, ohne mich zu ſehen. Endlich war es, als ob
ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#WIR">
            <p><pb facs="#f0086" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Minna von Barnhelm,</hi></fw><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Kind, unten in der Ku&#x0364;che verließ, &#x017F;o kam ich von<lb/>
ungefehr wieder hier in den Saal &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#FRA">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Franciska.</hi> </speaker>
            <p>Von ungefehr, in der Ab&#x017F;icht, ein<lb/>
wenig zu horchen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#WIR">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Der Wirth.</hi> </speaker>
            <p>Ey, mein Kind, wie kann Sie<lb/>
das von mir denken? Einem Wirthe la&#x0364;ßt nichts<lb/>
u&#x0364;bler, als Neugierde. &#x2014; Jch war nicht lange<lb/>
hier, &#x017F;o prellte auf einmal die Thu&#x0364;re bey dem gna&#x0364;-<lb/>
digen Fra&#x0364;ulein auf. Der Major &#x017F;tu&#x0364;rzte heraus; das<lb/>
Fra&#x0364;ulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit<lb/>
Blicken, in einer Stellung &#x2014; &#x017F;o was la&#x0364;ßt &#x017F;ich nur<lb/>
&#x017F;ehen. Sie ergriff ihn; er riß &#x017F;ich los; &#x017F;ie ergriff<lb/>
ihn wieder. Tellheim! &#x2014; Fra&#x0364;ulein! la&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
mich! &#x2014; Wohin? So zog er &#x017F;ie bis an die Treppe.<lb/>
Mir war &#x017F;chon bange, er wu&#x0364;rde &#x017F;ie mit herab-<lb/>
reißen. Aber er wand &#x017F;ich noch los. Das Fra&#x0364;u-<lb/>
lein blieb an der ober&#x017F;ten Schwelle &#x017F;tehn;<lb/>
&#x017F;ah ihm nach; rief ihm nach; rang die Ha&#x0364;nde.<lb/>
Auf einmal wandte &#x017F;ie &#x017F;ich um, lief nach dem<lb/>
Fen&#x017F;ter, von dem Fen&#x017F;ter wieder zur Treppe,<lb/>
von der Treppe in dem Saale hin und wieder.<lb/>
Hier &#x017F;tand ich; hier gieng &#x017F;ie dreymal bey mir vor-<lb/>
bey, ohne mich zu &#x017F;ehen. Endlich war es, als ob<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0086] Minna von Barnhelm, Kind, unten in der Kuͤche verließ, ſo kam ich von ungefehr wieder hier in den Saal — Franciska. Von ungefehr, in der Abſicht, ein wenig zu horchen. Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirthe laͤßt nichts uͤbler, als Neugierde. — Jch war nicht lange hier, ſo prellte auf einmal die Thuͤre bey dem gnaͤ- digen Fraͤulein auf. Der Major ſtuͤrzte heraus; das Fraͤulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung — ſo was laͤßt ſich nur ſehen. Sie ergriff ihn; er riß ſich los; ſie ergriff ihn wieder. Tellheim! — Fraͤulein! laſſen Sie mich! — Wohin? So zog er ſie bis an die Treppe. Mir war ſchon bange, er wuͤrde ſie mit herab- reißen. Aber er wand ſich noch los. Das Fraͤu- lein blieb an der oberſten Schwelle ſtehn; ſah ihm nach; rief ihm nach; rang die Haͤnde. Auf einmal wandte ſie ſich um, lief nach dem Fenſter, von dem Fenſter wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wieder. Hier ſtand ich; hier gieng ſie dreymal bey mir vor- bey, ohne mich zu ſehen. Endlich war es, als ob ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_minna_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_minna_1767/86
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Berlin, 1767, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_minna_1767/86>, abgerufen am 22.11.2024.