Lessing, Gotthold Ephraim: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Berlin, 1767.Minna von Barnhelm, Kind, unten in der Küche verließ, so kam ich von ungefehr wieder hier in den Saal -- Franciska. Von ungefehr, in der Absicht, ein wenig zu horchen. Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirthe läßt nichts übler, als Neugierde. -- Jch war nicht lange hier, so prellte auf einmal die Thüre bey dem gnä- digen Fräulein auf. Der Major stürzte heraus; das Fräulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung -- so was läßt sich nur sehen. Sie ergriff ihn; er riß sich los; sie ergriff ihn wieder. Tellheim! -- Fräulein! lassen Sie mich! -- Wohin? So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon bange, er würde sie mit herab- reißen. Aber er wand sich noch los. Das Fräu- lein blieb an der obersten Schwelle stehn; sah ihm nach; rief ihm nach; rang die Hände. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wieder. Hier stand ich; hier gieng sie dreymal bey mir vor- bey, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie
Minna von Barnhelm, Kind, unten in der Kuͤche verließ, ſo kam ich von ungefehr wieder hier in den Saal — Franciska. Von ungefehr, in der Abſicht, ein wenig zu horchen. Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirthe laͤßt nichts uͤbler, als Neugierde. — Jch war nicht lange hier, ſo prellte auf einmal die Thuͤre bey dem gnaͤ- digen Fraͤulein auf. Der Major ſtuͤrzte heraus; das Fraͤulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung — ſo was laͤßt ſich nur ſehen. Sie ergriff ihn; er riß ſich los; ſie ergriff ihn wieder. Tellheim! — Fraͤulein! laſſen Sie mich! — Wohin? So zog er ſie bis an die Treppe. Mir war ſchon bange, er wuͤrde ſie mit herab- reißen. Aber er wand ſich noch los. Das Fraͤu- lein blieb an der oberſten Schwelle ſtehn; ſah ihm nach; rief ihm nach; rang die Haͤnde. Auf einmal wandte ſie ſich um, lief nach dem Fenſter, von dem Fenſter wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wieder. Hier ſtand ich; hier gieng ſie dreymal bey mir vor- bey, ohne mich zu ſehen. Endlich war es, als ob ſie
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Minna von Barnhelm,
Kind, unten in der Kuͤche verließ, ſo kam ich von
ungefehr wieder hier in den Saal —
Franciska. Von ungefehr, in der Abſicht, ein
wenig zu horchen.
Der Wirth. Ey, mein Kind, wie kann Sie
das von mir denken? Einem Wirthe laͤßt nichts
uͤbler, als Neugierde. — Jch war nicht lange
hier, ſo prellte auf einmal die Thuͤre bey dem gnaͤ-
digen Fraͤulein auf. Der Major ſtuͤrzte heraus; das
Fraͤulein ihm nach; beide in einer Bewegung, mit
Blicken, in einer Stellung — ſo was laͤßt ſich nur
ſehen. Sie ergriff ihn; er riß ſich los; ſie ergriff
ihn wieder. Tellheim! — Fraͤulein! laſſen Sie
mich! — Wohin? So zog er ſie bis an die Treppe.
Mir war ſchon bange, er wuͤrde ſie mit herab-
reißen. Aber er wand ſich noch los. Das Fraͤu-
lein blieb an der oberſten Schwelle ſtehn;
ſah ihm nach; rief ihm nach; rang die Haͤnde.
Auf einmal wandte ſie ſich um, lief nach dem
Fenſter, von dem Fenſter wieder zur Treppe,
von der Treppe in dem Saale hin und wieder.
Hier ſtand ich; hier gieng ſie dreymal bey mir vor-
bey, ohne mich zu ſehen. Endlich war es, als ob
ſie
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