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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Nach dieser Wolfischen Verbesserung also, beruhet
die Verschiedenheit der Fabel nicht mehr, auf der
blossen Verschiedenheit der Subjecte, sondern auf
der Verschiedenheit der Prädicate, die von diesen
Subjecten gesagt werden. Ihr zu Folge kann eine
Fabel Menschen zu handelnden Personen haben,
und dennoch keine vernünftige Fabel seyn; so wie
sie eben nicht nothwendig eine sittliche Fabel seyn
muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die
oben angeführte Fabel von den zwey kämpfenden
Hähnen,
würde nach den Worten des Aphtho-
nius
eine sittliche Fabel seyn, weil sie die Eigen-
schaften und das Betragen gewisser Thiere nachah-
met; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphtho-
nius
genauer bestimmt hat, ist sie eine vernünf-
tige
Fabel, weil nicht das geringste von den Häh-
nen darinn gesagt wird, was ihnen nicht eigentlich
zukäme. So ist es mit mehrern: Z. E. der Vo-
gelsteller und die Schlange *; der Hund und der
Koch **; der Hund und der Gärtner ***; der Schä-

fer
* Fab. Aesop. 32.
** Fab. Aesop. 34.
*** Fab. Aesop. 67.

Nach dieſer Wolfiſchen Verbeſſerung alſo, beruhet
die Verſchiedenheit der Fabel nicht mehr, auf der
bloſſen Verſchiedenheit der Subjecte, ſondern auf
der Verſchiedenheit der Prädicate, die von dieſen
Subjecten geſagt werden. Ihr zu Folge kann eine
Fabel Menſchen zu handelnden Perſonen haben,
und dennoch keine vernünftige Fabel ſeyn; ſo wie
ſie eben nicht nothwendig eine ſittliche Fabel ſeyn
muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die
oben angeführte Fabel von den zwey kämpfenden
Hähnen,
würde nach den Worten des Aphtho-
nius
eine ſittliche Fabel ſeyn, weil ſie die Eigen-
ſchaften und das Betragen gewiſſer Thiere nachah-
met; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphtho-
nius
genauer beſtimmt hat, iſt ſie eine vernünf-
tige
Fabel, weil nicht das geringſte von den Häh-
nen darinn geſagt wird, was ihnen nicht eigentlich
zukäme. So iſt es mit mehrern: Z. E. der Vo-
gelſteller und die Schlange *; der Hund und der
Koch **; der Hund und der Gärtner ***; der Schä-

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* Fab. Aeſop. 32.
** Fab. Aeſop. 34.
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[198/0218] Nach dieſer Wolfiſchen Verbeſſerung alſo, beruhet die Verſchiedenheit der Fabel nicht mehr, auf der bloſſen Verſchiedenheit der Subjecte, ſondern auf der Verſchiedenheit der Prädicate, die von dieſen Subjecten geſagt werden. Ihr zu Folge kann eine Fabel Menſchen zu handelnden Perſonen haben, und dennoch keine vernünftige Fabel ſeyn; ſo wie ſie eben nicht nothwendig eine ſittliche Fabel ſeyn muß, weil Thiere in ihr aufgeführet werden. Die oben angeführte Fabel von den zwey kämpfenden Hähnen, würde nach den Worten des Aphtho- nius eine ſittliche Fabel ſeyn, weil ſie die Eigen- ſchaften und das Betragen gewiſſer Thiere nachah- met; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphtho- nius genauer beſtimmt hat, iſt ſie eine vernünf- tige Fabel, weil nicht das geringſte von den Häh- nen darinn geſagt wird, was ihnen nicht eigentlich zukäme. So iſt es mit mehrern: Z. E. der Vo- gelſteller und die Schlange *; der Hund und der Koch **; der Hund und der Gärtner ***; der Schä- fer * Fab. Aeſop. 32. ** Fab. Aeſop. 34. *** Fab. Aeſop. 67.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/218>, abgerufen am 03.05.2024.