Aristoteles scheinet diese Kraft des Wirklichen zwar gekannt zu haben; weil er sie aber aus einer unrechten Quelle herleitet, so konnte es nicht feh- len, er mußte eine falsche Anwendung davon ma- chen. Es wird nicht undienlich seyn, seine ganze Lehre von dem Exempel (peri paradeigmatos) hier zu übersehen*. Erst von seiner Eintheilung des Exempels: Paradeigmaton d eide duo estin, sagt er, en men gar esti paradeigmatos eidos, to legein prag- mata progege nemena, en de, to auta poiein. Toutou d en men parabole: en de logoi: oion oi aisopeioi kai libukoi. Die Eintheilung überhaupt ist richtig; von einem Commentator aber würde ich verlangen, daß er uns den Grund von der Unterabtheilung der erdichteten Exempel beybrächte, und uns lehrte, warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, und mehrere nicht geben könne. Er würde diesen Grund, wie ich es oben gethan habe, leicht aus den Bey- spielen selbst abstrahiren können, die Aristoteles da- von giebt. Die Parabel nehmlich führt er durch ein osper ei tis ein; und die Fabeln erzehlt er als
etwas
*Aristoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.
Ariſtoteles ſcheinet dieſe Kraft des Wirklichen zwar gekannt zu haben; weil er ſie aber aus einer unrechten Quelle herleitet, ſo konnte es nicht feh- len, er mußte eine falſche Anwendung davon ma- chen. Es wird nicht undienlich ſeyn, ſeine ganze Lehre von dem Exempel (περι παραδειγματος) hier zu überſehen*. Erſt von ſeiner Eintheilung des Exempels: Παραδειγματων δ̛ ἐιδη δυο ἐϛιν, ſagt er, ἑν μεν γαρ ἐϛι παραδειγματος ἐιδος, το λεγειν πραγ- ματα προγεγε νημενα, ἑν δε, το ἁυτα ποιειν. Τουτου δ̛ ἑν μεν παραβολη: ἑν δε λογοι: οἱον ὁι αισωπειοι και λιβυκοι. Die Eintheilung überhaupt iſt richtig; von einem Commentator aber würde ich verlangen, daß er uns den Grund von der Unterabtheilung der erdichteten Exempel beybrächte, und uns lehrte, warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, und mehrere nicht geben könne. Er würde dieſen Grund, wie ich es oben gethan habe, leicht aus den Bey- ſpielen ſelbſt abſtrahiren können, die Ariſtoteles da- von giebt. Die Parabel nehmlich führt er durch ein ὡσπερ ἐι τις ein; und die Fabeln erzehlt er als
etwas
*Ariſtoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.
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Ariſtoteles ſcheinet dieſe Kraft des Wirklichen
zwar gekannt zu haben; weil er ſie aber aus einer
unrechten Quelle herleitet, ſo konnte es nicht feh-
len, er mußte eine falſche Anwendung davon ma-
chen. Es wird nicht undienlich ſeyn, ſeine ganze
Lehre von dem Exempel (περι παραδειγματος) hier
zu überſehen *. Erſt von ſeiner Eintheilung des
Exempels: Παραδειγματων δ̛ ἐιδη δυο ἐϛιν, ſagt er,
ἑν μεν γαρ ἐϛι παραδειγματος ἐιδος, το λεγειν πραγ-
ματα προγεγε νημενα, ἑν δε, το ἁυτα ποιειν. Τουτου
δ̛ ἑν μεν παραβολη: ἑν δε λογοι: οἱον ὁι αισωπειοι και
λιβυκοι. Die Eintheilung überhaupt iſt richtig;
von einem Commentator aber würde ich verlangen,
daß er uns den Grund von der Unterabtheilung der
erdichteten Exempel beybrächte, und uns lehrte,
warum es deren nur zweyerley Arten gäbe, und
mehrere nicht geben könne. Er würde dieſen Grund,
wie ich es oben gethan habe, leicht aus den Bey-
ſpielen ſelbſt abſtrahiren können, die Ariſtoteles da-
von giebt. Die Parabel nehmlich führt er durch
ein ὡσπερ ἐι τις ein; und die Fabeln erzehlt er als
etwas
* Ariſtoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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