eine Regel, eine Vorschrift? Und gleichwohl ist sie das Resultat einer von den schönsten Fabeln des Phädrus*. Es ist zwar wahr, aus jedem solchen Erfahrungssatze können leicht eigentliche Vorschrif- ten und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für eine Fabel seyn, in welcher ich den Satz mit allen seinen Folgerungen auf einmal, anschauend erkennen sollte?
Unter einem allegorischen Bilde? -- Ueber das Allegorische habe ich mich bereits erkläret. Aber Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieses Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es viel- leicht nur ergriffen, um vom de la Motte lieber auf Gerathewohl abzugehen, als nach ihm Recht zu haben? -- Ein Bild heißt überhaupt jede sinn- liche Vorstellung eines Dinges nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderun- gen, deren das Ding fähig ist, sondern allein die,
in
*Libri I. Fab. 15.
eine Regel, eine Vorſchrift? Und gleichwohl iſt ſie das Reſultat einer von den ſchönſten Fabeln des Phädrus*. Es iſt zwar wahr, aus jedem ſolchen Erfahrungsſatze können leicht eigentliche Vorſchrif- ten und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für eine Fabel ſeyn, in welcher ich den Satz mit allen ſeinen Folgerungen auf einmal, anſchauend erkennen ſollte?
Unter einem allegoriſchen Bilde? — Ueber das Allegoriſche habe ich mich bereits erkläret. Aber Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieſes Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es viel- leicht nur ergriffen, um vom de la Motte lieber auf Gerathewohl abzugehen, als nach ihm Recht zu haben? — Ein Bild heißt überhaupt jede ſinn- liche Vorſtellung eines Dinges nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderun- gen, deren das Ding fähig iſt, ſondern allein die,
in
*Libri I. Fab. 15.
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eine Regel, eine Vorſchrift? Und gleichwohl iſt ſie
das Reſultat einer von den ſchönſten Fabeln des
Phädrus *. Es iſt zwar wahr, aus jedem ſolchen
Erfahrungsſatze können leicht eigentliche Vorſchrif-
ten und Regeln gezogen werden. Aber was in
dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum
auch in der Fabel. Und was müßte das für eine
Fabel ſeyn, in welcher ich den Satz mit allen ſeinen
Folgerungen auf einmal, anſchauend erkennen
ſollte?
Unter einem allegoriſchen Bilde? — Ueber
das Allegoriſche habe ich mich bereits erkläret. Aber
Bild! (Image) Unmöglich kann Richer dieſes
Wort mit Bedacht gewehlt haben. Hat er es viel-
leicht nur ergriffen, um vom de la Motte lieber
auf Gerathewohl abzugehen, als nach ihm Recht
zu haben? — Ein Bild heißt überhaupt jede ſinn-
liche Vorſtellung eines Dinges nach einer einzigen
ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir
nicht mehrere, oder gar alle mögliche Veränderun-
gen, deren das Ding fähig iſt, ſondern allein die,
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* Libri I. Fab. 15.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/154>, abgerufen am 16.02.2025.
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