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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Verhältnisse, in welchen sie gegen einander an Größe
und Macht gestanden, erinnern können? Ich wür-
de meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht ha-
ben; und ich möchte ihn gern allen so faßlich, als
möglich, machen. Ich falle auf die Thiere; und
warum sollte ich nicht eine Reihe von Thieren wäh-
len dürfen; besonders wenn es allgemein bekannte
Thiere wären? Ein Auerhahn -- ein Marder --
ein Fuchs -- ein Wolf -- Wir kennen diese Thiere;
wir dürfen sie nur nennen hören, um sogleich zu
wissen, welches das stärkere oder das schwächere ist.
Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den
Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der
Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht.
Das ist mir noch nicht gewiß genug. Ich sage also:
er fraß. Und siehe, mein Satz ist zur Fabel ge-
worden!

Ein Marder fraß den Auerhahn;
Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn *.

Was kann ich nun sagen, daß in dieser Fabel für
eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwäch-

ste;
* von Hagedorn; Fabeln und Erzehlungen, erstes Buch. S. 77.

Verhältniſſe, in welchen ſie gegen einander an Größe
und Macht geſtanden, erinnern können? Ich wür-
de meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht ha-
ben; und ich möchte ihn gern allen ſo faßlich, als
möglich, machen. Ich falle auf die Thiere; und
warum ſollte ich nicht eine Reihe von Thieren wäh-
len dürfen; beſonders wenn es allgemein bekannte
Thiere wären? Ein Auerhahn — ein Marder —
ein Fuchs — ein Wolf — Wir kennen dieſe Thiere;
wir dürfen ſie nur nennen hören, um ſogleich zu
wiſſen, welches das ſtärkere oder das ſchwächere iſt.
Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den
Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der
Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht.
Das iſt mir noch nicht gewiß genug. Ich ſage alſo:
er fraß. Und ſiehe, mein Satz iſt zur Fabel ge-
worden!

Ein Marder fraß den Auerhahn;
Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn *.

Was kann ich nun ſagen, daß in dieſer Fabel für
eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwäch-

ſte;
* von Hagedorn; Fabeln und Erzehlungen, erſtes Buch. S. 77.
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[122/0142] Verhältniſſe, in welchen ſie gegen einander an Größe und Macht geſtanden, erinnern können? Ich wür- de meinen Satz nur wenigen faßlicher gemacht ha- ben; und ich möchte ihn gern allen ſo faßlich, als möglich, machen. Ich falle auf die Thiere; und warum ſollte ich nicht eine Reihe von Thieren wäh- len dürfen; beſonders wenn es allgemein bekannte Thiere wären? Ein Auerhahn — ein Marder — ein Fuchs — ein Wolf — Wir kennen dieſe Thiere; wir dürfen ſie nur nennen hören, um ſogleich zu wiſſen, welches das ſtärkere oder das ſchwächere iſt. Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den Auerhahn; der Fuchs den Marder; den Fuchs der Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht. Das iſt mir noch nicht gewiß genug. Ich ſage alſo: er fraß. Und ſiehe, mein Satz iſt zur Fabel ge- worden! Ein Marder fraß den Auerhahn; Den Marder würgt ein Fuchs; den Fuchs des Wolfes Zahn *. Was kann ich nun ſagen, daß in dieſer Fabel für eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwäch- ſte; * von Hagedorn; Fabeln und Erzehlungen, erſtes Buch. S. 77.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/142>, abgerufen am 23.11.2024.