Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

guten Erklärung verbannt seyn. -- Und wie, wenn
es hier gar nicht einmal an seiner Stelle stünde?
Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der
Fabel an sich selbst allegorisch sey? Und wenn sie es
höchstens unter gewissen Umständen nur werden
könnte?

Quintilian lehret:

Allegoria, quam Inversio-
nem interpretamur, aliud verbis, aliud sensu osten-
dit, ac etiam interim contrarium
*.

Die Allegorie
sagt das nicht, was sie nach den Worten zu sagen
scheinet, sondern etwas anders. Die neuern Lehrer
der Rhetorik erinnern, daß dieses etwas andere
auf etwas anderes ähnliches einzuschränken sey,
weil sonst auch jede Ironie eine Allegorie seyn
würde **. Die letztern Worte des Quintilians,

ac
etiam interim contrarium,

sind ihnen hierinn zwar
offenbar zuwider: aber es mag seyn.

Die
* Quinctilianus lib. VIII. cap. 6.
** Allegoria dicitur, quia allo men agoreuei, allo de
noei. Et istud allo restringi debet ad aliud simile, alias
etiam omnis Ironia Allegoria esset. Vossius Inst. Orat.
libr. III
.

guten Erklärung verbannt ſeyn. — Und wie, wenn
es hier gar nicht einmal an ſeiner Stelle ſtünde?
Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der
Fabel an ſich ſelbſt allegoriſch ſey? Und wenn ſie es
höchſtens unter gewiſſen Umſtänden nur werden
könnte?

Quintilian lehret:

Αλληγορια, quam Inverſio-
nem interpretamur, aliud verbis, aliud ſenſu oſten-
dit, ac etiam interim contrarium
*.

Die Allegorie
ſagt das nicht, was ſie nach den Worten zu ſagen
ſcheinet, ſondern etwas anders. Die neuern Lehrer
der Rhetorik erinnern, daß dieſes etwas andere
auf etwas anderes ähnliches einzuſchränken ſey,
weil ſonſt auch jede Ironie eine Allegorie ſeyn
würde **. Die letztern Worte des Quintilians,

ac
etiam interim contrarium,

ſind ihnen hierinn zwar
offenbar zuwider: aber es mag ſeyn.

Die
* Quinctilianus lib. VIII. cap. 6.
** Allegoria dicitur, quia ἀλλο μεν ἀγορευει, άλλο δε
νοει. Et iſtud ἀλλο reſtringi debet ad aliud ſimile, alias
etiam omnis Ironia Allegoria eſſet. Voſſius Inſt. Orat.
libr. III
.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0140" n="120"/>
guten Erklärung verbannt &#x017F;eyn. &#x2014; Und wie, wenn<lb/>
es hier gar nicht einmal an &#x017F;einer Stelle &#x017F;tünde?<lb/>
Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der<lb/>
Fabel an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t allegori&#x017F;ch &#x017F;ey? Und wenn &#x017F;ie es<lb/>
höch&#x017F;tens unter gewi&#x017F;&#x017F;en Um&#x017F;tänden nur werden<lb/>
könnte?</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Quintilian</hi> lehret:</p>
            <cit>
              <quote>&#x0391;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B7;&#x03B3;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B9;&#x03B1;, <hi rendition="#aq">quam Inver&#x017F;io-<lb/>
nem interpretamur, aliud verbis, aliud &#x017F;en&#x017F;u o&#x017F;ten-<lb/>
dit, ac etiam interim contrarium</hi> <note place="foot" n="*"><hi rendition="#aq">Quinctilianus lib. VIII. cap.</hi> 6.</note>.</quote>
              <bibl/>
            </cit>
            <p>Die <hi rendition="#fr">Allegorie</hi><lb/>
&#x017F;agt das nicht, was &#x017F;ie nach den Worten zu &#x017F;agen<lb/>
&#x017F;cheinet, &#x017F;ondern etwas anders. Die neuern Lehrer<lb/>
der Rhetorik erinnern, daß die&#x017F;es <hi rendition="#fr">etwas andere</hi><lb/>
auf etwas <hi rendition="#fr">anderes ähnliches</hi> einzu&#x017F;chränken &#x017F;ey,<lb/>
weil &#x017F;on&#x017F;t auch jede <hi rendition="#fr">Ironie</hi> eine <hi rendition="#fr">Allegorie</hi> &#x017F;eyn<lb/>
würde <note place="foot" n="**"><hi rendition="#aq">Allegoria dicitur, quia</hi> &#x1F00;&#x03BB;&#x03BB;&#x03BF; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BD; &#x1F00;&#x03B3;&#x03BF;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C5;&#x03B5;&#x03B9;, &#x03AC;&#x03BB;&#x03BB;&#x03BF; &#x03B4;&#x03B5;<lb/>
&#x03BD;&#x03BF;&#x03B5;&#x03B9;. <hi rendition="#aq">Et i&#x017F;tud</hi> &#x1F00;&#x03BB;&#x03BB;&#x03BF; <hi rendition="#aq">re&#x017F;tringi debet ad aliud &#x017F;imile, alias<lb/>
etiam omnis Ironia Allegoria e&#x017F;&#x017F;et. <hi rendition="#i">Vo&#x017F;&#x017F;ius In&#x017F;t. Orat.<lb/>
libr. III</hi>.</hi></note>. Die letztern Worte des <hi rendition="#fr">Quintilians</hi>,</p>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#aq">ac<lb/>
etiam interim contrarium,</hi> </quote>
              <bibl/>
            </cit>
            <p>&#x017F;ind ihnen hierinn zwar<lb/>
offenbar zuwider: aber es mag &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0140] guten Erklärung verbannt ſeyn. — Und wie, wenn es hier gar nicht einmal an ſeiner Stelle ſtünde? Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung der Fabel an ſich ſelbſt allegoriſch ſey? Und wenn ſie es höchſtens unter gewiſſen Umſtänden nur werden könnte? Quintilian lehret: Αλληγορια, quam Inverſio- nem interpretamur, aliud verbis, aliud ſenſu oſten- dit, ac etiam interim contrarium *. Die Allegorie ſagt das nicht, was ſie nach den Worten zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas anders. Die neuern Lehrer der Rhetorik erinnern, daß dieſes etwas andere auf etwas anderes ähnliches einzuſchränken ſey, weil ſonſt auch jede Ironie eine Allegorie ſeyn würde **. Die letztern Worte des Quintilians, ac etiam interim contrarium, ſind ihnen hierinn zwar offenbar zuwider: aber es mag ſeyn. Die * Quinctilianus lib. VIII. cap. 6. ** Allegoria dicitur, quia ἀλλο μεν ἀγορευει, άλλο δε νοει. Et iſtud ἀλλο reſtringi debet ad aliud ſimile, alias etiam omnis Ironia Allegoria eſſet. Voſſius Inſt. Orat. libr. III.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/140
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/140>, abgerufen am 02.05.2024.