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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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übrigen Hof damen rufen soll: aber die Königinn
will lieber allein seyn; nur Jrene soll kommen,
und vor dem Zimmer singen. Blanca geht auf
der einen Seite nach Jrenen ab, und von der
andern kömmt der Graf.

Essex liebt die Blanca: aber er ist ehrgeitzig
genug, auch der Liebhaber der Königinn seyn
zu wollen. Er wirft sich diesen Ehrgeitz selbst
vor; er bestraft sich deswegen; sein Herz gehört
der Blanca; eigennützige Absichten müssen es
ihr nicht entziehen wollen; unechte Convenienz
muß keinen echten Affekt besiegen. (*) Er will
sich also lieber wieder entfernen, als er die Kö-
niginn gewahr wird: und die Königinn, als sie
ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen.
Aber sie bleiben beide. Jndem fängt Jrene vor
dem Zimmer an zu singen. Sie singt eine Re-
dondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, dessen
Sinn dieser ist: "Sollten meine verliebten Kla-

"gen
(*) Abate, abate las alas,
No subas tanto, busquemos
Mas proporcionada esfera
A tan limitado vuelo.
Blanca me quiere, y a Blanca
Adoro yo ya en mi duenno;
Pues como de amor tan noble
Por una ambicion me alexo?
No conveniencia bastarda
Venza un legitimo afecto.
L 3

übrigen Hof damen rufen ſoll: aber die Königinn
will lieber allein ſeyn; nur Jrene ſoll kommen,
und vor dem Zimmer ſingen. Blanca geht auf
der einen Seite nach Jrenen ab, und von der
andern kömmt der Graf.

Eſſex liebt die Blanca: aber er iſt ehrgeitzig
genug, auch der Liebhaber der Königinn ſeyn
zu wollen. Er wirft ſich dieſen Ehrgeitz ſelbſt
vor; er beſtraft ſich deswegen; ſein Herz gehört
der Blanca; eigennützige Abſichten müſſen es
ihr nicht entziehen wollen; unechte Convenienz
muß keinen echten Affekt beſiegen. (*) Er will
ſich alſo lieber wieder entfernen, als er die Kö-
niginn gewahr wird: und die Königinn, als ſie
ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen.
Aber ſie bleiben beide. Jndem fängt Jrene vor
dem Zimmer an zu ſingen. Sie ſingt eine Re-
dondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, deſſen
Sinn dieſer iſt: „Sollten meine verliebten Kla-

„gen
(*) Abate, abate las alas,
No ſubas tanto, buſquemos
Mas proporcionada esfera
A tan limitado vuelo.
Blanca me quiere, y a Blanca
Adoro yo ya en mi dueño;
Pues como de amor tan noble
Por una ambicion me alexo?
No conveniencia baſtarda
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L 3
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[85/0091] übrigen Hof damen rufen ſoll: aber die Königinn will lieber allein ſeyn; nur Jrene ſoll kommen, und vor dem Zimmer ſingen. Blanca geht auf der einen Seite nach Jrenen ab, und von der andern kömmt der Graf. Eſſex liebt die Blanca: aber er iſt ehrgeitzig genug, auch der Liebhaber der Königinn ſeyn zu wollen. Er wirft ſich dieſen Ehrgeitz ſelbſt vor; er beſtraft ſich deswegen; ſein Herz gehört der Blanca; eigennützige Abſichten müſſen es ihr nicht entziehen wollen; unechte Convenienz muß keinen echten Affekt beſiegen. (*) Er will ſich alſo lieber wieder entfernen, als er die Kö- niginn gewahr wird: und die Königinn, als ſie ihn erblickt, will ihm gleichfalls ausweichen. Aber ſie bleiben beide. Jndem fängt Jrene vor dem Zimmer an zu ſingen. Sie ſingt eine Re- dondilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, deſſen Sinn dieſer iſt: „Sollten meine verliebten Kla- „gen (*) Abate, abate las alas, No ſubas tanto, buſquemos Mas proporcionada esfera A tan limitado vuelo. Blanca me quiere, y a Blanca Adoro yo ya en mi dueño; Pues como de amor tan noble Por una ambicion me alexo? No conveniencia baſtarda Venza un legitimo afecto. L 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/91>, abgerufen am 21.11.2024.