Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

zug selbst, wollte Blanca ihr zum Verderben ge-
reichen lassen. Sie hatte an ihren Oheim ge-
schrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm
wie seinem Bruder, ihrem Vater, ergehen,
nach Schottland geflohen war, wo er sich im
Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom-
men; und kurz, dieser Oheim war es gewesen,
welcher die Königinn in dem Garten ermorden
wollen. Nun weiß Essex, und wir mit ihm,
wer die Person ist, der er das Leben gerettet hat.
Aber Blanca weiß nicht, daß es Essex ist, wel-
cher ihren Anschlag vereiteln müssen. Sie rech-
net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren sie
Essex versichert, und wagt es, ihn nicht blos
zum Mitschuldigen machen zu wollen, sondern
ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer
Rache zu übertragen. Er soll sogleich an ihren
Oheim, der wieder nach Schottland geflohen ist,
schreiben, und gemeinschaftliche Sache mit ihm
machen. Die Tyranninn müsse sterben; ihr
Name sey allgemein verhaßt; ihr Tod sey eine
Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver-
diene es mehr als Essex, dem Vaterlande diese
Wohlthat zu verschaffen.

Essex ist über diesen Antrag äußerst betroffen.
Blanca, seine theure Blanca, kann ihm eine
solche Verrätherey zumuthen? Wie sehr schämt
er sich, in diesem Augenblicke, seiner Liebe!
Aber was soll er thun? Soll er ihr, wie es bil-

lig

zug ſelbſt, wollte Blanca ihr zum Verderben ge-
reichen laſſen. Sie hatte an ihren Oheim ge-
ſchrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm
wie ſeinem Bruder, ihrem Vater, ergehen,
nach Schottland geflohen war, wo er ſich im
Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom-
men; und kurz, dieſer Oheim war es geweſen,
welcher die Königinn in dem Garten ermorden
wollen. Nun weiß Eſſex, und wir mit ihm,
wer die Perſon iſt, der er das Leben gerettet hat.
Aber Blanca weiß nicht, daß es Eſſex iſt, wel-
cher ihren Anſchlag vereiteln müſſen. Sie rech-
net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren ſie
Eſſex verſichert, und wagt es, ihn nicht blos
zum Mitſchuldigen machen zu wollen, ſondern
ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer
Rache zu übertragen. Er ſoll ſogleich an ihren
Oheim, der wieder nach Schottland geflohen iſt,
ſchreiben, und gemeinſchaftliche Sache mit ihm
machen. Die Tyranninn müſſe ſterben; ihr
Name ſey allgemein verhaßt; ihr Tod ſey eine
Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver-
diene es mehr als Eſſex, dem Vaterlande dieſe
Wohlthat zu verſchaffen.

Eſſex iſt über dieſen Antrag äußerſt betroffen.
Blanca, ſeine theure Blanca, kann ihm eine
ſolche Verrätherey zumuthen? Wie ſehr ſchämt
er ſich, in dieſem Augenblicke, ſeiner Liebe!
Aber was ſoll er thun? Soll er ihr, wie es bil-

lig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0072" n="66"/>
zug &#x017F;elb&#x017F;t, wollte Blanca ihr zum Verderben ge-<lb/>
reichen la&#x017F;&#x017F;en. Sie hatte an ihren Oheim ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm<lb/>
wie &#x017F;einem Bruder, ihrem Vater, ergehen,<lb/>
nach Schottland geflohen war, wo er &#x017F;ich im<lb/>
Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom-<lb/>
men; und kurz, die&#x017F;er Oheim war es gewe&#x017F;en,<lb/>
welcher die Königinn in dem Garten ermorden<lb/>
wollen. Nun weiß E&#x017F;&#x017F;ex, und wir mit ihm,<lb/>
wer die Per&#x017F;on i&#x017F;t, der er das Leben gerettet hat.<lb/>
Aber Blanca weiß nicht, daß es E&#x017F;&#x017F;ex i&#x017F;t, wel-<lb/>
cher ihren An&#x017F;chlag vereiteln mü&#x017F;&#x017F;en. Sie rech-<lb/>
net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren &#x017F;ie<lb/>
E&#x017F;&#x017F;ex ver&#x017F;ichert, und wagt es, ihn nicht blos<lb/>
zum Mit&#x017F;chuldigen machen zu wollen, &#x017F;ondern<lb/>
ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer<lb/>
Rache zu übertragen. Er &#x017F;oll &#x017F;ogleich an ihren<lb/>
Oheim, der wieder nach Schottland geflohen i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;chreiben, und gemein&#x017F;chaftliche Sache mit ihm<lb/>
machen. Die Tyranninn mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;terben; ihr<lb/>
Name &#x017F;ey allgemein verhaßt; ihr Tod &#x017F;ey eine<lb/>
Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver-<lb/>
diene es mehr als E&#x017F;&#x017F;ex, dem Vaterlande die&#x017F;e<lb/>
Wohlthat zu ver&#x017F;chaffen.</p><lb/>
        <p>E&#x017F;&#x017F;ex i&#x017F;t über die&#x017F;en Antrag äußer&#x017F;t betroffen.<lb/>
Blanca, &#x017F;eine theure Blanca, kann ihm eine<lb/>
&#x017F;olche Verrätherey zumuthen? Wie &#x017F;ehr &#x017F;chämt<lb/>
er &#x017F;ich, in die&#x017F;em Augenblicke, &#x017F;einer Liebe!<lb/>
Aber was &#x017F;oll er thun? Soll er ihr, wie es bil-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lig</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0072] zug ſelbſt, wollte Blanca ihr zum Verderben ge- reichen laſſen. Sie hatte an ihren Oheim ge- ſchrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie ſeinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er ſich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom- men; und kurz, dieſer Oheim war es geweſen, welcher die Königinn in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Eſſex, und wir mit ihm, wer die Perſon iſt, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Eſſex iſt, wel- cher ihren Anſchlag vereiteln müſſen. Sie rech- net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren ſie Eſſex verſichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitſchuldigen machen zu wollen, ſondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er ſoll ſogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen iſt, ſchreiben, und gemeinſchaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyranninn müſſe ſterben; ihr Name ſey allgemein verhaßt; ihr Tod ſey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver- diene es mehr als Eſſex, dem Vaterlande dieſe Wohlthat zu verſchaffen. Eſſex iſt über dieſen Antrag äußerſt betroffen. Blanca, ſeine theure Blanca, kann ihm eine ſolche Verrätherey zumuthen? Wie ſehr ſchämt er ſich, in dieſem Augenblicke, ſeiner Liebe! Aber was ſoll er thun? Soll er ihr, wie es bil- lig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/72
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/72>, abgerufen am 29.03.2024.