Nun habe ich schon gesagt, daß unser Verfasser diese gewaltsame Entführung in eine kleine Schlägerey verwandelt hat. Er mag auch seine guten Ursachen dazu gehabt haben; wenn er nur diese Schlägerey selbst, nicht so spät hätte ge- schehen lassen. Auch sie sollte und müßte das seyn, was den strengen Vater auf bringt. So aber ist er schon aufgebracht, ehe sie geschieht, und man weis gar nicht worüber? Er tritt auf und zankt, ohne den geringsten Anlaß. Er sagt zwar: "Alle Leute reden von der schlechten "Aufführung deines Sohnes; ich darf nur ein- "mal den Fuß in die Stadt setzen, so höre ich "mein blaues Wunder." Aber was denn die Leute eben itzt reden; worinn das blaue Wun- der bestanden, das er eben itzt gehört, und worüber er ausdrücklich mit seinem Bruder zu zanken kömmt, das hören wir nicht, und können es auch aus dem Stücke nicht errathen. Kurz, unser Verfasser hätte den Umstand, der dem Demea in Harnisch bringt, zwar verändern können, aber er hätte ihn nicht versetzen müssen! Wenigstens, wenn er ihn versetzen wollen, hätte er den Demea im ersten Akte seine Unzufrieden- heit mit der Erziehungsart seines Bruders nur nach und nach müssen äußern, nicht aber auf einmal damit herausplatzen lassen. --
Möchten wenigstens nur diejenigen Stücke des Menanders auf uns gekommen seyn, welche
Terenz
Nun habe ich ſchon geſagt, daß unſer Verfaſſer dieſe gewaltſame Entführung in eine kleine Schlägerey verwandelt hat. Er mag auch ſeine guten Urſachen dazu gehabt haben; wenn er nur dieſe Schlägerey ſelbſt, nicht ſo ſpät hätte ge- ſchehen laſſen. Auch ſie ſollte und müßte das ſeyn, was den ſtrengen Vater auf bringt. So aber iſt er ſchon aufgebracht, ehe ſie geſchieht, und man weis gar nicht worüber? Er tritt auf und zankt, ohne den geringſten Anlaß. Er ſagt zwar: „Alle Leute reden von der ſchlechten „Aufführung deines Sohnes; ich darf nur ein- „mal den Fuß in die Stadt ſetzen, ſo höre ich „mein blaues Wunder.„ Aber was denn die Leute eben itzt reden; worinn das blaue Wun- der beſtanden, das er eben itzt gehört, und worüber er ausdrücklich mit ſeinem Bruder zu zanken kömmt, das hören wir nicht, und können es auch aus dem Stücke nicht errathen. Kurz, unſer Verfaſſer hätte den Umſtand, der dem Demea in Harniſch bringt, zwar verändern können, aber er hätte ihn nicht verſetzen müſſen! Wenigſtens, wenn er ihn verſetzen wollen, hätte er den Demea im erſten Akte ſeine Unzufrieden- heit mit der Erziehungsart ſeines Bruders nur nach und nach müſſen äußern, nicht aber auf einmal damit herausplatzen laſſen. —
Möchten wenigſtens nur diejenigen Stücke des Menanders auf uns gekommen ſeyn, welche
Terenz
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Nun habe ich ſchon geſagt, daß unſer Verfaſſer
dieſe gewaltſame Entführung in eine kleine
Schlägerey verwandelt hat. Er mag auch ſeine
guten Urſachen dazu gehabt haben; wenn er nur
dieſe Schlägerey ſelbſt, nicht ſo ſpät hätte ge-
ſchehen laſſen. Auch ſie ſollte und müßte das
ſeyn, was den ſtrengen Vater auf bringt. So
aber iſt er ſchon aufgebracht, ehe ſie geſchieht,
und man weis gar nicht worüber? Er tritt auf
und zankt, ohne den geringſten Anlaß. Er
ſagt zwar: „Alle Leute reden von der ſchlechten
„Aufführung deines Sohnes; ich darf nur ein-
„mal den Fuß in die Stadt ſetzen, ſo höre ich
„mein blaues Wunder.„ Aber was denn die
Leute eben itzt reden; worinn das blaue Wun-
der beſtanden, das er eben itzt gehört, und
worüber er ausdrücklich mit ſeinem Bruder zu
zanken kömmt, das hören wir nicht, und können
es auch aus dem Stücke nicht errathen. Kurz,
unſer Verfaſſer hätte den Umſtand, der dem
Demea in Harniſch bringt, zwar verändern
können, aber er hätte ihn nicht verſetzen müſſen!
Wenigſtens, wenn er ihn verſetzen wollen, hätte
er den Demea im erſten Akte ſeine Unzufrieden-
heit mit der Erziehungsart ſeines Bruders nur
nach und nach müſſen äußern, nicht aber auf
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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