bindet, die ganze Maschine aus einander fällt, und aus Einem allgemeinen Jnteresse zwey ganz verschiedene entstehen, die blos die Convenienz des Dichters, und keinesweges ihre eigene Na- tur zusammen hält!
Denn ist Aeschinus nicht blos der angenom- mene, sondern der leibliche Sohn des Micio, was hat Demea sich viel um ihn zu bekümmern? Der Sohn eines Bruders geht mich so nahe nicht an, als mein eigener. Wenn ich finde, daß jemand meinen eigenen Sohn verziehet, geschähe es auch in der besten Absicht von der Welt, so habe ich Recht, diesem gutherzigen Verführer mit aller der Heftigkeit zu begegnen, mit welcher, beym Terenz, Demea dem Micio begegnet. Aber wenn es nicht mein Sohn ist, wenn es der eigene Sohn des Verziehers ist, was kann ich mehr, was darf ich mehr, als daß ich diesem Verzieher warne, und wenn er mein Bruder ist, ihn öfters und ernstlich warne? Unser Verfasser setzt den Demea aus dem Ver- hältnisse, in welchem er bey dem Terenz stehet, aber er läßt ihm die nehmliche Ungestümheit, zu welcher ihn doch nur jenes Verhältniß berech- tigen konnte. Ja bey ihm schimpfet und tobet Demea noch weit ärger, als bey dem Terenz. Er will aus der Haut fahren, "daß er an seines "Bruders Kinde Schimpf und Schande erleben "muß." Wenn ihm nun aber dieser antwor-
tete:
bindet, die ganze Maſchine aus einander fällt, und aus Einem allgemeinen Jntereſſe zwey ganz verſchiedene entſtehen, die blos die Convenienz des Dichters, und keinesweges ihre eigene Na- tur zuſammen hält!
Denn iſt Aeſchinus nicht blos der angenom- mene, ſondern der leibliche Sohn des Micio, was hat Demea ſich viel um ihn zu bekümmern? Der Sohn eines Bruders geht mich ſo nahe nicht an, als mein eigener. Wenn ich finde, daß jemand meinen eigenen Sohn verziehet, geſchähe es auch in der beſten Abſicht von der Welt, ſo habe ich Recht, dieſem gutherzigen Verführer mit aller der Heftigkeit zu begegnen, mit welcher, beym Terenz, Demea dem Micio begegnet. Aber wenn es nicht mein Sohn iſt, wenn es der eigene Sohn des Verziehers iſt, was kann ich mehr, was darf ich mehr, als daß ich dieſem Verzieher warne, und wenn er mein Bruder iſt, ihn öfters und ernſtlich warne? Unſer Verfaſſer ſetzt den Demea aus dem Ver- hältniſſe, in welchem er bey dem Terenz ſtehet, aber er läßt ihm die nehmliche Ungeſtümheit, zu welcher ihn doch nur jenes Verhältniß berech- tigen konnte. Ja bey ihm ſchimpfet und tobet Demea noch weit ärger, als bey dem Terenz. Er will aus der Haut fahren, „daß er an ſeines „Bruders Kinde Schimpf und Schande erleben „muß.„ Wenn ihm nun aber dieſer antwor-
tete:
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bindet, die ganze Maſchine aus einander fällt,
und aus Einem allgemeinen Jntereſſe zwey ganz
verſchiedene entſtehen, die blos die Convenienz
des Dichters, und keinesweges ihre eigene Na-
tur zuſammen hält!
Denn iſt Aeſchinus nicht blos der angenom-
mene, ſondern der leibliche Sohn des Micio,
was hat Demea ſich viel um ihn zu bekümmern?
Der Sohn eines Bruders geht mich ſo nahe
nicht an, als mein eigener. Wenn ich finde,
daß jemand meinen eigenen Sohn verziehet,
geſchähe es auch in der beſten Abſicht von der
Welt, ſo habe ich Recht, dieſem gutherzigen
Verführer mit aller der Heftigkeit zu begegnen,
mit welcher, beym Terenz, Demea dem Micio
begegnet. Aber wenn es nicht mein Sohn iſt,
wenn es der eigene Sohn des Verziehers iſt,
was kann ich mehr, was darf ich mehr, als daß
ich dieſem Verzieher warne, und wenn er mein
Bruder iſt, ihn öfters und ernſtlich warne?
Unſer Verfaſſer ſetzt den Demea aus dem Ver-
hältniſſe, in welchem er bey dem Terenz ſtehet,
aber er läßt ihm die nehmliche Ungeſtümheit,
zu welcher ihn doch nur jenes Verhältniß berech-
tigen konnte. Ja bey ihm ſchimpfet und tobet
Demea noch weit ärger, als bey dem Terenz.
Er will aus der Haut fahren, „daß er an ſeines
„Bruders Kinde Schimpf und Schande erleben
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/364>, abgerufen am 22.11.2024.
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