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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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Doch ich gerathe zu weit in denjenigen Theil
des Problems, der mich itzt gerade am wenig-
sten angeht. Zwar indem ich behaupte, daß
einheimische Sitten auch in der Tragödie zuträg-
licher seyn würden, als fremde: so setze ich schon
als unstreitig voraus, daß sie es wenigstens in
der Komödie sind. Und sind sie das, glaube
ich wenigstens, daß sie es sind: so kann ich auch
die Veränderungen, welche Herr Romanus in
Absicht derselben, mit dem Stücke des Terenz
gemacht hat, überhaupt nicht anders als bil-
ligen.

Er hatte Recht, eine Fabel, in welche so be-
sondere Griechische und Römische Sitten so
innig verwebet sind, umzuschaffen. Das Bey-
spiel erhält seine Kraft nur von seiner innern
Wahrscheinlichkeit, die jeder Mensch nach dem
beurtheilet, was ihm selbst am gewöhnlichsten ist.
Alle Anwendung fällt weg, wo wir uns erst
mit Mühe in fremde Umstände versetzen müssen.
Aber es ist auch keine leichte Sache mit einer
solchen Umschaffung. Je vollkommner die Fa-
bel ist, desto weniger läßt sich der geringste
Theil verändern, ohne das Ganze zu zerrütten.
Und schlimm! wenn man sich sodann nur mit
Flicken begnügt, ohne im eigentlichen Verstande
umzuschaffen.

Das Stück heißt die Brüder, und dieses
bey dem Terenz aus einem doppelten Grunde.

Denn

Doch ich gerathe zu weit in denjenigen Theil
des Problems, der mich itzt gerade am wenig-
ſten angeht. Zwar indem ich behaupte, daß
einheimiſche Sitten auch in der Tragödie zuträg-
licher ſeyn würden, als fremde: ſo ſetze ich ſchon
als unſtreitig voraus, daß ſie es wenigſtens in
der Komödie ſind. Und ſind ſie das, glaube
ich wenigſtens, daß ſie es ſind: ſo kann ich auch
die Veränderungen, welche Herr Romanus in
Abſicht derſelben, mit dem Stücke des Terenz
gemacht hat, überhaupt nicht anders als bil-
ligen.

Er hatte Recht, eine Fabel, in welche ſo be-
ſondere Griechiſche und Römiſche Sitten ſo
innig verwebet ſind, umzuſchaffen. Das Bey-
ſpiel erhält ſeine Kraft nur von ſeiner innern
Wahrſcheinlichkeit, die jeder Menſch nach dem
beurtheilet, was ihm ſelbſt am gewöhnlichſten iſt.
Alle Anwendung fällt weg, wo wir uns erſt
mit Mühe in fremde Umſtände verſetzen müſſen.
Aber es iſt auch keine leichte Sache mit einer
ſolchen Umſchaffung. Je vollkommner die Fa-
bel iſt, deſto weniger läßt ſich der geringſte
Theil verändern, ohne das Ganze zu zerrütten.
Und ſchlimm! wenn man ſich ſodann nur mit
Flicken begnügt, ohne im eigentlichen Verſtande
umzuſchaffen.

Das Stück heißt die Brüder, und dieſes
bey dem Terenz aus einem doppelten Grunde.

Denn
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[356/0362] Doch ich gerathe zu weit in denjenigen Theil des Problems, der mich itzt gerade am wenig- ſten angeht. Zwar indem ich behaupte, daß einheimiſche Sitten auch in der Tragödie zuträg- licher ſeyn würden, als fremde: ſo ſetze ich ſchon als unſtreitig voraus, daß ſie es wenigſtens in der Komödie ſind. Und ſind ſie das, glaube ich wenigſtens, daß ſie es ſind: ſo kann ich auch die Veränderungen, welche Herr Romanus in Abſicht derſelben, mit dem Stücke des Terenz gemacht hat, überhaupt nicht anders als bil- ligen. Er hatte Recht, eine Fabel, in welche ſo be- ſondere Griechiſche und Römiſche Sitten ſo innig verwebet ſind, umzuſchaffen. Das Bey- ſpiel erhält ſeine Kraft nur von ſeiner innern Wahrſcheinlichkeit, die jeder Menſch nach dem beurtheilet, was ihm ſelbſt am gewöhnlichſten iſt. Alle Anwendung fällt weg, wo wir uns erſt mit Mühe in fremde Umſtände verſetzen müſſen. Aber es iſt auch keine leichte Sache mit einer ſolchen Umſchaffung. Je vollkommner die Fa- bel iſt, deſto weniger läßt ſich der geringſte Theil verändern, ohne das Ganze zu zerrütten. Und ſchlimm! wenn man ſich ſodann nur mit Flicken begnügt, ohne im eigentlichen Verſtande umzuſchaffen. Das Stück heißt die Brüder, und dieſes bey dem Terenz aus einem doppelten Grunde. Denn

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/362>, abgerufen am 22.11.2024.