Hamburgische Dramaturgie. Sieben und neunzigstes Stück.
Den 5ten April, 1768.
Diese Auflösung, genau betrachtet, dürfte wohl nicht in allen Stücken befriedigend seyn. Denn zugegeben, daß fremde Sitten der Absicht der Komödie nicht so gut entsprechen, als einheimische: so bleibt noch immer die Frage, ob die einheimischen Sitten nicht auch zur Absicht der Tragödie ein besseres Verhältniß haben, als fremde? Diese Frage ist wenigstens durch die Schwierigkeit, einen einheimischen Vorfall ohne allzumerkliche und anstößige Veränderungen für die Bühne be- quem zu machen, nicht beantwortet. Freylich erfodern einheimische Sitten auch einheimische Vorfälle: wenn denn aber nur mit jenen die Tragödie am leichtesten und gewissesten ihren Zweck erreichte, so müßte es ja doch wohl besser seyn, sich über alle Schwierigkeiten, welche sich bey Behandlung dieser finden, wegzusetzen, als
in
Y y
Hamburgiſche Dramaturgie. Sieben und neunzigſtes Stück.
Den 5ten April, 1768.
Dieſe Auflöſung, genau betrachtet, dürfte wohl nicht in allen Stücken befriedigend ſeyn. Denn zugegeben, daß fremde Sitten der Abſicht der Komödie nicht ſo gut entſprechen, als einheimiſche: ſo bleibt noch immer die Frage, ob die einheimiſchen Sitten nicht auch zur Abſicht der Tragödie ein beſſeres Verhältniß haben, als fremde? Dieſe Frage iſt wenigſtens durch die Schwierigkeit, einen einheimiſchen Vorfall ohne allzumerkliche und anſtößige Veränderungen für die Bühne be- quem zu machen, nicht beantwortet. Freylich erfodern einheimiſche Sitten auch einheimiſche Vorfälle: wenn denn aber nur mit jenen die Tragödie am leichteſten und gewiſſeſten ihren Zweck erreichte, ſo müßte es ja doch wohl beſſer ſeyn, ſich über alle Schwierigkeiten, welche ſich bey Behandlung dieſer finden, wegzuſetzen, als
in
Y y
<TEI><text><body><pbfacs="#f0359"n="[353]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie</hi>.<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Sieben und neunzigſtes Stück.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline>Den 5ten April, 1768.</dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ieſe Auflöſung, genau betrachtet, dürfte<lb/>
wohl nicht in allen Stücken befriedigend<lb/>ſeyn. Denn zugegeben, daß fremde<lb/>
Sitten der Abſicht der Komödie nicht ſo gut<lb/>
entſprechen, als einheimiſche: ſo bleibt noch<lb/>
immer die Frage, ob die einheimiſchen Sitten<lb/>
nicht auch zur Abſicht der Tragödie ein beſſeres<lb/>
Verhältniß haben, als fremde? Dieſe Frage<lb/>
iſt wenigſtens durch die Schwierigkeit, einen<lb/>
einheimiſchen Vorfall ohne allzumerkliche und<lb/>
anſtößige Veränderungen für die Bühne be-<lb/>
quem zu machen, nicht beantwortet. Freylich<lb/>
erfodern einheimiſche Sitten auch einheimiſche<lb/>
Vorfälle: wenn denn aber nur mit jenen die<lb/>
Tragödie am leichteſten und gewiſſeſten ihren<lb/>
Zweck erreichte, ſo müßte es ja doch wohl beſſer<lb/>ſeyn, ſich über alle Schwierigkeiten, welche ſich<lb/>
bey Behandlung dieſer finden, wegzuſetzen, als<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y y</fw><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[353]/0359]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Sieben und neunzigſtes Stück.
Den 5ten April, 1768.
Dieſe Auflöſung, genau betrachtet, dürfte
wohl nicht in allen Stücken befriedigend
ſeyn. Denn zugegeben, daß fremde
Sitten der Abſicht der Komödie nicht ſo gut
entſprechen, als einheimiſche: ſo bleibt noch
immer die Frage, ob die einheimiſchen Sitten
nicht auch zur Abſicht der Tragödie ein beſſeres
Verhältniß haben, als fremde? Dieſe Frage
iſt wenigſtens durch die Schwierigkeit, einen
einheimiſchen Vorfall ohne allzumerkliche und
anſtößige Veränderungen für die Bühne be-
quem zu machen, nicht beantwortet. Freylich
erfodern einheimiſche Sitten auch einheimiſche
Vorfälle: wenn denn aber nur mit jenen die
Tragödie am leichteſten und gewiſſeſten ihren
Zweck erreichte, ſo müßte es ja doch wohl beſſer
ſeyn, ſich über alle Schwierigkeiten, welche ſich
bey Behandlung dieſer finden, wegzuſetzen, als
in
Y y
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [353]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/359>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.