Plutarch, (*) daß sie mit seinen spätern und letztern Stücken gar nicht zu vergleichen gewe- sen. Aus diesen aber, setzt er hinzu, könne man schliessen, was er noch würde geleistet ha- ben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie jung meint man wohl, daß Menander starb? Wie viel Komödien meint man wohl, daß er erst geschrieben hatte? Nicht weniger als hun- dert und fünfe; und nicht jünger als zwey und funfzig.
Keiner von allen unsern verstorbenen komi- schen Dichtern, von denen es sich noch der Mühe verlohnte zu reden, ist so alt geworden; keiner von den itztlebenden ist es noch zur Zeit; keiner von beiden hat das vierte Theil so viel Stücke gemacht. Und die Critik sollte von ihnen nicht eben das zu sagen haben, was sie von dem Me- nander zu sagen fand? -- Sie wage es aber nur, und spreche!
Und nicht die Verfasser allein sind es, die sie mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel sey Dank, itzt ein Geschlecht selbst von Critikern, deren beste Critik darinn besteht, -- alle Critik verdächtig zu machen. "Genie! Genie! schreien sie. Das Genie setzt sich über alle Regeln hin- weg! Was das Genie macht, ist Regel!" So schmeicheln sie dem Genie: ich glaube, da-
mit
(*) Epit. tes sunkriseos Aris. kai Menan. p. 1588. Ed. Henr. Stephani.
Plutarch, (*) daß ſie mit ſeinen ſpätern und letztern Stücken gar nicht zu vergleichen gewe- ſen. Aus dieſen aber, ſetzt er hinzu, könne man ſchlieſſen, was er noch würde geleiſtet ha- ben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie jung meint man wohl, daß Menander ſtarb? Wie viel Komödien meint man wohl, daß er erſt geſchrieben hatte? Nicht weniger als hun- dert und fünfe; und nicht jünger als zwey und funfzig.
Keiner von allen unſern verſtorbenen komi- ſchen Dichtern, von denen es ſich noch der Mühe verlohnte zu reden, iſt ſo alt geworden; keiner von den itztlebenden iſt es noch zur Zeit; keiner von beiden hat das vierte Theil ſo viel Stücke gemacht. Und die Critik ſollte von ihnen nicht eben das zu ſagen haben, was ſie von dem Me- nander zu ſagen fand? — Sie wage es aber nur, und ſpreche!
Und nicht die Verfaſſer allein ſind es, die ſie mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel ſey Dank, itzt ein Geſchlecht ſelbſt von Critikern, deren beſte Critik darinn beſteht, — alle Critik verdächtig zu machen. „Genie! Genie! ſchreien ſie. Das Genie ſetzt ſich über alle Regeln hin- weg! Was das Genie macht, iſt Regel!„ So ſchmeicheln ſie dem Genie: ich glaube, da-
mit
(*) Επιτ. της συνϰϱισεως Αρις. ϰαι Μεναν. p. 1588. Ed. Henr. Stephani.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0354"n="348"/>
Plutarch, <noteplace="foot"n="(*)">Επιτ. τηςσυνϰϱισεωςΑρις. ϰαιΜεναν.<lb/><hirendition="#aq">p. 1588. Ed. Henr. Stephani.</hi></note> daß ſie mit ſeinen ſpätern und<lb/>
letztern Stücken gar nicht zu vergleichen gewe-<lb/>ſen. Aus dieſen aber, ſetzt er hinzu, könne<lb/>
man ſchlieſſen, was er noch würde geleiſtet ha-<lb/>
ben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie<lb/>
jung meint man wohl, daß Menander ſtarb?<lb/>
Wie viel Komödien meint man wohl, daß er<lb/>
erſt geſchrieben hatte? Nicht weniger als hun-<lb/>
dert und fünfe; und nicht jünger als zwey und<lb/>
funfzig.</p><lb/><p>Keiner von allen unſern verſtorbenen komi-<lb/>ſchen Dichtern, von denen es ſich noch der Mühe<lb/>
verlohnte zu reden, iſt ſo alt geworden; keiner<lb/>
von den itztlebenden iſt es noch zur Zeit; keiner<lb/>
von beiden hat das vierte Theil ſo viel Stücke<lb/>
gemacht. Und die Critik ſollte von ihnen nicht<lb/>
eben das zu ſagen haben, was ſie von dem Me-<lb/>
nander zu ſagen fand? — Sie wage es aber nur,<lb/>
und ſpreche!</p><lb/><p>Und nicht die Verfaſſer allein ſind es, die ſie<lb/>
mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel<lb/>ſey Dank, itzt ein Geſchlecht ſelbſt von Critikern,<lb/>
deren beſte Critik darinn beſteht, — alle Critik<lb/>
verdächtig zu machen. „Genie! Genie! ſchreien<lb/>ſie. Das Genie ſetzt ſich über alle Regeln hin-<lb/>
weg! Was das Genie macht, iſt Regel!„<lb/>
So ſchmeicheln ſie dem Genie: ich glaube, da-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mit</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[348/0354]
Plutarch, (*) daß ſie mit ſeinen ſpätern und
letztern Stücken gar nicht zu vergleichen gewe-
ſen. Aus dieſen aber, ſetzt er hinzu, könne
man ſchlieſſen, was er noch würde geleiſtet ha-
ben, wenn er länger gelebt hätte. Und wie
jung meint man wohl, daß Menander ſtarb?
Wie viel Komödien meint man wohl, daß er
erſt geſchrieben hatte? Nicht weniger als hun-
dert und fünfe; und nicht jünger als zwey und
funfzig.
Keiner von allen unſern verſtorbenen komi-
ſchen Dichtern, von denen es ſich noch der Mühe
verlohnte zu reden, iſt ſo alt geworden; keiner
von den itztlebenden iſt es noch zur Zeit; keiner
von beiden hat das vierte Theil ſo viel Stücke
gemacht. Und die Critik ſollte von ihnen nicht
eben das zu ſagen haben, was ſie von dem Me-
nander zu ſagen fand? — Sie wage es aber nur,
und ſpreche!
Und nicht die Verfaſſer allein ſind es, die ſie
mit Unwillen hören. Wir haben, dem Himmel
ſey Dank, itzt ein Geſchlecht ſelbſt von Critikern,
deren beſte Critik darinn beſteht, — alle Critik
verdächtig zu machen. „Genie! Genie! ſchreien
ſie. Das Genie ſetzt ſich über alle Regeln hin-
weg! Was das Genie macht, iſt Regel!„
So ſchmeicheln ſie dem Genie: ich glaube, da-
mit
(*) Επιτ. της συνϰϱισεως Αρις. ϰαι Μεναν.
p. 1588. Ed. Henr. Stephani.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/354>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.