sind. Contrastirte Charaktere sind minder natür- lich und vermehren den romantischen Anstrich, an dem es den dramatischen Begebenheiten so schon selten fehlt. Für eine Gesellschaft, im gemeinen Le- ben, wo sich der Contrast der Charaktere so ab- stechend zeigt, als ihn der komische Dichter ver- langt, werden sich immer tausend finden, wo sie wei- ter nichts als verschieden sind. Sehr richtig! Aber ist ein Charakter, der sich immer genau in dem gra- den Gleiße hält, das ihm Vernunft und Tugend vorschreiben, nicht eine noch seltenere Erscheinung? Von zwanzig Gesellschaften im gemeinen Leben, werden eher zehn seyn, in welchen man Väter fin- det, die bey Erziehung ihrer Kinder völlig entgegen gesetzte Wege einschlagen, als eine, die den wahren Vater aufweisen könnte. Und dieser wahre Vater ist noch dazu immer der nehmliche, ist nur ein einzi- ger, da der Abweichungen von ihm unendlich sind. Folglich werden die Stücke, die den wahren Vater ins Spiel bringen, nicht allein jedes vor sich unnatürli- cher, sondern auch unter einander einförmiger seyn, als es die seyn können, welche Väter von verschiednen Grundsätzen einführen. Auch ist es gewiß, daß die Charaktere, welche in ruhigen Gesellschaften blos ver- schieden scheinen, sich von selbst contrastiren, sobald ein streitendes Jnteresse sie in Bewegung setzt. Ja es ist natürlich, daß sie sich sodann beeifern, noch weiter von einander entfernt zu scheinen, als sie wirklich sind. Der Lebhafte wird Feuer und Flamme gegen den, der ihm zu lau sich zu betragen scheinet: und der Laue wird kalt wie Eis, um jenem so viel Uebereilungen begehen zu lassen, als ihm nur immer nützlich seyn können.
Ham-
ſind. Contraſtirte Charaktere ſind minder natür- lich und vermehren den romantiſchen Anſtrich, an dem es den dramatiſchen Begebenheiten ſo ſchon ſelten fehlt. Für eine Geſellſchaft, im gemeinen Le- ben, wo ſich der Contraſt der Charaktere ſo ab- ſtechend zeigt, als ihn der komiſche Dichter ver- langt, werden ſich immer tauſend finden, wo ſie wei- ter nichts als verſchieden ſind. Sehr richtig! Aber iſt ein Charakter, der ſich immer genau in dem gra- den Gleiße hält, das ihm Vernunft und Tugend vorſchreiben, nicht eine noch ſeltenere Erſcheinung? Von zwanzig Geſellſchaften im gemeinen Leben, werden eher zehn ſeyn, in welchen man Väter fin- det, die bey Erziehung ihrer Kinder völlig entgegen geſetzte Wege einſchlagen, als eine, die den wahren Vater aufweiſen könnte. Und dieſer wahre Vater iſt noch dazu immer der nehmliche, iſt nur ein einzi- ger, da der Abweichungen von ihm unendlich ſind. Folglich werden die Stücke, die den wahren Vater ins Spiel bringen, nicht allein jedes vor ſich unnatürli- cher, ſondern auch unter einander einförmiger ſeyn, als es die ſeyn können, welche Väter von verſchiednen Grundſätzen einführen. Auch iſt es gewiß, daß die Charaktere, welche in ruhigen Geſellſchaften blos ver- ſchieden ſcheinen, ſich von ſelbſt contraſtiren, ſobald ein ſtreitendes Jntereſſe ſie in Bewegung ſetzt. Ja es iſt natürlich, daß ſie ſich ſodann beeifern, noch weiter von einander entfernt zu ſcheinen, als ſie wirklich ſind. Der Lebhafte wird Feuer und Flamme gegen den, der ihm zu lau ſich zu betragen ſcheinet: und der Laue wird kalt wie Eis, um jenem ſo viel Uebereilungen begehen zu laſſen, als ihm nur im̃er nützlich ſeyn köñen.
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ſind. Contraſtirte Charaktere ſind minder natür-
lich und vermehren den romantiſchen Anſtrich, an
dem es den dramatiſchen Begebenheiten ſo ſchon
ſelten fehlt. Für eine Geſellſchaft, im gemeinen Le-
ben, wo ſich der Contraſt der Charaktere ſo ab-
ſtechend zeigt, als ihn der komiſche Dichter ver-
langt, werden ſich immer tauſend finden, wo ſie wei-
ter nichts als verſchieden ſind. Sehr richtig! Aber
iſt ein Charakter, der ſich immer genau in dem gra-
den Gleiße hält, das ihm Vernunft und Tugend
vorſchreiben, nicht eine noch ſeltenere Erſcheinung?
Von zwanzig Geſellſchaften im gemeinen Leben,
werden eher zehn ſeyn, in welchen man Väter fin-
det, die bey Erziehung ihrer Kinder völlig entgegen
geſetzte Wege einſchlagen, als eine, die den wahren
Vater aufweiſen könnte. Und dieſer wahre Vater
iſt noch dazu immer der nehmliche, iſt nur ein einzi-
ger, da der Abweichungen von ihm unendlich ſind.
Folglich werden die Stücke, die den wahren Vater ins
Spiel bringen, nicht allein jedes vor ſich unnatürli-
cher, ſondern auch unter einander einförmiger ſeyn,
als es die ſeyn können, welche Väter von verſchiednen
Grundſätzen einführen. Auch iſt es gewiß, daß die
Charaktere, welche in ruhigen Geſellſchaften blos ver-
ſchieden ſcheinen, ſich von ſelbſt contraſtiren, ſobald ein
ſtreitendes Jntereſſe ſie in Bewegung ſetzt. Ja es iſt
natürlich, daß ſie ſich ſodann beeifern, noch weiter von
einander entfernt zu ſcheinen, als ſie wirklich ſind. Der
Lebhafte wird Feuer und Flamme gegen den, der ihm
zu lau ſich zu betragen ſcheinet: und der Laue wird kalt
wie Eis, um jenem ſo viel Uebereilungen begehen zu
laſſen, als ihm nur im̃er nützlich ſeyn köñen.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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