"sagte er, Sie werden mir einen Gefallen er- "weisen, wenn Sie fortfahren. Sie sehen, ich "verstehe mich darauf, eine Dichtkunst abzu- "kürzen, wenn ich sie zu lang finde."
"Lassen Sie uns, fuhr die Favoritinn fort, "einmal annehmen, es käme einer ganz frisch "aus Angote, der in seinem Leben von keinem "Schauspiele etwas gehört hätte; dem es aber "weder an Verstande noch an Welt fehle; der "ungefehr wisse, was an einem Hofe vorgehe; "der mit den Anschlägen der Höflinge, mit der "Eifersucht der Minister, mit den Hetzereyen "der Weiber nicht ganz unbekannt wäre, und "zu dem ich im Vertrauen sagte: "Mein "Freund, es äußern sich in dem Seraglio "schreckliche Bewegungen. Der Fürst, der "mit seinem Sohne mißvergnügt ist, weil er "ihn im Verdacht hat, daß er die Manimon- "bande liebt, ist ein Mann, den ich für fähig "halte, an beiden die grausamste Rache zu üben. "Diese Sache muß, allem Ansehen nach, sehr "traurige Folgen haben. Wenn Sie wollen, so "will ich machen, daß Sie von allem, was vor- "geht, Zeuge seyn können." Er nimmt mein "Anerbieten an, und ich führe ihn in eine mit "Gitterwerk vermachte Loge, aus der er das "Theater sieht, welches er für den Pallast des "Sultans hält. Glauben Sie wohl, daß "Trotz alles Ernstes, in dem ich mich zu erhal-
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„ſagte er, Sie werden mir einen Gefallen er- „weiſen, wenn Sie fortfahren. Sie ſehen, ich „verſtehe mich darauf, eine Dichtkunſt abzu- „kürzen, wenn ich ſie zu lang finde.„
„Laſſen Sie uns, fuhr die Favoritinn fort, „einmal annehmen, es käme einer ganz friſch „aus Angote, der in ſeinem Leben von keinem „Schauſpiele etwas gehört hätte; dem es aber „weder an Verſtande noch an Welt fehle; der „ungefehr wiſſe, was an einem Hofe vorgehe; „der mit den Anſchlägen der Höflinge, mit der „Eiferſucht der Miniſter, mit den Hetzereyen „der Weiber nicht ganz unbekannt wäre, und „zu dem ich im Vertrauen ſagte: „Mein „Freund, es äußern ſich in dem Seraglio „ſchreckliche Bewegungen. Der Fürſt, der „mit ſeinem Sohne mißvergnügt iſt, weil er „ihn im Verdacht hat, daß er die Manimon- „bande liebt, iſt ein Mann, den ich für fähig „halte, an beiden die grauſamſte Rache zu üben. „Dieſe Sache muß, allem Anſehen nach, ſehr „traurige Folgen haben. Wenn Sie wollen, ſo „will ich machen, daß Sie von allem, was vor- „geht, Zeuge ſeyn können.„ Er nimmt mein „Anerbieten an, und ich führe ihn in eine mit „Gitterwerk vermachte Loge, aus der er das „Theater ſieht, welches er für den Pallaſt des „Sultans hält. Glauben Sie wohl, daß „Trotz alles Ernſtes, in dem ich mich zu erhal-
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„ſagte er, Sie werden mir einen Gefallen er-
„weiſen, wenn Sie fortfahren. Sie ſehen, ich
„verſtehe mich darauf, eine Dichtkunſt abzu-
„kürzen, wenn ich ſie zu lang finde.„
„Laſſen Sie uns, fuhr die Favoritinn fort,
„einmal annehmen, es käme einer ganz friſch
„aus Angote, der in ſeinem Leben von keinem
„Schauſpiele etwas gehört hätte; dem es aber
„weder an Verſtande noch an Welt fehle; der
„ungefehr wiſſe, was an einem Hofe vorgehe;
„der mit den Anſchlägen der Höflinge, mit der
„Eiferſucht der Miniſter, mit den Hetzereyen
„der Weiber nicht ganz unbekannt wäre, und
„zu dem ich im Vertrauen ſagte: „Mein
„Freund, es äußern ſich in dem Seraglio
„ſchreckliche Bewegungen. Der Fürſt, der
„mit ſeinem Sohne mißvergnügt iſt, weil er
„ihn im Verdacht hat, daß er die Manimon-
„bande liebt, iſt ein Mann, den ich für fähig
„halte, an beiden die grauſamſte Rache zu üben.
„Dieſe Sache muß, allem Anſehen nach, ſehr
„traurige Folgen haben. Wenn Sie wollen, ſo
„will ich machen, daß Sie von allem, was vor-
„geht, Zeuge ſeyn können.„ Er nimmt mein
„Anerbieten an, und ich führe ihn in eine mit
„Gitterwerk vermachte Loge, aus der er das
„Theater ſieht, welches er für den Pallaſt des
„Sultans hält. Glauben Sie wohl, daß
„Trotz alles Ernſtes, in dem ich mich zu erhal-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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