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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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fällt ihm ein, wie es ihm schon einmal fast das
Leben gekostet hätte, daß er nicht gewußt, was
in dem Briefe seines Herrn stünde. "Wäre ich
"nicht, sagt er, bey einem Haare zum Ver-
"trauten darüber geworden? Hohl der Geyer
"die Vertrautschaft! Nein, das muß mir nicht
"wieder begegnen!" Kurz, Cosme beschließt,
den Brief zu erbrechen; und erbricht ihn. Na-
türlich, daß ihn der Jnhalt äußerst betroffen
macht; er glaubt, ein Papier, das so wichtige
und gefährliche Dinge enthalte, nicht geschwind
genug los werden zu können; er zittert über den
bloßen Gedanken, daß man es in seinen Händen
finden könne, ehe er es freywillig abgeliefert;
und eilet, es geraden Weges der Königinn zu
bringen.

Eben kömmt die Königinn mit dem Kanzler
heraus. Cosme will sie den Kanzler nur erst
abfertigen lassen; und tritt bey Seite. Die
Königinn ertheilt dem Kanzler den letzten Be-
fehl zur Hinrichtung des Grafen; sie soll sogleich,
und ganz in der Stille vollzogen werden; das
Volk soll nichts davon erfahren, bis der ge-
köpfte Leichnam ihm mit stummer Zunge Treue
und Gehorsam zurufe. (*) Den Kopf soll der
Kanzler in den Saal bringen, und, nebst dem

bluti-
(*) Hasta que el tronco cadaver
Le sirva de muda lengua.

fällt ihm ein, wie es ihm ſchon einmal faſt das
Leben gekoſtet hätte, daß er nicht gewußt, was
in dem Briefe ſeines Herrn ſtünde. „Wäre ich
„nicht, ſagt er, bey einem Haare zum Ver-
„trauten darüber geworden? Hohl der Geyer
„die Vertrautſchaft! Nein, das muß mir nicht
„wieder begegnen!„ Kurz, Coſme beſchließt,
den Brief zu erbrechen; und erbricht ihn. Na-
türlich, daß ihn der Jnhalt äußerſt betroffen
macht; er glaubt, ein Papier, das ſo wichtige
und gefährliche Dinge enthalte, nicht geſchwind
genug los werden zu können; er zittert über den
bloßen Gedanken, daß man es in ſeinen Händen
finden könne, ehe er es freywillig abgeliefert;
und eilet, es geraden Weges der Königinn zu
bringen.

Eben kömmt die Königinn mit dem Kanzler
heraus. Coſme will ſie den Kanzler nur erſt
abfertigen laſſen; und tritt bey Seite. Die
Königinn ertheilt dem Kanzler den letzten Be-
fehl zur Hinrichtung des Grafen; ſie ſoll ſogleich,
und ganz in der Stille vollzogen werden; das
Volk ſoll nichts davon erfahren, bis der ge-
köpfte Leichnam ihm mit ſtummer Zunge Treue
und Gehorſam zurufe. (*) Den Kopf ſoll der
Kanzler in den Saal bringen, und, nebſt dem

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[122/0128] fällt ihm ein, wie es ihm ſchon einmal faſt das Leben gekoſtet hätte, daß er nicht gewußt, was in dem Briefe ſeines Herrn ſtünde. „Wäre ich „nicht, ſagt er, bey einem Haare zum Ver- „trauten darüber geworden? Hohl der Geyer „die Vertrautſchaft! Nein, das muß mir nicht „wieder begegnen!„ Kurz, Coſme beſchließt, den Brief zu erbrechen; und erbricht ihn. Na- türlich, daß ihn der Jnhalt äußerſt betroffen macht; er glaubt, ein Papier, das ſo wichtige und gefährliche Dinge enthalte, nicht geſchwind genug los werden zu können; er zittert über den bloßen Gedanken, daß man es in ſeinen Händen finden könne, ehe er es freywillig abgeliefert; und eilet, es geraden Weges der Königinn zu bringen. Eben kömmt die Königinn mit dem Kanzler heraus. Coſme will ſie den Kanzler nur erſt abfertigen laſſen; und tritt bey Seite. Die Königinn ertheilt dem Kanzler den letzten Be- fehl zur Hinrichtung des Grafen; ſie ſoll ſogleich, und ganz in der Stille vollzogen werden; das Volk ſoll nichts davon erfahren, bis der ge- köpfte Leichnam ihm mit ſtummer Zunge Treue und Gehorſam zurufe. (*) Den Kopf ſoll der Kanzler in den Saal bringen, und, nebſt dem bluti- (*) Haſta que el tronco cadaver Le ſirva de muda lengua.

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/128>, abgerufen am 21.11.2024.