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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht
kennet, würde sich sehr irren, wenn er glaubte,
daß hier den Frauen, wie dort den Männern,
ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es sind
beides witzige Possenspiele, in welchen ein Paar
junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge
erzogen und das andere in aller Einfalt aufge-
wachsen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und
die beide die Männerschule heissen müßten, wenn
Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol-
len, als daß das dümmste Mädchen noch immer
Verstand genug habe zu betrügen, und daß
Zwang und Aufsicht weit weniger fruchte und
nutze, als Nachsicht und Freyheit. Wirklich
ist für das weibliche Geschlecht in der Frauen-
schule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß
Moliere mit diesem Titel auf die Ehestandsregeln,
in der zweyten Scene des dritten Akts, gesehen
hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei-
ber eher lächerlich gemacht werden.

"Die zwey glücklichsten Stoffe zur Tragödie
und Komödie, sagt Trublet, (*) sind der Cid
und die Frauenschule. Aber beide sind vom
Corneille und Moliere bearbeitet worden, als
diese Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat-
ten. Diese Anmerkung, fügt er hinzu, habe
ich von dem Hrn. von Fontenelle."

Wenn
(*) Essais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295.
A 3

darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht
kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte,
daß hier den Frauen, wie dort den Männern,
ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind
beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar
junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge
erzogen und das andere in aller Einfalt aufge-
wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und
die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn
Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol-
len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer
Verſtand genug habe zu betrügen, und daß
Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und
nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich
iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen-
ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß
Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln,
in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen
hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei-
ber eher lächerlich gemacht werden.

„Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie
und Komödie, ſagt Trublet, (*) ſind der Cid
und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom
Corneille und Moliere bearbeitet worden, als
dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat-
ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe
ich von dem Hrn. von Fontenelle.„

Wenn
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A 3
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[5/0011] darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufge- wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol- len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer Verſtand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen- ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln, in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei- ber eher lächerlich gemacht werden. „Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie und Komödie, ſagt Trublet, (*) ſind der Cid und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom Corneille und Moliere bearbeitet worden, als dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat- ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle.„ Wenn (*) Eſſais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295. A 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/11>, abgerufen am 29.03.2024.