aus den Herzen entspringt, und die Kunst nur in so fern daran Antheil hat, als auch die Kunst zur Natur werden kann. Und in dieser Musik, sage ich, ist die Aktrice, von welcher ich spreche, ganz vortrefflich, und ihr niemand zu verglei- chen, als Herr Eckhof, der aber, indem er die intensiven Accente auf einzelne Worte, worauf sie sich weniger befleißiget, noch hinzufüget, blos dadurch seiner Deklamation eine höhere Vollkommenheit zu geben im Stande ist. Doch vielleicht hat sie auch diese in ihrer Gewalt; und ich urtheile blos so von ihr, weil ich sie noch in keinen Rollen gesehen, in welchen sich das Rüh- rende zum Pathetischen erhebet. Ich erwarte sie in dem Trauerspiele, und fahre indeß in der Geschichte unsers Theaters fort.
Den vierten Abend (Montags, den 27sten v. M.) ward ein neues deutsches Original, betittelt Julie, oder Wettstreit der Pflicht und Liebe, auf- geführet. Es hat den Hrn. Heufeld in Wien zum Verfasser, der uns sagt, daß bereits zwey andere Stücke von ihm, den Beyfall des dortigen Publi- kums erhalten hätten. Ich kenne sie nicht; aber nach dem gegenwärtigen zu urtheilen, müssen sie nicht ganz schlecht seyn.
Die Hauptzüge der Fabel und der größte Theil der Situationen, sind aus der Neuen Heloise des Rousseau entlehnet. Ich wünschte, daß Hr. Heu- feld, ehe er zu Werke geschritten, die Beurthei-
lung
aus den Herzen entſpringt, und die Kunſt nur in ſo fern daran Antheil hat, als auch die Kunſt zur Natur werden kann. Und in dieſer Muſik, ſage ich, iſt die Aktrice, von welcher ich ſpreche, ganz vortrefflich, und ihr niemand zu verglei- chen, als Herr Eckhof, der aber, indem er die intenſiven Accente auf einzelne Worte, worauf ſie ſich weniger befleißiget, noch hinzufuͤget, blos dadurch ſeiner Deklamation eine hoͤhere Vollkommenheit zu geben im Stande iſt. Doch vielleicht hat ſie auch dieſe in ihrer Gewalt; und ich urtheile blos ſo von ihr, weil ich ſie noch in keinen Rollen geſehen, in welchen ſich das Ruͤh- rende zum Pathetiſchen erhebet. Ich erwarte ſie in dem Trauerſpiele, und fahre indeß in der Geſchichte unſers Theaters fort.
Den vierten Abend (Montags, den 27ſten v. M.) ward ein neues deutſches Original, betittelt Julie, oder Wettſtreit der Pflicht und Liebe, auf- gefuͤhret. Es hat den Hrn. Heufeld in Wien zum Verfaſſer, der uns ſagt, daß bereits zwey andere Stuͤcke von ihm, den Beyfall des dortigen Publi- kums erhalten haͤtten. Ich kenne ſie nicht; aber nach dem gegenwaͤrtigen zu urtheilen, muͤſſen ſie nicht ganz ſchlecht ſeyn.
Die Hauptzuͤge der Fabel und der groͤßte Theil der Situationen, ſind aus der Neuen Heloiſe des Rouſſeau entlehnet. Ich wuͤnſchte, daß Hr. Heu- feld, ehe er zu Werke geſchritten, die Beurthei-
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aus den Herzen entſpringt, und die Kunſt nur
in ſo fern daran Antheil hat, als auch die Kunſt
zur Natur werden kann. Und in dieſer Muſik,
ſage ich, iſt die Aktrice, von welcher ich ſpreche,
ganz vortrefflich, und ihr niemand zu verglei-
chen, als Herr Eckhof, der aber, indem er die
intenſiven Accente auf einzelne Worte, worauf
ſie ſich weniger befleißiget, noch hinzufuͤget,
blos dadurch ſeiner Deklamation eine hoͤhere
Vollkommenheit zu geben im Stande iſt. Doch
vielleicht hat ſie auch dieſe in ihrer Gewalt; und
ich urtheile blos ſo von ihr, weil ich ſie noch in
keinen Rollen geſehen, in welchen ſich das Ruͤh-
rende zum Pathetiſchen erhebet. Ich erwarte
ſie in dem Trauerſpiele, und fahre indeß in der
Geſchichte unſers Theaters fort.
Den vierten Abend (Montags, den 27ſten v.
M.) ward ein neues deutſches Original, betittelt
Julie, oder Wettſtreit der Pflicht und Liebe, auf-
gefuͤhret. Es hat den Hrn. Heufeld in Wien zum
Verfaſſer, der uns ſagt, daß bereits zwey andere
Stuͤcke von ihm, den Beyfall des dortigen Publi-
kums erhalten haͤtten. Ich kenne ſie nicht; aber
nach dem gegenwaͤrtigen zu urtheilen, muͤſſen ſie
nicht ganz ſchlecht ſeyn.
Die Hauptzuͤge der Fabel und der groͤßte Theil
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Rouſſeau entlehnet. Ich wuͤnſchte, daß Hr. Heu-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/76>, abgerufen am 25.11.2024.
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