Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Man wird mich aus einem Exempel am besten
verstehen. Ich nehme es, wie mir es itzt bey-
fällt; der Schauspieler wird sich ohne Mühe auf
noch weit einleuchtendere besinnen. -- Wenn
Olint sich mit der Hofnung schmeichelt, Gott
werde das Herz des Aladin bewegen, daß er so
grausam mit den Christen nicht verfahre, als er
ihnen gedrohet: so kann Evander, als ein alter
Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieg-
lichkeit unsrer Hofnungen zu Gemüthe führen.

"Vertraue nicht, mein Sohn, Hofnungen,
die betriegen!"

Sein Sohn ist ein feuriger Jüngling, und in
der Jugend ist man vorzüglich geneigt, sich von
der Zukunft nur das Beste zu versprechen.

"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Ju-
gend oft."

Doch indem besinnt er sich, daß das Alter zu
dem entgegen gesetzten Fehler nicht weniger ge-
neigt ist; er will den unverzagten Jüngling nicht
ganz niederschlagen, und fähret fort:

"Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig
hoft."

Diese Sentenzen mit einer gleichgültigen Aktion,
mit einer nichts als schönen Bewegung des Ar-
mes begleiten, würde weit schlimmer seyn, als
sie ganz ohne Aktion hersagen. Die einzige
ihnen angemessene Aktion ist die, welche ihre

All-
D 3

Man wird mich aus einem Exempel am beſten
verſtehen. Ich nehme es, wie mir es itzt bey-
faͤllt; der Schauſpieler wird ſich ohne Muͤhe auf
noch weit einleuchtendere beſinnen. — Wenn
Olint ſich mit der Hofnung ſchmeichelt, Gott
werde das Herz des Aladin bewegen, daß er ſo
grauſam mit den Chriſten nicht verfahre, als er
ihnen gedrohet: ſo kann Evander, als ein alter
Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieg-
lichkeit unſrer Hofnungen zu Gemuͤthe fuͤhren.

〟Vertraue nicht, mein Sohn, Hofnungen,
die betriegen!〟

Sein Sohn iſt ein feuriger Juͤngling, und in
der Jugend iſt man vorzuͤglich geneigt, ſich von
der Zukunft nur das Beſte zu verſprechen.

〟Da ſie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Ju-
gend oft.〟

Doch indem beſinnt er ſich, daß das Alter zu
dem entgegen geſetzten Fehler nicht weniger ge-
neigt iſt; er will den unverzagten Juͤngling nicht
ganz niederſchlagen, und faͤhret fort:

〟Das Alter quaͤlt ſich ſelbſt, weil es zu wenig
hoft.〟

Dieſe Sentenzen mit einer gleichguͤltigen Aktion,
mit einer nichts als ſchoͤnen Bewegung des Ar-
mes begleiten, wuͤrde weit ſchlimmer ſeyn, als
ſie ganz ohne Aktion herſagen. Die einzige
ihnen angemeſſene Aktion iſt die, welche ihre

All-
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0043" n="29"/>
        <p>Man wird mich aus einem Exempel am be&#x017F;ten<lb/>
ver&#x017F;tehen. Ich nehme es, wie mir es itzt bey-<lb/>
fa&#x0364;llt; der Schau&#x017F;pieler wird &#x017F;ich ohne Mu&#x0364;he auf<lb/>
noch weit einleuchtendere be&#x017F;innen. &#x2014; Wenn<lb/>
Olint &#x017F;ich mit der Hofnung &#x017F;chmeichelt, Gott<lb/>
werde das Herz des Aladin bewegen, daß er &#x017F;o<lb/>
grau&#x017F;am mit den Chri&#x017F;ten nicht verfahre, als er<lb/>
ihnen gedrohet: &#x017F;o kann Evander, als ein alter<lb/>
Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieg-<lb/>
lichkeit un&#x017F;rer Hofnungen zu Gemu&#x0364;the fu&#x0364;hren.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Vertraue nicht, mein Sohn, Hofnungen,<lb/><hi rendition="#et">die betriegen!&#x301F;</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Sein Sohn i&#x017F;t ein feuriger Ju&#x0364;ngling, und in<lb/>
der Jugend i&#x017F;t man vorzu&#x0364;glich geneigt, &#x017F;ich von<lb/>
der Zukunft nur das Be&#x017F;te zu ver&#x017F;prechen.</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Da &#x017F;ie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Ju-<lb/><hi rendition="#et">gend oft.&#x301F;</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Doch indem be&#x017F;innt er &#x017F;ich, daß das Alter zu<lb/>
dem entgegen ge&#x017F;etzten Fehler nicht weniger ge-<lb/>
neigt i&#x017F;t; er will den unverzagten Ju&#x0364;ngling nicht<lb/>
ganz nieder&#x017F;chlagen, und fa&#x0364;hret fort:</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Das Alter qua&#x0364;lt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, weil es zu wenig<lb/><hi rendition="#et">hoft.&#x301F;</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Sentenzen mit einer gleichgu&#x0364;ltigen Aktion,<lb/>
mit einer nichts als &#x017F;cho&#x0364;nen Bewegung des Ar-<lb/>
mes begleiten, wu&#x0364;rde weit &#x017F;chlimmer &#x017F;eyn, als<lb/>
&#x017F;ie ganz ohne Aktion her&#x017F;agen. Die einzige<lb/>
ihnen angeme&#x017F;&#x017F;ene Aktion i&#x017F;t die, welche ihre<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3</fw><fw place="bottom" type="catch">All-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0043] Man wird mich aus einem Exempel am beſten verſtehen. Ich nehme es, wie mir es itzt bey- faͤllt; der Schauſpieler wird ſich ohne Muͤhe auf noch weit einleuchtendere beſinnen. — Wenn Olint ſich mit der Hofnung ſchmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, daß er ſo grauſam mit den Chriſten nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: ſo kann Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieg- lichkeit unſrer Hofnungen zu Gemuͤthe fuͤhren. 〟Vertraue nicht, mein Sohn, Hofnungen, die betriegen!〟 Sein Sohn iſt ein feuriger Juͤngling, und in der Jugend iſt man vorzuͤglich geneigt, ſich von der Zukunft nur das Beſte zu verſprechen. 〟Da ſie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Ju- gend oft.〟 Doch indem beſinnt er ſich, daß das Alter zu dem entgegen geſetzten Fehler nicht weniger ge- neigt iſt; er will den unverzagten Juͤngling nicht ganz niederſchlagen, und faͤhret fort: 〟Das Alter quaͤlt ſich ſelbſt, weil es zu wenig hoft.〟 Dieſe Sentenzen mit einer gleichguͤltigen Aktion, mit einer nichts als ſchoͤnen Bewegung des Ar- mes begleiten, wuͤrde weit ſchlimmer ſeyn, als ſie ganz ohne Aktion herſagen. Die einzige ihnen angemeſſene Aktion iſt die, welche ihre All- D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/43
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/43>, abgerufen am 22.11.2024.