Dorante.Gleichwohl darf ich nicht muchsen. Denn was würde die Welt dazu sagen? Wie lä- cherlich würde ich mich machen, wenn ich meinen Verdruß auslassen wollte? Die Kinder auf der Straaße würden mit Fingern auf mich weisen. Alle Tage würde ein Epigramm, ein Gassenhauer auf mich zum Vorscheine kommen u. s. w.
Diese Situation muß es seyn, in welcher Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten Philosophen gefunden hat. So wie der Eifer- süchtige des Campistron sich schämet, seine Ei- fersucht auszulassen, weil er sich ehedem über diese Schwachheit allzulustig gemacht hat: so schämt sich auch der Philosoph des Destouches, seine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe- dem über alle ernsthafte Liebe gespottet, und den ehelosen Stand für den einzigen erklärt hat- te, der einem freyen und weisen Manne anstän- dig sey. Es kann auch nicht fehlen, daß diese ähnliche Schaam sie nicht beide in mancherley ähnliche Verlegenheiten bringen sollte. So ist, z. E., die, in welcher sich Dorante beym Cam- pistron siehet, wenn er von seiner Frau verlangt, ihm die überlästigen Besucher von Halse zu schaffen, diese aber ihn bedeutet, daß das eine Sache sey, die er selbst bewerkstelligen müsse, fast die nehmliche mit der bey dem Destouches, in welcher sich Arist befindet, wenn er es selbst
dem
Dorante.Gleichwohl darf ich nicht muchſen. Denn was wuͤrde die Welt dazu ſagen? Wie laͤ- cherlich wuͤrde ich mich machen, wenn ich meinen Verdruß auslaſſen wollte? Die Kinder auf der Straaße wuͤrden mit Fingern auf mich weiſen. Alle Tage wuͤrde ein Epigramm, ein Gaſſenhauer auf mich zum Vorſcheine kommen u. ſ. w.
Dieſe Situation muß es ſeyn, in welcher Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten Philoſophen gefunden hat. So wie der Eifer- ſuͤchtige des Campiſtron ſich ſchaͤmet, ſeine Ei- ferſucht auszulaſſen, weil er ſich ehedem uͤber dieſe Schwachheit allzuluſtig gemacht hat: ſo ſchaͤmt ſich auch der Philoſoph des Destouches, ſeine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe- dem uͤber alle ernſthafte Liebe geſpottet, und den eheloſen Stand fuͤr den einzigen erklaͤrt hat- te, der einem freyen und weiſen Manne anſtaͤn- dig ſey. Es kann auch nicht fehlen, daß dieſe aͤhnliche Schaam ſie nicht beide in mancherley aͤhnliche Verlegenheiten bringen ſollte. So iſt, z. E., die, in welcher ſich Dorante beym Cam- piſtron ſiehet, wenn er von ſeiner Frau verlangt, ihm die uͤberlaͤſtigen Beſucher von Halſe zu ſchaffen, dieſe aber ihn bedeutet, daß das eine Sache ſey, die er ſelbſt bewerkſtelligen muͤſſe, faſt die nehmliche mit der bey dem Destouches, in welcher ſich Ariſt befindet, wenn er es ſelbſt
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Dorante. Gleichwohl darf ich nicht muchſen.
Denn was wuͤrde die Welt dazu ſagen? Wie laͤ-
cherlich wuͤrde ich mich machen, wenn ich meinen
Verdruß auslaſſen wollte? Die Kinder auf der
Straaße wuͤrden mit Fingern auf mich weiſen.
Alle Tage wuͤrde ein Epigramm, ein Gaſſenhauer
auf mich zum Vorſcheine kommen u. ſ. w.
Dieſe Situation muß es ſeyn, in welcher
Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten
Philoſophen gefunden hat. So wie der Eifer-
ſuͤchtige des Campiſtron ſich ſchaͤmet, ſeine Ei-
ferſucht auszulaſſen, weil er ſich ehedem uͤber
dieſe Schwachheit allzuluſtig gemacht hat: ſo
ſchaͤmt ſich auch der Philoſoph des Destouches,
ſeine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe-
dem uͤber alle ernſthafte Liebe geſpottet, und
den eheloſen Stand fuͤr den einzigen erklaͤrt hat-
te, der einem freyen und weiſen Manne anſtaͤn-
dig ſey. Es kann auch nicht fehlen, daß dieſe
aͤhnliche Schaam ſie nicht beide in mancherley
aͤhnliche Verlegenheiten bringen ſollte. So iſt,
z. E., die, in welcher ſich Dorante beym Cam-
piſtron ſiehet, wenn er von ſeiner Frau verlangt,
ihm die uͤberlaͤſtigen Beſucher von Halſe zu
ſchaffen, dieſe aber ihn bedeutet, daß das eine
Sache ſey, die er ſelbſt bewerkſtelligen muͤſſe,
faſt die nehmliche mit der bey dem Destouches,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/420>, abgerufen am 24.11.2024.
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