Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

aus Furcht, wenn der Körper auf der Straße
gefunden würde, daß man den Mörder verfol-
gen und ihn dafür erkennen dürfte. Ein Räu-
ber, dachte Voltaire, der einem Prinzen den
Rock ausziehen und den Beutel nehmen will, ist
für mein feines, edles Parterr ein viel zu nie-
driges Bild; besser, aus diesem Räuber einen
Mißvergnügten gemacht, der dem Aegisth als
einem Anhänger der Herakliden zu Leibe will.
Und warum nur Einen? Lieber zwey; so ist die
Heldenthat des Aegisths desto größer, und der,
welcher von diesen zweyen entrinnt, wenn er zu
dem ältrern gemacht wird, kann hernach für den
Narbas genommen werden. Recht gut, mein
lieber Johann Ballhorn; aber nun weiter.
Wenn Aegisth den einen von diesen Mißver-
gnügten erlegt hat, was thut er alsdenn? Er
trägt den todten Körper auch ins Wasser. Auch?
Aber wie denn? warum denn? Von der leeren
Landstraße in den nahen Fluß; das ist ganz be-
greiflich: aber aus dem Tempel in den Fluß,
dieses auch? War denn außer ihnen niemand in
diesem Tempel? Es sey so; auch ist das die größte
Ungereimtheit noch nicht. Das Wie ließe sich
noch denken: aber das Warum gar nicht. Maf-
feis Aegisth trägt den Körper in den Fluß, weil
er sonst verfolgt und erkannt zu werden fürchtet;
weil er glaubt, wenn der Körper bey Seite ge-
schaft sey, daß sodann nichts seine That verra-

then

aus Furcht, wenn der Koͤrper auf der Straße
gefunden wuͤrde, daß man den Moͤrder verfol-
gen und ihn dafuͤr erkennen duͤrfte. Ein Raͤu-
ber, dachte Voltaire, der einem Prinzen den
Rock ausziehen und den Beutel nehmen will, iſt
fuͤr mein feines, edles Parterr ein viel zu nie-
driges Bild; beſſer, aus dieſem Raͤuber einen
Mißvergnuͤgten gemacht, der dem Aegisth als
einem Anhaͤnger der Herakliden zu Leibe will.
Und warum nur Einen? Lieber zwey; ſo iſt die
Heldenthat des Aegisths deſto groͤßer, und der,
welcher von dieſen zweyen entrinnt, wenn er zu
dem aͤltrern gemacht wird, kann hernach fuͤr den
Narbas genommen werden. Recht gut, mein
lieber Johann Ballhorn; aber nun weiter.
Wenn Aegisth den einen von dieſen Mißver-
gnuͤgten erlegt hat, was thut er alsdenn? Er
traͤgt den todten Koͤrper auch ins Waſſer. Auch?
Aber wie denn? warum denn? Von der leeren
Landſtraße in den nahen Fluß; das iſt ganz be-
greiflich: aber aus dem Tempel in den Fluß,
dieſes auch? War denn außer ihnen niemand in
dieſem Tempel? Es ſey ſo; auch iſt das die groͤßte
Ungereimtheit noch nicht. Das Wie ließe ſich
noch denken: aber das Warum gar nicht. Maf-
feis Aegisth traͤgt den Koͤrper in den Fluß, weil
er ſonſt verfolgt und erkannt zu werden fuͤrchtet;
weil er glaubt, wenn der Koͤrper bey Seite ge-
ſchaft ſey, daß ſodann nichts ſeine That verra-

then
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0412" n="398"/>
aus Furcht, wenn der Ko&#x0364;rper auf der Straße<lb/>
gefunden wu&#x0364;rde, daß man den Mo&#x0364;rder verfol-<lb/>
gen und ihn dafu&#x0364;r erkennen du&#x0364;rfte. Ein Ra&#x0364;u-<lb/>
ber, dachte Voltaire, der einem Prinzen den<lb/>
Rock ausziehen und den Beutel nehmen will, i&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r mein feines, edles Parterr ein viel zu nie-<lb/>
driges Bild; be&#x017F;&#x017F;er, aus die&#x017F;em Ra&#x0364;uber einen<lb/>
Mißvergnu&#x0364;gten gemacht, der dem Aegisth als<lb/>
einem Anha&#x0364;nger der Herakliden zu Leibe will.<lb/>
Und warum nur Einen? Lieber zwey; &#x017F;o i&#x017F;t die<lb/>
Heldenthat des Aegisths de&#x017F;to gro&#x0364;ßer, und der,<lb/>
welcher von die&#x017F;en zweyen entrinnt, wenn er zu<lb/>
dem a&#x0364;ltrern gemacht wird, kann hernach fu&#x0364;r den<lb/>
Narbas genommen werden. Recht gut, mein<lb/>
lieber Johann Ballhorn; aber nun weiter.<lb/>
Wenn Aegisth den einen von die&#x017F;en Mißver-<lb/>
gnu&#x0364;gten erlegt hat, was thut er alsdenn? Er<lb/>
tra&#x0364;gt den todten Ko&#x0364;rper auch ins Wa&#x017F;&#x017F;er. Auch?<lb/>
Aber wie denn? warum denn? Von der leeren<lb/>
Land&#x017F;traße in den nahen Fluß; das i&#x017F;t ganz be-<lb/>
greiflich: aber aus dem Tempel in den Fluß,<lb/>
die&#x017F;es auch? War denn außer ihnen niemand in<lb/>
die&#x017F;em Tempel? Es &#x017F;ey &#x017F;o; auch i&#x017F;t das die gro&#x0364;ßte<lb/>
Ungereimtheit noch nicht. Das Wie ließe &#x017F;ich<lb/>
noch denken: aber das Warum gar nicht. Maf-<lb/>
feis Aegisth tra&#x0364;gt den Ko&#x0364;rper in den Fluß, weil<lb/>
er &#x017F;on&#x017F;t verfolgt und erkannt zu werden fu&#x0364;rchtet;<lb/>
weil er glaubt, wenn der Ko&#x0364;rper bey Seite ge-<lb/>
&#x017F;chaft &#x017F;ey, daß &#x017F;odann nichts &#x017F;eine That verra-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">then</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[398/0412] aus Furcht, wenn der Koͤrper auf der Straße gefunden wuͤrde, daß man den Moͤrder verfol- gen und ihn dafuͤr erkennen duͤrfte. Ein Raͤu- ber, dachte Voltaire, der einem Prinzen den Rock ausziehen und den Beutel nehmen will, iſt fuͤr mein feines, edles Parterr ein viel zu nie- driges Bild; beſſer, aus dieſem Raͤuber einen Mißvergnuͤgten gemacht, der dem Aegisth als einem Anhaͤnger der Herakliden zu Leibe will. Und warum nur Einen? Lieber zwey; ſo iſt die Heldenthat des Aegisths deſto groͤßer, und der, welcher von dieſen zweyen entrinnt, wenn er zu dem aͤltrern gemacht wird, kann hernach fuͤr den Narbas genommen werden. Recht gut, mein lieber Johann Ballhorn; aber nun weiter. Wenn Aegisth den einen von dieſen Mißver- gnuͤgten erlegt hat, was thut er alsdenn? Er traͤgt den todten Koͤrper auch ins Waſſer. Auch? Aber wie denn? warum denn? Von der leeren Landſtraße in den nahen Fluß; das iſt ganz be- greiflich: aber aus dem Tempel in den Fluß, dieſes auch? War denn außer ihnen niemand in dieſem Tempel? Es ſey ſo; auch iſt das die groͤßte Ungereimtheit noch nicht. Das Wie ließe ſich noch denken: aber das Warum gar nicht. Maf- feis Aegisth traͤgt den Koͤrper in den Fluß, weil er ſonſt verfolgt und erkannt zu werden fuͤrchtet; weil er glaubt, wenn der Koͤrper bey Seite ge- ſchaft ſey, daß ſodann nichts ſeine That verra- then

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/412
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/412>, abgerufen am 15.05.2024.