Ohne Zweifel glaubte Favart durch derglei- chen Ueberladungen das Spiel der Roxelane noch lebhafter zu machen; die Anlage zu Impertinen- zen sahe er einmal gemacht, und eine mehr oder weniger konnte ihm nichts verschlagen, beson- ders wenn er die Wendung in Gedanken hatte, die er am Ende mit dieser Person nehmen wollte. Denn ohngeachtet, daß seine Roxelane noch un- bedachtsamere Streiche macht, noch plumpern Muthwillen treibet, so hat er sie dennoch zu ei- nem bessern und edlern Charaktere zu machen gewußt, als wir in Marmontels Roxelane er- kennen. Und wie das? warum das?
Eben auf diese Veränderung wollte ich oben (*) kommen; und mich dünkt, sie ist so glücklich und vortheilhaft, daß sie von den Fran- zosen bemerkt und ihrem Urheber angerechnet zu werden verdient hätte.
Marmontels Roxelane ist wirklich, was sie scheinet, ein kleines närrisches, vermessenes Ding, dessen Glück es ist, daß der Sultan Ge- schmack an ihm gefunden, und das die Kunst ver- steht, diesen Geschmack durch Hunger immer gie- riger zu machen, und ihn nicht eher zu befriedi- gen, als bis sie ihren Zwecke erreicht hat. Hin- ter Favarts Roxelane hingegen steckt mehr, sie scheinet die kecke Buhlerinn mehr gespielt zu ha- ben, als zu seyn, durch ihre Dreistigkeiten den
Sul-
(*) S. 262.
Ohne Zweifel glaubte Favart durch derglei- chen Ueberladungen das Spiel der Roxelane noch lebhafter zu machen; die Anlage zu Impertinen- zen ſahe er einmal gemacht, und eine mehr oder weniger konnte ihm nichts verſchlagen, beſon- ders wenn er die Wendung in Gedanken hatte, die er am Ende mit dieſer Perſon nehmen wollte. Denn ohngeachtet, daß ſeine Roxelane noch un- bedachtſamere Streiche macht, noch plumpern Muthwillen treibet, ſo hat er ſie dennoch zu ei- nem beſſern und edlern Charaktere zu machen gewußt, als wir in Marmontels Roxelane er- kennen. Und wie das? warum das?
Eben auf dieſe Veraͤnderung wollte ich oben (*) kommen; und mich duͤnkt, ſie iſt ſo gluͤcklich und vortheilhaft, daß ſie von den Fran- zoſen bemerkt und ihrem Urheber angerechnet zu werden verdient haͤtte.
Marmontels Roxelane iſt wirklich, was ſie ſcheinet, ein kleines naͤrriſches, vermeſſenes Ding, deſſen Gluͤck es iſt, daß der Sultan Ge- ſchmack an ihm gefunden, und das die Kunſt ver- ſteht, dieſen Geſchmack durch Hunger immer gie- riger zu machen, und ihn nicht eher zu befriedi- gen, als bis ſie ihren Zwecke erreicht hat. Hin- ter Favarts Roxelane hingegen ſteckt mehr, ſie ſcheinet die kecke Buhlerinn mehr geſpielt zu ha- ben, als zu ſeyn, durch ihre Dreiſtigkeiten den
Sul-
(*) S. 262.
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Ohne Zweifel glaubte Favart durch derglei-
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lebhafter zu machen; die Anlage zu Impertinen-
zen ſahe er einmal gemacht, und eine mehr oder
weniger konnte ihm nichts verſchlagen, beſon-
ders wenn er die Wendung in Gedanken hatte,
die er am Ende mit dieſer Perſon nehmen wollte.
Denn ohngeachtet, daß ſeine Roxelane noch un-
bedachtſamere Streiche macht, noch plumpern
Muthwillen treibet, ſo hat er ſie dennoch zu ei-
nem beſſern und edlern Charaktere zu machen
gewußt, als wir in Marmontels Roxelane er-
kennen. Und wie das? warum das?
Eben auf dieſe Veraͤnderung wollte ich
oben (*) kommen; und mich duͤnkt, ſie iſt ſo
gluͤcklich und vortheilhaft, daß ſie von den Fran-
zoſen bemerkt und ihrem Urheber angerechnet zu
werden verdient haͤtte.
Marmontels Roxelane iſt wirklich, was ſie
ſcheinet, ein kleines naͤrriſches, vermeſſenes
Ding, deſſen Gluͤck es iſt, daß der Sultan Ge-
ſchmack an ihm gefunden, und das die Kunſt ver-
ſteht, dieſen Geſchmack durch Hunger immer gie-
riger zu machen, und ihn nicht eher zu befriedi-
gen, als bis ſie ihren Zwecke erreicht hat. Hin-
ter Favarts Roxelane hingegen ſteckt mehr, ſie
ſcheinet die kecke Buhlerinn mehr geſpielt zu ha-
ben, als zu ſeyn, durch ihre Dreiſtigkeiten den
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/288>, abgerufen am 21.11.2024.
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