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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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schlägt die Mutter todt, um die Prinzeßinn zu
haben: damit ist es wieder aus. Oder sie gehen
beide hin, und schlagen die Geliebte todt, und
wollen beide den Thron haben: so kann es gar
nicht auswerden. Oder sie schlagen beide die
Mutter todt, und wollen beide das Mädchen
haben: und so kann es wiederum nicht auswer-
den. Aber wenn sie beide fein tugendhaft sind,
so will keiner weder die eine noch die andere todt
schlagen; so stehen sie beide hübsch und sperren
das Maul auf, und wissen nicht, was sie thun
sollen: und das ist eben die Schönheit davon.
Freylich wird das Stück dadurch ein sehr sonder-
bares Ansehen bekommen, daß die Weiber
darinn ärger als rasende Männer, und die
Männer weibischer als die armseligsten Weiber
handeln: aber was schadet das? Vielmehr ist
dieses ein Vorzug des Stückes mehr; denn das
Gegentheil ist so gewöhnlich, so abgedroschen! --

Doch im Ernste: ich weiß nicht, ob es viel
Mühe kostet, dergleichen Erdichtungen zu ma-
chen; ich habe es nie versucht, ich möchte es
auch schwerlich jemals versuchen. Aber das
weiß ich, daß es einem sehr sauer wird, derglei-
chen Erdichtungen zu verdauen.

Nicht zwar, weil es bloße Erdichtungen sind;
weil nicht die mindeste Spur in der Geschichte

davon

ſchlaͤgt die Mutter todt, um die Prinzeßinn zu
haben: damit iſt es wieder aus. Oder ſie gehen
beide hin, und ſchlagen die Geliebte todt, und
wollen beide den Thron haben: ſo kann es gar
nicht auswerden. Oder ſie ſchlagen beide die
Mutter todt, und wollen beide das Maͤdchen
haben: und ſo kann es wiederum nicht auswer-
den. Aber wenn ſie beide fein tugendhaft ſind,
ſo will keiner weder die eine noch die andere todt
ſchlagen; ſo ſtehen ſie beide huͤbſch und ſperren
das Maul auf, und wiſſen nicht, was ſie thun
ſollen: und das iſt eben die Schoͤnheit davon.
Freylich wird das Stuͤck dadurch ein ſehr ſonder-
bares Anſehen bekommen, daß die Weiber
darinn aͤrger als raſende Maͤnner, und die
Maͤnner weibiſcher als die armſeligſten Weiber
handeln: aber was ſchadet das? Vielmehr iſt
dieſes ein Vorzug des Stuͤckes mehr; denn das
Gegentheil iſt ſo gewoͤhnlich, ſo abgedroſchen! —

Doch im Ernſte: ich weiß nicht, ob es viel
Muͤhe koſtet, dergleichen Erdichtungen zu ma-
chen; ich habe es nie verſucht, ich moͤchte es
auch ſchwerlich jemals verſuchen. Aber das
weiß ich, daß es einem ſehr ſauer wird, derglei-
chen Erdichtungen zu verdauen.

Nicht zwar, weil es bloße Erdichtungen ſind;
weil nicht die mindeſte Spur in der Geſchichte

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[246/0260] ſchlaͤgt die Mutter todt, um die Prinzeßinn zu haben: damit iſt es wieder aus. Oder ſie gehen beide hin, und ſchlagen die Geliebte todt, und wollen beide den Thron haben: ſo kann es gar nicht auswerden. Oder ſie ſchlagen beide die Mutter todt, und wollen beide das Maͤdchen haben: und ſo kann es wiederum nicht auswer- den. Aber wenn ſie beide fein tugendhaft ſind, ſo will keiner weder die eine noch die andere todt ſchlagen; ſo ſtehen ſie beide huͤbſch und ſperren das Maul auf, und wiſſen nicht, was ſie thun ſollen: und das iſt eben die Schoͤnheit davon. Freylich wird das Stuͤck dadurch ein ſehr ſonder- bares Anſehen bekommen, daß die Weiber darinn aͤrger als raſende Maͤnner, und die Maͤnner weibiſcher als die armſeligſten Weiber handeln: aber was ſchadet das? Vielmehr iſt dieſes ein Vorzug des Stuͤckes mehr; denn das Gegentheil iſt ſo gewoͤhnlich, ſo abgedroſchen! — Doch im Ernſte: ich weiß nicht, ob es viel Muͤhe koſtet, dergleichen Erdichtungen zu ma- chen; ich habe es nie verſucht, ich moͤchte es auch ſchwerlich jemals verſuchen. Aber das weiß ich, daß es einem ſehr ſauer wird, derglei- chen Erdichtungen zu verdauen. Nicht zwar, weil es bloße Erdichtungen ſind; weil nicht die mindeſte Spur in der Geſchichte davon

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/260>, abgerufen am 23.11.2024.