dachte Corneille: das wäre ja eine ganz gemeine Frau; nein, meine Cleopatra muß eine Heldinn seyn, die noch wohl ihren Mann gern verlohren hätte, aber durchaus nicht den Thron; daß ihr Mann Rodogunen liebt, muß sie nicht so sehr schmerzen, als daß Rodogune Königinn seyn soll, wie sie; das ist weit erhabner. --
Ganz recht; weit erhabner und -- weit un- natürlicher. Denn einmal ist der Stolz über- haupt ein unnatürlicheres, ein gekünstelteres Laster, als die Eifersucht. Zweytens ist der Stolz eines Weibes noch unnatürlicher, als der Stolz eines Mannes. Die Natur rüstete das weibliche Geschlecht zur Liebe, nicht zu Gewalt- seligkeiten aus; es soll Zärtlichkeit, nicht Furcht erwecken; nur seine Reitze sollen es mächtig machen; nur durch Liebkosungen soll es herr- schen, und soll nicht mehr beherrschen wollen, als es geniessen kann. Eine Frau, der das Herrschen, bloß des Herrschens wegen, gefällt, bey der alle Neigungen dem Ehrgeitze unterge- ordnet sind, die keine andere Glückseligkeit ken- net, als zu gebiethen, zu tyrannisiren, und ihren Fuß ganzen Völkern auf den Nacken zu setzen; so eine Frau kann wohl einmal, auch mehr als einmal, wirklich gewesen seyn, aber sie ist dem ohngeachtet eine Ausnahme, und wer eine Ausnahme schildert, schildert ohnstreitig
das
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dachte Corneille: das waͤre ja eine ganz gemeine Frau; nein, meine Cleopatra muß eine Heldinn ſeyn, die noch wohl ihren Mann gern verlohren haͤtte, aber durchaus nicht den Thron; daß ihr Mann Rodogunen liebt, muß ſie nicht ſo ſehr ſchmerzen, als daß Rodogune Koͤniginn ſeyn ſoll, wie ſie; das iſt weit erhabner. —
Ganz recht; weit erhabner und — weit un- natuͤrlicher. Denn einmal iſt der Stolz uͤber- haupt ein unnatuͤrlicheres, ein gekuͤnſtelteres Laſter, als die Eiferſucht. Zweytens iſt der Stolz eines Weibes noch unnatuͤrlicher, als der Stolz eines Mannes. Die Natur ruͤſtete das weibliche Geſchlecht zur Liebe, nicht zu Gewalt- ſeligkeiten aus; es ſoll Zaͤrtlichkeit, nicht Furcht erwecken; nur ſeine Reitze ſollen es maͤchtig machen; nur durch Liebkoſungen ſoll es herr- ſchen, und ſoll nicht mehr beherrſchen wollen, als es genieſſen kann. Eine Frau, der das Herrſchen, bloß des Herrſchens wegen, gefaͤllt, bey der alle Neigungen dem Ehrgeitze unterge- ordnet ſind, die keine andere Gluͤckſeligkeit ken- net, als zu gebiethen, zu tyranniſiren, und ihren Fuß ganzen Voͤlkern auf den Nacken zu ſetzen; ſo eine Frau kann wohl einmal, auch mehr als einmal, wirklich geweſen ſeyn, aber ſie iſt dem ohngeachtet eine Ausnahme, und wer eine Ausnahme ſchildert, ſchildert ohnſtreitig
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dachte Corneille: das waͤre ja eine ganz gemeine
Frau; nein, meine Cleopatra muß eine Heldinn
ſeyn, die noch wohl ihren Mann gern verlohren
haͤtte, aber durchaus nicht den Thron; daß ihr
Mann Rodogunen liebt, muß ſie nicht ſo ſehr
ſchmerzen, als daß Rodogune Koͤniginn ſeyn
ſoll, wie ſie; das iſt weit erhabner. —
Ganz recht; weit erhabner und — weit un-
natuͤrlicher. Denn einmal iſt der Stolz uͤber-
haupt ein unnatuͤrlicheres, ein gekuͤnſtelteres
Laſter, als die Eiferſucht. Zweytens iſt der
Stolz eines Weibes noch unnatuͤrlicher, als der
Stolz eines Mannes. Die Natur ruͤſtete das
weibliche Geſchlecht zur Liebe, nicht zu Gewalt-
ſeligkeiten aus; es ſoll Zaͤrtlichkeit, nicht Furcht
erwecken; nur ſeine Reitze ſollen es maͤchtig
machen; nur durch Liebkoſungen ſoll es herr-
ſchen, und ſoll nicht mehr beherrſchen wollen,
als es genieſſen kann. Eine Frau, der das
Herrſchen, bloß des Herrſchens wegen, gefaͤllt,
bey der alle Neigungen dem Ehrgeitze unterge-
ordnet ſind, die keine andere Gluͤckſeligkeit ken-
net, als zu gebiethen, zu tyranniſiren, und
ihren Fuß ganzen Voͤlkern auf den Nacken zu
ſetzen; ſo eine Frau kann wohl einmal, auch
mehr als einmal, wirklich geweſen ſeyn, aber
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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