Den vier und dreyßigsten Abend (Montags, den 29sten Junius,) ward der Zerstreute des Regnard aufgeführt
Ich glaube schwerlich, daß unsere Großväter den deutschen Titel dieses Stücks verstanden hät- ten. Noch Schlegel übersetzte Distrait durch Träumer. Zerstreut seyn, ein Zerstreuter, ist lediglich nach der Analogie des Französischen ge- macht. Wir wollen nicht untersuchen, wer das Recht hatte, diese Worte zu machen; sondern wir wollen sie brauchen, nachdem sie einmal ge- macht sind. Man versteht sie nunmehr, und das ist genug.
Regnard brachte seinen Zerstreuten im Jahre 1697 aufs Theater; und er fand nicht den ge- ringsten Beyfall. Aber vier und dreyßig Jahr darauf, als ihn die Komödianten wieder vor- suchten, fand er einen so viel größern. Wel- ches Publikum hatte nun Recht? Vielleicht hat- ten sie beyde nicht Unrecht. Jenes strenge Publi- kum verwarf das Stück als eine gute förmliche Komödie, wofür es der Dichter ohne Zweifel
aus-
fait. Tenez, le vela, prennez. Tout comme ca.
Claudine.Et tu depenses cinq sols en porteurs de paquets?
Blaise.Oui, par maniere de recreation.
Arlequis.Est-ce pour moi les cinq sols; Monsieur Blaise?
Blaise.Oui, mon ami. &c.
E e 3
Den vier und dreyßigſten Abend (Montags, den 29ſten Junius,) ward der Zerſtreute des Regnard aufgefuͤhrt
Ich glaube ſchwerlich, daß unſere Großvaͤter den deutſchen Titel dieſes Stuͤcks verſtanden haͤt- ten. Noch Schlegel uͤberſetzte Diſtrait durch Traͤumer. Zerſtreut ſeyn, ein Zerſtreuter, iſt lediglich nach der Analogie des Franzoͤſiſchen ge- macht. Wir wollen nicht unterſuchen, wer das Recht hatte, dieſe Worte zu machen; ſondern wir wollen ſie brauchen, nachdem ſie einmal ge- macht ſind. Man verſteht ſie nunmehr, und das iſt genug.
Regnard brachte ſeinen Zerſtreuten im Jahre 1697 aufs Theater; und er fand nicht den ge- ringſten Beyfall. Aber vier und dreyßig Jahr darauf, als ihn die Komoͤdianten wieder vor- ſuchten, fand er einen ſo viel groͤßern. Wel- ches Publikum hatte nun Recht? Vielleicht hat- ten ſie beyde nicht Unrecht. Jenes ſtrenge Publi- kum verwarf das Stuͤck als eine gute foͤrmliche Komoͤdie, wofuͤr es der Dichter ohne Zweifel
aus-
fait. Tenez, le vela, prennez. Tout comme ça.
Claudine.Et tu dépenſes cinq ſols en porteurs de paquets?
Blaise.Oui, par maniere de recreation.
Arlequis.Eſt-ce pour moi les cinq ſols; Monſieur Blaiſe?
Blaise.Oui, mon ami. &c.
E e 3
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0235"n="221"/><p>Den vier und dreyßigſten Abend (Montags,<lb/>
den 29ſten Junius,) ward der Zerſtreute des<lb/>
Regnard aufgefuͤhrt</p><lb/><p>Ich glaube ſchwerlich, daß unſere Großvaͤter<lb/>
den deutſchen Titel dieſes Stuͤcks verſtanden haͤt-<lb/>
ten. Noch Schlegel uͤberſetzte <hirendition="#aq">Diſtrait</hi> durch<lb/>
Traͤumer. Zerſtreut ſeyn, ein Zerſtreuter, iſt<lb/>
lediglich nach der Analogie des Franzoͤſiſchen ge-<lb/>
macht. Wir wollen nicht unterſuchen, wer das<lb/>
Recht hatte, dieſe Worte zu machen; ſondern<lb/>
wir wollen ſie brauchen, nachdem ſie einmal ge-<lb/>
macht ſind. Man verſteht ſie nunmehr, und<lb/>
das iſt genug.</p><lb/><p>Regnard brachte ſeinen Zerſtreuten im Jahre<lb/>
1697 aufs Theater; und er fand nicht den ge-<lb/>
ringſten Beyfall. Aber vier und dreyßig Jahr<lb/>
darauf, als ihn die Komoͤdianten wieder vor-<lb/>ſuchten, fand er einen ſo viel groͤßern. Wel-<lb/>
ches Publikum hatte nun Recht? Vielleicht hat-<lb/>
ten ſie beyde nicht Unrecht. Jenes ſtrenge Publi-<lb/>
kum verwarf das Stuͤck als eine gute foͤrmliche<lb/>
Komoͤdie, wofuͤr es der Dichter ohne Zweifel<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E e 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">aus-</fw><lb/><notexml:id="seg2pn_2_2"prev="#seg2pn_2_1"place="foot"n="(*)"><cit><quote><spxml:id="sp01b"prev="#sp01a"><p><hirendition="#aq">fait. Tenez, le vela, prennez. Tout<lb/>
comme ça.</hi></p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#aq"><hirendition="#k">Claudine.</hi></hi></speaker><p><hirendition="#aq">Et tu dépenſes cinq ſols en<lb/>
porteurs de paquets?</hi></p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#aq"><hirendition="#k">Blaise.</hi></hi></speaker><p><hirendition="#aq">Oui, par maniere de recreation.</hi></p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#aq"><hirendition="#k">Arlequis.</hi></hi></speaker><p><hirendition="#aq">Eſt-ce pour moi les cinq ſols;<lb/>
Monſieur Blaiſe?</hi></p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#aq"><hirendition="#k">Blaise.</hi></hi></speaker><p><hirendition="#aq">Oui, mon ami. &c.</hi></p></sp></quote></cit></note><lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0235]
Den vier und dreyßigſten Abend (Montags,
den 29ſten Junius,) ward der Zerſtreute des
Regnard aufgefuͤhrt
Ich glaube ſchwerlich, daß unſere Großvaͤter
den deutſchen Titel dieſes Stuͤcks verſtanden haͤt-
ten. Noch Schlegel uͤberſetzte Diſtrait durch
Traͤumer. Zerſtreut ſeyn, ein Zerſtreuter, iſt
lediglich nach der Analogie des Franzoͤſiſchen ge-
macht. Wir wollen nicht unterſuchen, wer das
Recht hatte, dieſe Worte zu machen; ſondern
wir wollen ſie brauchen, nachdem ſie einmal ge-
macht ſind. Man verſteht ſie nunmehr, und
das iſt genug.
Regnard brachte ſeinen Zerſtreuten im Jahre
1697 aufs Theater; und er fand nicht den ge-
ringſten Beyfall. Aber vier und dreyßig Jahr
darauf, als ihn die Komoͤdianten wieder vor-
ſuchten, fand er einen ſo viel groͤßern. Wel-
ches Publikum hatte nun Recht? Vielleicht hat-
ten ſie beyde nicht Unrecht. Jenes ſtrenge Publi-
kum verwarf das Stuͤck als eine gute foͤrmliche
Komoͤdie, wofuͤr es der Dichter ohne Zweifel
aus-
(*)
(*)
fait. Tenez, le vela, prennez. Tout
comme ça.
Claudine. Et tu dépenſes cinq ſols en
porteurs de paquets?
Blaise. Oui, par maniere de recreation.
Arlequis. Eſt-ce pour moi les cinq ſols;
Monſieur Blaiſe?
Blaise. Oui, mon ami. &c.
E e 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/235>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.