Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.heut zu Tage Volksgeschmack bleibt und bleiben wird. Und da find ich, daß er beym Trauer- spiele oder Staatsaktion, ist gleich viel, immer drauf losstürmt (die Aesthetiker mögens hören wollen oder nicht) das ist ein Kerl! das sind Kerls! bey der Komödie aber ists ein anders. Bey der geringfügigsten drollichten, possirli- chen unerwarteten Begebenheit im gemeinen Leben rufen die Blaffer mit seitwärts verkehr- tem Kopf: Komödie! Das ist eine Komödie! ächzen die alten Frauen. Die Hauptempfin- dung in der Komödie ist immer die Begeben- heit, die Hauptempfindung in der Tragödie ist die Person, die Schöpfer ihrer Begebenheiten. Also ganz und gar wider Madame Dacier Das Trauerspiel bey uns war also nie wie in
heut zu Tage Volksgeſchmack bleibt und bleiben wird. Und da find ich, daß er beym Trauer- ſpiele oder Staatsaktion, iſt gleich viel, immer drauf losſtuͤrmt (die Aeſthetiker moͤgens hoͤren wollen oder nicht) das iſt ein Kerl! das ſind Kerls! bey der Komoͤdie aber iſts ein anders. Bey der geringfuͤgigſten drollichten, poſſirli- chen unerwarteten Begebenheit im gemeinen Leben rufen die Blaffer mit ſeitwaͤrts verkehr- tem Kopf: Komoͤdie! Das iſt eine Komoͤdie! aͤchzen die alten Frauen. Die Hauptempfin- dung in der Komoͤdie iſt immer die Begeben- heit, die Hauptempfindung in der Tragoͤdie iſt die Perſon, die Schoͤpfer ihrer Begebenheiten. Alſo ganz und gar wider Madame Dacier Das Trauerſpiel bey uns war alſo nie wie in
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heut zu Tage Volksgeſchmack bleibt und bleiben
wird. Und da find ich, daß er beym Trauer-
ſpiele oder Staatsaktion, iſt gleich viel, immer
drauf losſtuͤrmt (die Aeſthetiker moͤgens hoͤren
wollen oder nicht) das iſt ein Kerl! das ſind
Kerls! bey der Komoͤdie aber iſts ein anders.
Bey der geringfuͤgigſten drollichten, poſſirli-
chen unerwarteten Begebenheit im gemeinen
Leben rufen die Blaffer mit ſeitwaͤrts verkehr-
tem Kopf: Komoͤdie! Das iſt eine Komoͤdie!
aͤchzen die alten Frauen. Die Hauptempfin-
dung in der Komoͤdie iſt immer die Begeben-
heit, die Hauptempfindung in der Tragoͤdie iſt
die Perſon, die Schoͤpfer ihrer Begebenheiten.
Alſo ganz und gar wider Madame Dacier
in ihrer Vorrede zum Terenz, der ich bey dieſer
Gelegenheit hoͤflichſt die Haͤnde kuͤſſe.
Das Trauerſpiel bey uns war alſo nie wie
bey den Griechen das Mittel, merkwuͤrdige
Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen,
ſondern merkwuͤrdige Perſonen. Zu jenem
hatten wir Chroniken, Romanzen, Feſte, zu
dieſem Vorſtellung, Drama. Die Perſon mit
all ihren Nebenperſonen, Jntereſſe, Leiden-
ſchaften, Handlungen. Und war ſie todt, ſo
ſchloß das Stuͤck, es muͤßte denn noch ihr Tod
Wuͤrkungen veranlaßt haben, die auf die Per-
ſon ein noch helleres Licht zuruͤckwuͤrfen. Daher
fuͤhren uns unſere aͤlteſten Schauſpieldichter
oft in einem Akt ohne Anſtoß durch verſchiede-
ne Jahre fort, ſie wollen uns die ganze Perſon
in
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