Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.Unsere Seele ist ein Ding, dessen Wirkun- Schlies-
Unſere Seele iſt ein Ding, deſſen Wirkun- Schlieſ-
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0019" n="13"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Unſere Seele iſt ein Ding, deſſen Wirkun-<lb/> gen wie die des Koͤrpers ſucceſſiv ſind, eine<lb/> nach der andern. Woher das komme, das<lb/> iſt — ſo viel iſt gewiß, daß unſere Seele von<lb/> ganzem Herzen wuͤnſcht, weder ſucceſſiv zu<lb/> erkennen, noch zu wollen. Wir moͤchten mit<lb/> einem Blick durch die innerſte Natur aller<lb/> Weſen dringen, mit einer Empfindung alle<lb/> Wonne, die in der Natur iſt, aufnehmen und<lb/> mit uns vereinigen. Fragen Sie ſich, m. H.<lb/> wenn Sie mir nicht glauben wollen. Wo-<lb/> her die Unruhe, wenn Sie hie und da eine<lb/> Seite der Erkenntniß <choice><sic>beklaſpt</sic><corr>beklapſt</corr></choice> haben, das<lb/> zitternde Verlangen, das Ganze mit Jhrem<lb/> Verſtande zu umfaſſen, die laͤhmende Furcht,<lb/> wenn Sie zur andern Seite uͤbergehn, werden<lb/> Sie die erſte wieder aus dem Gedaͤchtniß<lb/> verlieren. Eben ſo bey jedem Genuß, wo-<lb/> her dieſer Sturm, das All zu erfaſſen, der<lb/> Ueberdruß, wenn Jhrer keichenden Sehnſucht<lb/> kein neuer Gegenſtand uͤbrig zu bleiben<lb/> ſcheint — die Welt wird fuͤr Sie arm und<lb/> Sie ſchwaͤrmen nach Bruͤcken. Den zitter-<lb/> lichteſten Strahl moͤcht Jhr Heißhunger bis<lb/> in die Milchſtraſſe verfolgen, und blendete das<lb/> erzuͤrnte Schickſal Sie, wie Milton wuͤrden<lb/> Sie ſich in Chaos und Nacht Welten waͤh-<lb/> nen, deren Zugang im Reich der Wirklich-<lb/> keiten Jhnen verſperrt iſt.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Schlieſ-</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [13/0019]
Unſere Seele iſt ein Ding, deſſen Wirkun-
gen wie die des Koͤrpers ſucceſſiv ſind, eine
nach der andern. Woher das komme, das
iſt — ſo viel iſt gewiß, daß unſere Seele von
ganzem Herzen wuͤnſcht, weder ſucceſſiv zu
erkennen, noch zu wollen. Wir moͤchten mit
einem Blick durch die innerſte Natur aller
Weſen dringen, mit einer Empfindung alle
Wonne, die in der Natur iſt, aufnehmen und
mit uns vereinigen. Fragen Sie ſich, m. H.
wenn Sie mir nicht glauben wollen. Wo-
her die Unruhe, wenn Sie hie und da eine
Seite der Erkenntniß beklapſt haben, das
zitternde Verlangen, das Ganze mit Jhrem
Verſtande zu umfaſſen, die laͤhmende Furcht,
wenn Sie zur andern Seite uͤbergehn, werden
Sie die erſte wieder aus dem Gedaͤchtniß
verlieren. Eben ſo bey jedem Genuß, wo-
her dieſer Sturm, das All zu erfaſſen, der
Ueberdruß, wenn Jhrer keichenden Sehnſucht
kein neuer Gegenſtand uͤbrig zu bleiben
ſcheint — die Welt wird fuͤr Sie arm und
Sie ſchwaͤrmen nach Bruͤcken. Den zitter-
lichteſten Strahl moͤcht Jhr Heißhunger bis
in die Milchſtraſſe verfolgen, und blendete das
erzuͤrnte Schickſal Sie, wie Milton wuͤrden
Sie ſich in Chaos und Nacht Welten waͤh-
nen, deren Zugang im Reich der Wirklich-
keiten Jhnen verſperrt iſt.
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