Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.weiß eines unendlich freyhandelnden We- sens ist, so ist der erste Trieb, den wir in unserer Seele fühlen, die Begierde 's ihm nachzuthun; da aber die Welt keine Brücken hat, und wir uns schon mit den Dingen, die da sind, begnügen müssen, fühlen wir wenig- stens Zuwachs unsrer Existenz, Glückselig- keit, ihm nachzuäffen, seine Schöpfung ins Kleine zu schaffen. Obschon ich nun wegen dieses Grundtriebes nicht nöthig hätte mich auf eine Authorität zu berufen, so will ich doch nach der einmal eingeführten Weise mich auf die Worte eines grossen Kunstrich- ters mit einem Bart lehnen, eines Kunst- richters, der in meinen Anmerkungen noch manchmal ins Gewehr treten wird. Aristote- les im vierten Buch seiner Poetik: "Es scheint, daß überhaupt zwey natürliche Ursachen zur Poesie Gelegenheit gegeben. Denn es ist dem Menschen von Kindesbeinen an eigen, nachzuahmen. Und in diesem Stück liegt sein Unterscheidungszeichen von den Thieren. Der Mensch ist ein Thier, das vorzüglich ge- schickt ist, nachzuahmen. Ein Glück, daß er vorzüglich sagt, denn was würde sonst aus den Affen werden? Jch habe eine grosse Hochachtung für den der
weiß eines unendlich freyhandelnden We- ſens iſt, ſo iſt der erſte Trieb, den wir in unſerer Seele fuͤhlen, die Begierde ’s ihm nachzuthun; da aber die Welt keine Bruͤcken hat, und wir uns ſchon mit den Dingen, die da ſind, begnuͤgen muͤſſen, fuͤhlen wir wenig- ſtens Zuwachs unſrer Exiſtenz, Gluͤckſelig- keit, ihm nachzuaͤffen, ſeine Schoͤpfung ins Kleine zu ſchaffen. Obſchon ich nun wegen dieſes Grundtriebes nicht noͤthig haͤtte mich auf eine Authoritaͤt zu berufen, ſo will ich doch nach der einmal eingefuͤhrten Weiſe mich auf die Worte eines groſſen Kunſtrich- ters mit einem Bart lehnen, eines Kunſt- richters, der in meinen Anmerkungen noch manchmal ins Gewehr treten wird. Ariſtote- les im vierten Buch ſeiner Poetik: „Es ſcheint, daß uͤberhaupt zwey natuͤrliche Urſachen zur Poeſie Gelegenheit gegeben. Denn es iſt dem Menſchen von Kindesbeinen an eigen, nachzuahmen. Und in dieſem Stuͤck liegt ſein Unterſcheidungszeichen von den Thieren. Der Menſch iſt ein Thier, das vorzuͤglich ge- ſchickt iſt, nachzuahmen. Ein Gluͤck, daß er vorzuͤglich ſagt, denn was wuͤrde ſonſt aus den Affen werden? Jch habe eine groſſe Hochachtung fuͤr den der
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weiß eines unendlich freyhandelnden We-
ſens iſt, ſo iſt der erſte Trieb, den wir in
unſerer Seele fuͤhlen, die Begierde ’s ihm
nachzuthun; da aber die Welt keine Bruͤcken
hat, und wir uns ſchon mit den Dingen, die
da ſind, begnuͤgen muͤſſen, fuͤhlen wir wenig-
ſtens Zuwachs unſrer Exiſtenz, Gluͤckſelig-
keit, ihm nachzuaͤffen, ſeine Schoͤpfung ins
Kleine zu ſchaffen. Obſchon ich nun wegen
dieſes Grundtriebes nicht noͤthig haͤtte mich
auf eine Authoritaͤt zu berufen, ſo will ich
doch nach der einmal eingefuͤhrten Weiſe
mich auf die Worte eines groſſen Kunſtrich-
ters mit einem Bart lehnen, eines Kunſt-
richters, der in meinen Anmerkungen noch
manchmal ins Gewehr treten wird. Ariſtote-
les im vierten Buch ſeiner Poetik: „Es ſcheint,
daß uͤberhaupt zwey natuͤrliche Urſachen zur
Poeſie Gelegenheit gegeben. Denn es iſt
dem Menſchen von Kindesbeinen an eigen,
nachzuahmen. Und in dieſem Stuͤck liegt ſein
Unterſcheidungszeichen von den Thieren.
Der Menſch iſt ein Thier, das vorzuͤglich ge-
ſchickt iſt, nachzuahmen. Ein Gluͤck, daß
er vorzuͤglich ſagt, denn was wuͤrde ſonſt
aus den Affen werden?
Jch habe eine groſſe Hochachtung fuͤr den
Ariſtoteles, obwohl nicht fuͤr ſeinen Bart, den
ich allenfalls mit Peter Ramus, dem jedoch
der
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