Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite


sie waren scharfsinnig und sententiös, gefäl-
lig ohne Skurrilität, witzig ohne Affektion,
kühn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanität,
ungewöhnlich ohne Ketzerey. Jch habe die-
ser Tage quondam mit einem aus des Königs
Gefolge gesprochen, der sich betitelte Don
Adriana de Armado.
Holof. Novi hominem tanquam te. Sein
Humor ist hoch auffliegend, seine Reden ver-
messen, seine Zunge verwegen, sein Auge hof-
färtig, sein Gang prinzlich, prinzessenmäßig,
und sein ganzes Betragen lächerlich, auf-
geblasen und thrasonisch. Er ist so geziert,
gespitzt, seltsam und wunderlich, zu seltsam,
um seltsam zu seyn.
Nathan. Ein sehr auserlesenes Epithe-
ton, Herr!
(zieht seine Schreibtafel
und schreibt.)
Holof. Er zieht den Faden seines Aus-
drucks feiner aus, als die Wolle seiner Ge-
danken es aushält. Odi & arceo solche fana-
tische Phantasten, solche Henkersknechte al-
ler guten Orthographie, die zum Exempel
allesamt fein aussprechen, da sie doch nach
der Etymologie aussprechen sollten, allesamt
umarmt, wenn sie sagen sollten, umbarmt,
eure Genaden, verstümmelt er in 'r gnad.
Diese abominable, oder ich möchte lieber
sagen, abhominable Art zu sprechen, scheint mir
eine


ſie waren ſcharfſinnig und ſententioͤs, gefaͤl-
lig ohne Skurrilitaͤt, witzig ohne Affektion,
kuͤhn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanitaͤt,
ungewoͤhnlich ohne Ketzerey. Jch habe die-
ſer Tage quondam mit einem aus des Koͤnigs
Gefolge geſprochen, der ſich betitelte Don
Adriana de Armado.
Holof. Novi hominem tanquam te. Sein
Humor iſt hoch auffliegend, ſeine Reden ver-
meſſen, ſeine Zunge verwegen, ſein Auge hof-
faͤrtig, ſein Gang prinzlich, prinzeſſenmaͤßig,
und ſein ganzes Betragen laͤcherlich, auf-
geblaſen und thraſoniſch. Er iſt ſo geziert,
geſpitzt, ſeltſam und wunderlich, zu ſeltſam,
um ſeltſam zu ſeyn.
Nathan. Ein ſehr auserleſenes Epithe-
ton, Herr!
(zieht ſeine Schreibtafel
und ſchreibt.)
Holof. Er zieht den Faden ſeines Aus-
drucks feiner aus, als die Wolle ſeiner Ge-
danken es aushaͤlt. Odi & arceo ſolche fana-
tiſche Phantaſten, ſolche Henkersknechte al-
ler guten Orthographie, die zum Exempel
alleſamt fein ausſprechen, da ſie doch nach
der Etymologie ausſprechen ſollten, alleſamt
umarmt, wenn ſie ſagen ſollten, umbarmt,
eure Genaden, verſtuͤmmelt er in ’r gnad.
Dieſe abominable, oder ich moͤchte lieber
ſagen, abhominable Art zu ſprechen, ſcheint mir
eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp>
              <p><pb facs="#f0128" n="122"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ie waren &#x017F;charf&#x017F;innig und &#x017F;ententio&#x0364;s, gefa&#x0364;l-<lb/>
lig ohne Skurrilita&#x0364;t, witzig ohne Affektion,<lb/>
ku&#x0364;hn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanita&#x0364;t,<lb/>
ungewo&#x0364;hnlich ohne Ketzerey. Jch habe die-<lb/>
&#x017F;er Tage <hi rendition="#aq">quondam</hi> mit einem aus des Ko&#x0364;nigs<lb/>
Gefolge ge&#x017F;prochen, der &#x017F;ich betitelte Don<lb/>
Adriana de Armado.</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#g">Holof.</hi> </speaker>
              <p><hi rendition="#aq">Novi hominem tanquam te.</hi> Sein<lb/>
Humor i&#x017F;t hoch auffliegend, &#x017F;eine Reden ver-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;eine Zunge verwegen, &#x017F;ein Auge hof-<lb/>
fa&#x0364;rtig, &#x017F;ein Gang prinzlich, prinze&#x017F;&#x017F;enma&#x0364;ßig,<lb/>
und &#x017F;ein ganzes Betragen la&#x0364;cherlich, auf-<lb/>
gebla&#x017F;en und thra&#x017F;oni&#x017F;ch. Er i&#x017F;t &#x017F;o geziert,<lb/>
ge&#x017F;pitzt, &#x017F;elt&#x017F;am und wunderlich, zu &#x017F;elt&#x017F;am,<lb/>
um &#x017F;elt&#x017F;am zu &#x017F;eyn.</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </speaker>
              <p>Ein &#x017F;ehr auserle&#x017F;enes Epithe-<lb/>
ton, Herr!</p>
              <stage> <hi rendition="#et">(zieht &#x017F;eine Schreibtafel<lb/>
und &#x017F;chreibt.)</hi> </stage>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker> <hi rendition="#g">Holof.</hi> </speaker>
              <p>Er zieht den Faden &#x017F;eines Aus-<lb/>
drucks feiner aus, als die Wolle &#x017F;einer Ge-<lb/>
danken es ausha&#x0364;lt. <hi rendition="#aq">Odi &amp; arceo</hi> &#x017F;olche fana-<lb/>
ti&#x017F;che Phanta&#x017F;ten, &#x017F;olche Henkersknechte al-<lb/>
ler guten Orthographie, die zum Exempel<lb/>
alle&#x017F;amt fein aus&#x017F;prechen, da &#x017F;ie doch nach<lb/>
der Etymologie aus&#x017F;prechen &#x017F;ollten, alle&#x017F;amt<lb/>
umarmt, wenn &#x017F;ie &#x017F;agen &#x017F;ollten, umbarmt,<lb/>
eure Genaden, ver&#x017F;tu&#x0364;mmelt er in &#x2019;r gnad.<lb/>
Die&#x017F;e abominable, oder ich mo&#x0364;chte lieber<lb/>
&#x017F;agen, abhominable Art zu &#x017F;prechen, &#x017F;cheint mir<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0128] ſie waren ſcharfſinnig und ſententioͤs, gefaͤl- lig ohne Skurrilitaͤt, witzig ohne Affektion, kuͤhn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanitaͤt, ungewoͤhnlich ohne Ketzerey. Jch habe die- ſer Tage quondam mit einem aus des Koͤnigs Gefolge geſprochen, der ſich betitelte Don Adriana de Armado. Holof. Novi hominem tanquam te. Sein Humor iſt hoch auffliegend, ſeine Reden ver- meſſen, ſeine Zunge verwegen, ſein Auge hof- faͤrtig, ſein Gang prinzlich, prinzeſſenmaͤßig, und ſein ganzes Betragen laͤcherlich, auf- geblaſen und thraſoniſch. Er iſt ſo geziert, geſpitzt, ſeltſam und wunderlich, zu ſeltſam, um ſeltſam zu ſeyn. Nathan. Ein ſehr auserleſenes Epithe- ton, Herr! (zieht ſeine Schreibtafel und ſchreibt.) Holof. Er zieht den Faden ſeines Aus- drucks feiner aus, als die Wolle ſeiner Ge- danken es aushaͤlt. Odi & arceo ſolche fana- tiſche Phantaſten, ſolche Henkersknechte al- ler guten Orthographie, die zum Exempel alleſamt fein ausſprechen, da ſie doch nach der Etymologie ausſprechen ſollten, alleſamt umarmt, wenn ſie ſagen ſollten, umbarmt, eure Genaden, verſtuͤmmelt er in ’r gnad. Dieſe abominable, oder ich moͤchte lieber ſagen, abhominable Art zu ſprechen, ſcheint mir eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/128
Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/128>, abgerufen am 22.11.2024.