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Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

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Die Wahrheit dem Tyrannen laut gesprochen,
Und ihm erzählt der Menschen bangen Fluch;
Er hat gerüttelt an den blut'gen Jochen.
Darauf verhänget der Gesetze Buch
Den Tod, -- der Zwingherr hat es selbst geschrieben --
Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch!
Und daß der Kühne lebend noch geblieben,
Dankt er allein des Herrschers milder Gnade;
Sie will zu schonen manchmal auch belieben,
Sie tödtet ihn nicht plötzlich und gerade. --
Der Thor! er wollte Menschenliebe wagen,
Und wußte doch, daß sie den Donner lade,
Der in die Nacht sein Haupt nun hingeschlagen. --
Unheimlich wird dem Mörder dann zu Muthe,
Bringt ihm ein Mahner aus vergangnen Tagen
Das Kleid des Todten mit der Spur vom Blute,
Und hält ihm vor das bleiche Angesicht,
Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte:
Also behagt' es dem Tyrannen nicht,
Daß es gewagt der edle, kühne Thor,
Mit ihm zu gehen zürnend ins Gericht,
Die blut'ge Wahrheit ihm gehalten vor,
Das Kleid, so einst die schöne Freiheit trug,
Als sie geführt den vollen Freudenchor,
Die Wahrheit dem Tyrannen laut geſprochen,
Und ihm erzaͤhlt der Menſchen bangen Fluch;
Er hat geruͤttelt an den blut'gen Jochen.
Darauf verhaͤnget der Geſetze Buch
Den Tod, — der Zwingherr hat es ſelbſt geſchrieben —
Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch!
Und daß der Kuͤhne lebend noch geblieben,
Dankt er allein des Herrſchers milder Gnade;
Sie will zu ſchonen manchmal auch belieben,
Sie toͤdtet ihn nicht ploͤtzlich und gerade. —
Der Thor! er wollte Menſchenliebe wagen,
Und wußte doch, daß ſie den Donner lade,
Der in die Nacht ſein Haupt nun hingeſchlagen. —
Unheimlich wird dem Moͤrder dann zu Muthe,
Bringt ihm ein Mahner aus vergangnen Tagen
Das Kleid des Todten mit der Spur vom Blute,
Und haͤlt ihm vor das bleiche Angeſicht,
Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte:
Alſo behagt' es dem Tyrannen nicht,
Daß es gewagt der edle, kuͤhne Thor,
Mit ihm zu gehen zuͤrnend ins Gericht,
Die blut'ge Wahrheit ihm gehalten vor,
Das Kleid, ſo einſt die ſchoͤne Freiheit trug,
Als ſie gefuͤhrt den vollen Freudenchor,
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[7/0021] Die Wahrheit dem Tyrannen laut geſprochen, Und ihm erzaͤhlt der Menſchen bangen Fluch; Er hat geruͤttelt an den blut'gen Jochen. Darauf verhaͤnget der Geſetze Buch Den Tod, — der Zwingherr hat es ſelbſt geſchrieben — Ein jedes Blatt der Freiheit Leichentuch! Und daß der Kuͤhne lebend noch geblieben, Dankt er allein des Herrſchers milder Gnade; Sie will zu ſchonen manchmal auch belieben, Sie toͤdtet ihn nicht ploͤtzlich und gerade. — Der Thor! er wollte Menſchenliebe wagen, Und wußte doch, daß ſie den Donner lade, Der in die Nacht ſein Haupt nun hingeſchlagen. — Unheimlich wird dem Moͤrder dann zu Muthe, Bringt ihm ein Mahner aus vergangnen Tagen Das Kleid des Todten mit der Spur vom Blute, Und haͤlt ihm vor das bleiche Angeſicht, Was manches Jahr im Grabesdunkel ruhte: Alſo behagt' es dem Tyrannen nicht, Daß es gewagt der edle, kuͤhne Thor, Mit ihm zu gehen zuͤrnend ins Gericht, Die blut'ge Wahrheit ihm gehalten vor, Das Kleid, ſo einſt die ſchoͤne Freiheit trug, Als ſie gefuͤhrt den vollen Freudenchor,

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Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/21>, abgerufen am 23.04.2024.