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Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

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Schon singt und bringt uns Paradiesesträume
Im Blüthenstrauche dort die Nachtigall;
Melodisch zieht der Bach durch Waldesräume.
Der Hirte flötet und der Wiederhall;
Zur grünen Alpe kehrt die Herde wieder,
Weithin ertönt der frohe Glockenschall.
Der Wildbach stürzt vom Klippenhange nieder,
Ein Freudenthränenstrom, dem Lenz entgegen;
Es sonnen sich der Alpe Felsenglieder
Im warmen Schein, der Frühling klimmt verwegen
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach:
Der schüttelt sich den Winter ab, den trägen,
Und schleudert ihm Lawinendonner nach;
Voll Sehnsucht harrt er schon der Alpenrose,
Der holden Freundin, die der Lenz versprach,
Die jährlich ihn beschleicht auf weichem Moose. --
So zieht der Lenz herum in allen Gauen,
Verschwendet rings die schönen Freudenloose;
Doch Einen weiß ich, der ihn darf nicht schauen,
Und nicht, was Gott durch ihn gesandt, genießen,
Weil öde Kerkerwände ihn umgrauen,
Schmachvolle Fesseln ehern ihn umschließen.
Nicht hört er Vogelsang im Walde tönen,
Nicht sieht er, wie so schön die Blumen sprießen.
Schon ſingt und bringt uns Paradieſestraͤume
Im Bluͤthenſtrauche dort die Nachtigall;
Melodiſch zieht der Bach durch Waldesraͤume.
Der Hirte floͤtet und der Wiederhall;
Zur gruͤnen Alpe kehrt die Herde wieder,
Weithin ertoͤnt der frohe Glockenſchall.
Der Wildbach ſtuͤrzt vom Klippenhange nieder,
Ein Freudenthraͤnenſtrom, dem Lenz entgegen;
Es ſonnen ſich der Alpe Felſenglieder
Im warmen Schein, der Fruͤhling klimmt verwegen
Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach:
Der ſchuͤttelt ſich den Winter ab, den traͤgen,
Und ſchleudert ihm Lawinendonner nach;
Voll Sehnſucht harrt er ſchon der Alpenroſe,
Der holden Freundin, die der Lenz verſprach,
Die jaͤhrlich ihn beſchleicht auf weichem Mooſe. —
So zieht der Lenz herum in allen Gauen,
Verſchwendet rings die ſchoͤnen Freudenlooſe;
Doch Einen weiß ich, der ihn darf nicht ſchauen,
Und nicht, was Gott durch ihn geſandt, genießen,
Weil oͤde Kerkerwaͤnde ihn umgrauen,
Schmachvolle Feſſeln ehern ihn umſchließen.
Nicht hoͤrt er Vogelſang im Walde toͤnen,
Nicht ſieht er, wie ſo ſchoͤn die Blumen ſprießen.
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[4/0018] Schon ſingt und bringt uns Paradieſestraͤume Im Bluͤthenſtrauche dort die Nachtigall; Melodiſch zieht der Bach durch Waldesraͤume. Der Hirte floͤtet und der Wiederhall; Zur gruͤnen Alpe kehrt die Herde wieder, Weithin ertoͤnt der frohe Glockenſchall. Der Wildbach ſtuͤrzt vom Klippenhange nieder, Ein Freudenthraͤnenſtrom, dem Lenz entgegen; Es ſonnen ſich der Alpe Felſenglieder Im warmen Schein, der Fruͤhling klimmt verwegen Zum Schneeberg auf und ruft ihn jubelnd wach: Der ſchuͤttelt ſich den Winter ab, den traͤgen, Und ſchleudert ihm Lawinendonner nach; Voll Sehnſucht harrt er ſchon der Alpenroſe, Der holden Freundin, die der Lenz verſprach, Die jaͤhrlich ihn beſchleicht auf weichem Mooſe. — So zieht der Lenz herum in allen Gauen, Verſchwendet rings die ſchoͤnen Freudenlooſe; Doch Einen weiß ich, der ihn darf nicht ſchauen, Und nicht, was Gott durch ihn geſandt, genießen, Weil oͤde Kerkerwaͤnde ihn umgrauen, Schmachvolle Feſſeln ehern ihn umſchließen. Nicht hoͤrt er Vogelſang im Walde toͤnen, Nicht ſieht er, wie ſo ſchoͤn die Blumen ſprießen.

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Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/18>, abgerufen am 28.03.2024.