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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.
Factoren zusammen mit dem Umstande, dass es sein Antlitz Europa
und Westindien zuwendet, haben New-York zum Hauptsammelplatze
der Reichthümer der Union gemacht, deren Verwendung von diesem
Brennpunkte aus mit den Hilfsmitteln einer vollendeten Technik des
Handels und mit rücksichtsloser Energie geleitet wird. Gleichen Schritt
mit der Grossartigkeit des Handels- und des Gewerbebetriebes hält
der Luxus der oberen Stände, über den von Zeit zu Zeit erstaunlich
klingende Berichte nach Europa kommen. New-York ist dadurch auch
ein reiches Absatzgebiet für die Luxusindustrien Europas.

Unwillkürlich stellt man sich die Frage, warum von den pracht-
vollen Häfen, an denen die Ostküste Amerikas so reich ist, gerade
die Mündung des Hudson zu dieser herrschenden Stellung berufen
wurde und so das ehrwürdige Philadelphia und Boston, die Wiege
der Freiheit der Union, in den Hintergrund drängte. Auch diese Städte
liegen ja ganz nahe jenen Gebieten, in denen sich heute der Schwer-
punkt des wirtschaftlichen Lebens der Union befindet. Sein commer-
cielles Uebergewicht verdankt New-York der schon von Washington
so sehr protegirten Anlage von Canälen. New-York erhielt 1825 mit
der Eröffnung des berühmten Erie-Canales, welcher von Buffalo an der
Ostspitze des Erie-Sees nach Albany am Hudson führt, eine bequeme
und billige Verbindung mit der mächtigen Kette der grossen Seen.
Dies war der erste und blieb der einzige Canal, welcher das Gebirge
der Alleghanies überschreitet und bis in die Vierzigerjahre den ge-
sammten Handel der Binnengebiete mit dem atlantischen Ocean mono-
polisirte. Ihm verdanken Staat und Stadt New-York ihre rasche
wirthschaftliche Entwicklung und die heutige commercielle Stellung.
Die Bevölkerung der Stadt New-York stieg 1820--1840 von 124.000
auf 313.000 Einwohner. Durch den Bau des Oswego-Canales, welcher
vom Ontario-See ausgeht, und die Ausführung des Champlain-Canales,
der von Albany nordwärts zum Lorenz-Strom zieht, erhielt der Erie-
Canal werthvolle Anschlüsse, auf denen ihm grosse Mengen von Holz
und Getreide zugeführt werden. In der Zeit vor den Eisenbahnen
standen die Schiffe im Erie-Canale oft in einer ununterbrochenen Reihe
von 10 km Länge und warteten wochenlang auf die Durchschleusung.
Um den Verkehr bewältigen zu können, vertiefte man 1835 den Canal
auf 2 m, und seitdem trägt er Schiffe von 200--250 Tons Ladung, welche
auf dem 580 km langen Canale von Pferden und Maulthieren ge-
schleppt werden und durch 72 Schleusen die Wasserscheide über-
winden. Auf dem Hudson verwendet man zum Transporte der Canal-
schiffe Dampfboote.


Die atlantische Küste von Amerika.
Factoren zusammen mit dem Umstande, dass es sein Antlitz Europa
und Westindien zuwendet, haben New-York zum Hauptsammelplatze
der Reichthümer der Union gemacht, deren Verwendung von diesem
Brennpunkte aus mit den Hilfsmitteln einer vollendeten Technik des
Handels und mit rücksichtsloser Energie geleitet wird. Gleichen Schritt
mit der Grossartigkeit des Handels- und des Gewerbebetriebes hält
der Luxus der oberen Stände, über den von Zeit zu Zeit erstaunlich
klingende Berichte nach Europa kommen. New-York ist dadurch auch
ein reiches Absatzgebiet für die Luxusindustrien Europas.

Unwillkürlich stellt man sich die Frage, warum von den pracht-
vollen Häfen, an denen die Ostküste Amerikas so reich ist, gerade
die Mündung des Hudson zu dieser herrschenden Stellung berufen
wurde und so das ehrwürdige Philadelphia und Boston, die Wiege
der Freiheit der Union, in den Hintergrund drängte. Auch diese Städte
liegen ja ganz nahe jenen Gebieten, in denen sich heute der Schwer-
punkt des wirtschaftlichen Lebens der Union befindet. Sein commer-
cielles Uebergewicht verdankt New-York der schon von Washington
so sehr protegirten Anlage von Canälen. New-York erhielt 1825 mit
der Eröffnung des berühmten Erie-Canales, welcher von Buffalo an der
Ostspitze des Erie-Sees nach Albany am Hudson führt, eine bequeme
und billige Verbindung mit der mächtigen Kette der grossen Seen.
Dies war der erste und blieb der einzige Canal, welcher das Gebirge
der Alleghanies überschreitet und bis in die Vierzigerjahre den ge-
sammten Handel der Binnengebiete mit dem atlantischen Ocean mono-
polisirte. Ihm verdanken Staat und Stadt New-York ihre rasche
wirthschaftliche Entwicklung und die heutige commercielle Stellung.
Die Bevölkerung der Stadt New-York stieg 1820—1840 von 124.000
auf 313.000 Einwohner. Durch den Bau des Oswego-Canales, welcher
vom Ontario-See ausgeht, und die Ausführung des Champlain-Canales,
der von Albany nordwärts zum Lorenz-Strom zieht, erhielt der Erie-
Canal werthvolle Anschlüsse, auf denen ihm grosse Mengen von Holz
und Getreide zugeführt werden. In der Zeit vor den Eisenbahnen
standen die Schiffe im Erie-Canale oft in einer ununterbrochenen Reihe
von 10 km Länge und warteten wochenlang auf die Durchschleusung.
Um den Verkehr bewältigen zu können, vertiefte man 1835 den Canal
auf 2 m, und seitdem trägt er Schiffe von 200—250 Tons Ladung, welche
auf dem 580 km langen Canale von Pferden und Maulthieren ge-
schleppt werden und durch 72 Schleusen die Wasserscheide über-
winden. Auf dem Hudson verwendet man zum Transporte der Canal-
schiffe Dampfboote.


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[68/0084] Die atlantische Küste von Amerika. Factoren zusammen mit dem Umstande, dass es sein Antlitz Europa und Westindien zuwendet, haben New-York zum Hauptsammelplatze der Reichthümer der Union gemacht, deren Verwendung von diesem Brennpunkte aus mit den Hilfsmitteln einer vollendeten Technik des Handels und mit rücksichtsloser Energie geleitet wird. Gleichen Schritt mit der Grossartigkeit des Handels- und des Gewerbebetriebes hält der Luxus der oberen Stände, über den von Zeit zu Zeit erstaunlich klingende Berichte nach Europa kommen. New-York ist dadurch auch ein reiches Absatzgebiet für die Luxusindustrien Europas. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, warum von den pracht- vollen Häfen, an denen die Ostküste Amerikas so reich ist, gerade die Mündung des Hudson zu dieser herrschenden Stellung berufen wurde und so das ehrwürdige Philadelphia und Boston, die Wiege der Freiheit der Union, in den Hintergrund drängte. Auch diese Städte liegen ja ganz nahe jenen Gebieten, in denen sich heute der Schwer- punkt des wirtschaftlichen Lebens der Union befindet. Sein commer- cielles Uebergewicht verdankt New-York der schon von Washington so sehr protegirten Anlage von Canälen. New-York erhielt 1825 mit der Eröffnung des berühmten Erie-Canales, welcher von Buffalo an der Ostspitze des Erie-Sees nach Albany am Hudson führt, eine bequeme und billige Verbindung mit der mächtigen Kette der grossen Seen. Dies war der erste und blieb der einzige Canal, welcher das Gebirge der Alleghanies überschreitet und bis in die Vierzigerjahre den ge- sammten Handel der Binnengebiete mit dem atlantischen Ocean mono- polisirte. Ihm verdanken Staat und Stadt New-York ihre rasche wirthschaftliche Entwicklung und die heutige commercielle Stellung. Die Bevölkerung der Stadt New-York stieg 1820—1840 von 124.000 auf 313.000 Einwohner. Durch den Bau des Oswego-Canales, welcher vom Ontario-See ausgeht, und die Ausführung des Champlain-Canales, der von Albany nordwärts zum Lorenz-Strom zieht, erhielt der Erie- Canal werthvolle Anschlüsse, auf denen ihm grosse Mengen von Holz und Getreide zugeführt werden. In der Zeit vor den Eisenbahnen standen die Schiffe im Erie-Canale oft in einer ununterbrochenen Reihe von 10 km Länge und warteten wochenlang auf die Durchschleusung. Um den Verkehr bewältigen zu können, vertiefte man 1835 den Canal auf 2 m, und seitdem trägt er Schiffe von 200—250 Tons Ladung, welche auf dem 580 km langen Canale von Pferden und Maulthieren ge- schleppt werden und durch 72 Schleusen die Wasserscheide über- winden. Auf dem Hudson verwendet man zum Transporte der Canal- schiffe Dampfboote.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/84>, abgerufen am 28.04.2024.