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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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New-York.
letzteren Namen erhielt die Stadt erst im Jahre 1664, als die Colonie
in die Hände Englands fiel und dem Herzog Jakob von York ver-
liehen wurde. Damals zählte New-York nur wenige Tausend Ein-
wohner.

In der ersten Geschichtsperiode der Stadt ist manches Blatt den
Kämpfen gegen die Indianer und den Aufständen der importirten
Negersclaven gewidmet. Unter der Bedrückung und Ausbeutung der
englischen Regierung hatte auch New-York zu leiden, aber bald
brandet der unaufhaltsame Wellenschlag der Freiheitsbewegung auch
am Hudson, und 1776 zieht Washington, "der Vater des Vaterlandes,
der Erste im Kriege, der Erste im Frieden, der Erste im Herzen seines
Volkes", als Sieger in der Stadt ein.

Sieben Jahre später erfolgt die Unabhängigkeitserklärung der
13 Frei-Staaten und 1783 der Friedensschluss mit England, ein Er-
eigniss von tief eingreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung
der Union und deshalb der hervorragendste Markstein ihrer jungen
Geschichte. Hiefür hat die vor Kurzem in allen Theilen des Landes
mit stolzem Empfinden begangene Centennarfeier den glänzenden Be-
weis erbracht.

Aber nicht allein der in freisinnigen Traditionen aufgewachsene
Amerikaner, sondern wohl jeder Denkende wird von einem Gefühle
der Bewunderung umfangen, wenn er des ungeahnten Aufschwunges
aller Verhältnisse durch die Macht der freien Entwicklung gedenkt.

Diese letztere lenkte selbst die Denk- und Anschauungsweise der
Bevölkerung in Richtungen, die mehrfach von jenen verschieden sind,
die uns Europäer zu beherrschen pflegen. Obwohl Amerikaner vom
Scheitel bis zur Sohle, ist der echte Sohn der Union gleichzeitig
Weltbürger; die ganze Erde ist das Gebiet seiner Thätigkeit, seines
Schaffens.

Die Grossartigkeit der heimatlichen Verhältnisse hat in seiner
Vorstellung selbst die weiten Gebiete der Oceane reducirt; die Redens-
art: "J am going on the other side", ich gehe an die jenseitige Küste,
das heisst über den Ocean nach Europa, kennzeichnet das Weltbürger-
thum des Amerikaners am besten.

Von der Ausdehnung des Schiffahrtsverkehres in den Gewässern
von New-York empfängt man die ersten mächtigen Eindrücke schon
vor der Einfahrt in die grosse Bucht bei Sandy-Hook, einer mit
Doppelleuchtfeuer markirten sandigen Düne. Die imposantesten Dampfer
und zahllose Segler jeder Grösse steuern hier an uns vorbei, New-

New-York.
letzteren Namen erhielt die Stadt erst im Jahre 1664, als die Colonie
in die Hände Englands fiel und dem Herzog Jakob von York ver-
liehen wurde. Damals zählte New-York nur wenige Tausend Ein-
wohner.

In der ersten Geschichtsperiode der Stadt ist manches Blatt den
Kämpfen gegen die Indianer und den Aufständen der importirten
Negersclaven gewidmet. Unter der Bedrückung und Ausbeutung der
englischen Regierung hatte auch New-York zu leiden, aber bald
brandet der unaufhaltsame Wellenschlag der Freiheitsbewegung auch
am Hudson, und 1776 zieht Washington, „der Vater des Vaterlandes,
der Erste im Kriege, der Erste im Frieden, der Erste im Herzen seines
Volkes“, als Sieger in der Stadt ein.

Sieben Jahre später erfolgt die Unabhängigkeitserklärung der
13 Frei-Staaten und 1783 der Friedensschluss mit England, ein Er-
eigniss von tief eingreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung
der Union und deshalb der hervorragendste Markstein ihrer jungen
Geschichte. Hiefür hat die vor Kurzem in allen Theilen des Landes
mit stolzem Empfinden begangene Centennarfeier den glänzenden Be-
weis erbracht.

Aber nicht allein der in freisinnigen Traditionen aufgewachsene
Amerikaner, sondern wohl jeder Denkende wird von einem Gefühle
der Bewunderung umfangen, wenn er des ungeahnten Aufschwunges
aller Verhältnisse durch die Macht der freien Entwicklung gedenkt.

Diese letztere lenkte selbst die Denk- und Anschauungsweise der
Bevölkerung in Richtungen, die mehrfach von jenen verschieden sind,
die uns Europäer zu beherrschen pflegen. Obwohl Amerikaner vom
Scheitel bis zur Sohle, ist der echte Sohn der Union gleichzeitig
Weltbürger; die ganze Erde ist das Gebiet seiner Thätigkeit, seines
Schaffens.

Die Grossartigkeit der heimatlichen Verhältnisse hat in seiner
Vorstellung selbst die weiten Gebiete der Oceane reducirt; die Redens-
art: „J am going on the other side“, ich gehe an die jenseitige Küste,
das heisst über den Ocean nach Europa, kennzeichnet das Weltbürger-
thum des Amerikaners am besten.

Von der Ausdehnung des Schiffahrtsverkehres in den Gewässern
von New-York empfängt man die ersten mächtigen Eindrücke schon
vor der Einfahrt in die grosse Bucht bei Sandy-Hook, einer mit
Doppelleuchtfeuer markirten sandigen Düne. Die imposantesten Dampfer
und zahllose Segler jeder Grösse steuern hier an uns vorbei, New-

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[47/0063] New-York. letzteren Namen erhielt die Stadt erst im Jahre 1664, als die Colonie in die Hände Englands fiel und dem Herzog Jakob von York ver- liehen wurde. Damals zählte New-York nur wenige Tausend Ein- wohner. In der ersten Geschichtsperiode der Stadt ist manches Blatt den Kämpfen gegen die Indianer und den Aufständen der importirten Negersclaven gewidmet. Unter der Bedrückung und Ausbeutung der englischen Regierung hatte auch New-York zu leiden, aber bald brandet der unaufhaltsame Wellenschlag der Freiheitsbewegung auch am Hudson, und 1776 zieht Washington, „der Vater des Vaterlandes, der Erste im Kriege, der Erste im Frieden, der Erste im Herzen seines Volkes“, als Sieger in der Stadt ein. Sieben Jahre später erfolgt die Unabhängigkeitserklärung der 13 Frei-Staaten und 1783 der Friedensschluss mit England, ein Er- eigniss von tief eingreifender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Union und deshalb der hervorragendste Markstein ihrer jungen Geschichte. Hiefür hat die vor Kurzem in allen Theilen des Landes mit stolzem Empfinden begangene Centennarfeier den glänzenden Be- weis erbracht. Aber nicht allein der in freisinnigen Traditionen aufgewachsene Amerikaner, sondern wohl jeder Denkende wird von einem Gefühle der Bewunderung umfangen, wenn er des ungeahnten Aufschwunges aller Verhältnisse durch die Macht der freien Entwicklung gedenkt. Diese letztere lenkte selbst die Denk- und Anschauungsweise der Bevölkerung in Richtungen, die mehrfach von jenen verschieden sind, die uns Europäer zu beherrschen pflegen. Obwohl Amerikaner vom Scheitel bis zur Sohle, ist der echte Sohn der Union gleichzeitig Weltbürger; die ganze Erde ist das Gebiet seiner Thätigkeit, seines Schaffens. Die Grossartigkeit der heimatlichen Verhältnisse hat in seiner Vorstellung selbst die weiten Gebiete der Oceane reducirt; die Redens- art: „J am going on the other side“, ich gehe an die jenseitige Küste, das heisst über den Ocean nach Europa, kennzeichnet das Weltbürger- thum des Amerikaners am besten. Von der Ausdehnung des Schiffahrtsverkehres in den Gewässern von New-York empfängt man die ersten mächtigen Eindrücke schon vor der Einfahrt in die grosse Bucht bei Sandy-Hook, einer mit Doppelleuchtfeuer markirten sandigen Düne. Die imposantesten Dampfer und zahllose Segler jeder Grösse steuern hier an uns vorbei, New-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/63>, abgerufen am 27.04.2024.