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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.
tholische Kathedrale von St. Thome, sowie schliesslich die gleichfalls
in letzterem Stadttheile gelegene St. Thome's Church, welche vom
Gouverneur und der Elite der Gesellschaft besucht zu werden pflegt.

Merkwürdiger Weise besitzt Madras keinerlei sehenswerthe
Hindutempel, obgleich sich in den naheliegenden Ortschaften Seven
Pagodas und Condjiveram hervorragend schöne indische Tempel-
bauten vorfinden. Madras ist auch Sitz einer theosophischen Gesell-
schaft, die eine Moralphilosophie ohne Gott, eine Art verbesserten
Buddhismus mit freimaurerischen Anklängen, als Universalreligion auf-
stellt, Zweiggesellschaften in England und den Vereinigten Staaten
besitzt und vor Kurzem anlässlich des Todes ihrer Begründerin wieder
von sich reden gemacht hat.

Trotz seiner niedrigen Lage besitzt Madras vielfach gutes
Brunnenwasser, und nur in der Black Town ist es wegen Mangels
einer guten Canalisirung schmutzig und ungesund. Bei den Seven
Wells findet man überdies noch eine ganz eigene Art von Wasser-
werken, welche für die Versorgung der Stadt mit Wasser dienen.
Es sind dies grosse, thurmartige Wasserreservoirs, die aus Zieh-
brunnen gefüllt werden. Die Arbeit an dem Ziehbrunnen besorgt
ein Coolie (Kuli, Arbeiter), welcher auf dessen Balken beständig
hin- und herläuft und durch sein Gewicht die wassergefüllten Kübel
hebt, bis sich diese in einer bestimmten Höhe entleeren. Aehn-
liche Ziehbrunnen dienen auch zur Bewässerung der an die Stadt
grenzenden Felder.

Eine Musterwirthschaft, Model-Farm, auf welcher eine grössere
Zahl von jungen Leuten die Landwirthschaft erlernt, hat zwar auf dem
Gebiete der Viehzucht bisher noch keine besonderen Erfolge aufzu-
weisen, doch gedeihen daselbst in erfreulich günstiger Weise ver-
schiedene Nutzpflanzen, insbesondere Tabak, Baumwolle und Indigo.

Bei der stets zunehmenden Bedeutung von Madras als See-
handelsplatz und unter den eingangs geschilderten ungünstigen Wetter-
verhältnissen auf der Rhede erscheint es einigermassen befremdlich,
dass erst 1860 eine Landungsbrücke (Pier) gebaut und 1875 der
Grundstein zu weiteren Hafenbauten gelegt worden ist.

Die eiserne Landungsbrücke, welche auf starken Schrauben-
pfeilern ruht, ist 305 m lang und vor dem Custom House direct in
die See gebaut, so dass ihr Ende, das mit mehreren Treppen zum
Anlegen der Boote versehen ist, bereits ausserhalb der Brandungs-
grenze liegt. Mehrere Laufkrähne besorgen das Verladen der Waaren
in die Lichter und aus denselben, vier Eisenbahngeleise dienen für

Der indische Ocean.
tholische Kathedrale von St. Thome, sowie schliesslich die gleichfalls
in letzterem Stadttheile gelegene St. Thome’s Church, welche vom
Gouverneur und der Elite der Gesellschaft besucht zu werden pflegt.

Merkwürdiger Weise besitzt Madras keinerlei sehenswerthe
Hindutempel, obgleich sich in den naheliegenden Ortschaften Seven
Pagodas und Condjiveram hervorragend schöne indische Tempel-
bauten vorfinden. Madras ist auch Sitz einer theosophischen Gesell-
schaft, die eine Moralphilosophie ohne Gott, eine Art verbesserten
Buddhismus mit freimaurerischen Anklängen, als Universalreligion auf-
stellt, Zweiggesellschaften in England und den Vereinigten Staaten
besitzt und vor Kurzem anlässlich des Todes ihrer Begründerin wieder
von sich reden gemacht hat.

Trotz seiner niedrigen Lage besitzt Madras vielfach gutes
Brunnenwasser, und nur in der Black Town ist es wegen Mangels
einer guten Canalisirung schmutzig und ungesund. Bei den Seven
Wells findet man überdies noch eine ganz eigene Art von Wasser-
werken, welche für die Versorgung der Stadt mit Wasser dienen.
Es sind dies grosse, thurmartige Wasserreservoirs, die aus Zieh-
brunnen gefüllt werden. Die Arbeit an dem Ziehbrunnen besorgt
ein Coolie (Kuli, Arbeiter), welcher auf dessen Balken beständig
hin- und herläuft und durch sein Gewicht die wassergefüllten Kübel
hebt, bis sich diese in einer bestimmten Höhe entleeren. Aehn-
liche Ziehbrunnen dienen auch zur Bewässerung der an die Stadt
grenzenden Felder.

Eine Musterwirthschaft, Model-Farm, auf welcher eine grössere
Zahl von jungen Leuten die Landwirthschaft erlernt, hat zwar auf dem
Gebiete der Viehzucht bisher noch keine besonderen Erfolge aufzu-
weisen, doch gedeihen daselbst in erfreulich günstiger Weise ver-
schiedene Nutzpflanzen, insbesondere Tabak, Baumwolle und Indigo.

Bei der stets zunehmenden Bedeutung von Madras als See-
handelsplatz und unter den eingangs geschilderten ungünstigen Wetter-
verhältnissen auf der Rhede erscheint es einigermassen befremdlich,
dass erst 1860 eine Landungsbrücke (Pier) gebaut und 1875 der
Grundstein zu weiteren Hafenbauten gelegt worden ist.

Die eiserne Landungsbrücke, welche auf starken Schrauben-
pfeilern ruht, ist 305 m lang und vor dem Custom House direct in
die See gebaut, so dass ihr Ende, das mit mehreren Treppen zum
Anlegen der Boote versehen ist, bereits ausserhalb der Brandungs-
grenze liegt. Mehrere Laufkrähne besorgen das Verladen der Waaren
in die Lichter und aus denselben, vier Eisenbahngeleise dienen für

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[570/0586] Der indische Ocean. tholische Kathedrale von St. Thome, sowie schliesslich die gleichfalls in letzterem Stadttheile gelegene St. Thome’s Church, welche vom Gouverneur und der Elite der Gesellschaft besucht zu werden pflegt. Merkwürdiger Weise besitzt Madras keinerlei sehenswerthe Hindutempel, obgleich sich in den naheliegenden Ortschaften Seven Pagodas und Condjiveram hervorragend schöne indische Tempel- bauten vorfinden. Madras ist auch Sitz einer theosophischen Gesell- schaft, die eine Moralphilosophie ohne Gott, eine Art verbesserten Buddhismus mit freimaurerischen Anklängen, als Universalreligion auf- stellt, Zweiggesellschaften in England und den Vereinigten Staaten besitzt und vor Kurzem anlässlich des Todes ihrer Begründerin wieder von sich reden gemacht hat. Trotz seiner niedrigen Lage besitzt Madras vielfach gutes Brunnenwasser, und nur in der Black Town ist es wegen Mangels einer guten Canalisirung schmutzig und ungesund. Bei den Seven Wells findet man überdies noch eine ganz eigene Art von Wasser- werken, welche für die Versorgung der Stadt mit Wasser dienen. Es sind dies grosse, thurmartige Wasserreservoirs, die aus Zieh- brunnen gefüllt werden. Die Arbeit an dem Ziehbrunnen besorgt ein Coolie (Kuli, Arbeiter), welcher auf dessen Balken beständig hin- und herläuft und durch sein Gewicht die wassergefüllten Kübel hebt, bis sich diese in einer bestimmten Höhe entleeren. Aehn- liche Ziehbrunnen dienen auch zur Bewässerung der an die Stadt grenzenden Felder. Eine Musterwirthschaft, Model-Farm, auf welcher eine grössere Zahl von jungen Leuten die Landwirthschaft erlernt, hat zwar auf dem Gebiete der Viehzucht bisher noch keine besonderen Erfolge aufzu- weisen, doch gedeihen daselbst in erfreulich günstiger Weise ver- schiedene Nutzpflanzen, insbesondere Tabak, Baumwolle und Indigo. Bei der stets zunehmenden Bedeutung von Madras als See- handelsplatz und unter den eingangs geschilderten ungünstigen Wetter- verhältnissen auf der Rhede erscheint es einigermassen befremdlich, dass erst 1860 eine Landungsbrücke (Pier) gebaut und 1875 der Grundstein zu weiteren Hafenbauten gelegt worden ist. Die eiserne Landungsbrücke, welche auf starken Schrauben- pfeilern ruht, ist 305 m lang und vor dem Custom House direct in die See gebaut, so dass ihr Ende, das mit mehreren Treppen zum Anlegen der Boote versehen ist, bereits ausserhalb der Brandungs- grenze liegt. Mehrere Laufkrähne besorgen das Verladen der Waaren in die Lichter und aus denselben, vier Eisenbahngeleise dienen für

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/586>, abgerufen am 23.11.2024.