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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.
lässt, wie mächtig die Anschwemmungen des Ganges gewesen sind
und wie weit seewärts die Küste durch die unaufhörliche Einwirkung
dieses Stromes verschoben worden ist.

An beiden Ufern des Hooghly entwickelt sich eine prächtige
tropische Vegetation; kleinere Ortschaften, Pagoden und Tempel
folgen einander in bunter Reihenfolge und gestalten die Flusssfahrt
zu einer überaus interessanten und malerischen. Die Schönheit des
Gesammteindruckes fördern auch zahlreiche terrassenartige Anlagen,
sowie eine grosse Zahl von Anlegeplätzen, deren oft ansehnliche
Stiegenreihen und schön gearbeitete Geländer, insbesondere in der
Nähe von Tempeln und Moscheen, mit Blumen und Kränzen verziert
und geschmückt werden. Das Wasser des Ganges, als Stromes der
Götter, gilt bei den Bekennern der brahmanischen Religion als
reinigend und sühnend, und zahlreiche Pilger suchen sich durch
Baden im heiligen Strome von ihren Sünden zu befreien. Der Ver-
sandt von Gangeswasser bildet einen sehr einträglichen Handelsartikel.

Nach Passirung der James and Mary Bank folgt die Mündung
des Damoodah-Flusses, der die Fultah-Sands vorliegen, und von wo
an sich das Flussbett des Hooghly immer mehr verengt. Bald nach
der Beendigung der scharfen Krümmung bei Hangman Point treten
die von dichtem Grün umrahmten Gebäude der Hauptstadt des
britisch-indischen Kaiserreichs und der Lieutenant-Governorship Ben-
galen hervor.

Am linken Ufer des Hooghly, 160 km von dessen Mündung
unter 22° 33' nördlicher Breite und 88° 20' östlicher Länge, erstreckt
sich Calcutta in nordsüdlicher Richtung über fast 5 km längs des
Flussufers, während die Breitenausdehnung der Stadt zwischen 2 und
3 km beträgt. Prächtige Paläste, reizende Parkanlagen, grossartige
Etablissements, Schulen, Denkmäler und zahlreiche Gotteshäuser ver-
einigen sich hier zu einer Grossstadt, die unstreitig zu den ersten
und schönsten der alten Welt gehört. Und doch ist Calcutta keine
Hinterlassenschaft prunkliebender indischer Nabobs (Nawab) oder
mächtiger Mogule, sondern ganz und gar ein Wahrzeichen britischer
Machtfülle und britischen Fleisses. Da die Entwicklung Calcuttas
als Grossstadt erst seit 1757 begonnen hat, finden sich daselbst
keine jener monumentalen und kunstvollen Bauten, die aus der Glanz-
zeit der einheimischen Fürsten stammen und sich anderwärts fast
überall im Reiche erhalten haben.

Die vom Mogul Akbar im Jahre 1596 ausgeschriebenen Steuern
enthalten die erste historische Notiz über eine kleine, der furcht-

Der indische Ocean.
lässt, wie mächtig die Anschwemmungen des Ganges gewesen sind
und wie weit seewärts die Küste durch die unaufhörliche Einwirkung
dieses Stromes verschoben worden ist.

An beiden Ufern des Hooghly entwickelt sich eine prächtige
tropische Vegetation; kleinere Ortschaften, Pagoden und Tempel
folgen einander in bunter Reihenfolge und gestalten die Flusssfahrt
zu einer überaus interessanten und malerischen. Die Schönheit des
Gesammteindruckes fördern auch zahlreiche terrassenartige Anlagen,
sowie eine grosse Zahl von Anlegeplätzen, deren oft ansehnliche
Stiegenreihen und schön gearbeitete Geländer, insbesondere in der
Nähe von Tempeln und Moscheen, mit Blumen und Kränzen verziert
und geschmückt werden. Das Wasser des Ganges, als Stromes der
Götter, gilt bei den Bekennern der brahmanischen Religion als
reinigend und sühnend, und zahlreiche Pilger suchen sich durch
Baden im heiligen Strome von ihren Sünden zu befreien. Der Ver-
sandt von Gangeswasser bildet einen sehr einträglichen Handelsartikel.

Nach Passirung der James and Mary Bank folgt die Mündung
des Damoodah-Flusses, der die Fultah-Sands vorliegen, und von wo
an sich das Flussbett des Hooghly immer mehr verengt. Bald nach
der Beendigung der scharfen Krümmung bei Hangman Point treten
die von dichtem Grün umrahmten Gebäude der Hauptstadt des
britisch-indischen Kaiserreichs und der Lieutenant-Governorship Ben-
galen hervor.

Am linken Ufer des Hooghly, 160 km von dessen Mündung
unter 22° 33′ nördlicher Breite und 88° 20′ östlicher Länge, erstreckt
sich Calcutta in nordsüdlicher Richtung über fast 5 km längs des
Flussufers, während die Breitenausdehnung der Stadt zwischen 2 und
3 km beträgt. Prächtige Paläste, reizende Parkanlagen, grossartige
Etablissements, Schulen, Denkmäler und zahlreiche Gotteshäuser ver-
einigen sich hier zu einer Grossstadt, die unstreitig zu den ersten
und schönsten der alten Welt gehört. Und doch ist Calcutta keine
Hinterlassenschaft prunkliebender indischer Nabobs (Nawab) oder
mächtiger Mogule, sondern ganz und gar ein Wahrzeichen britischer
Machtfülle und britischen Fleisses. Da die Entwicklung Calcuttas
als Grossstadt erst seit 1757 begonnen hat, finden sich daselbst
keine jener monumentalen und kunstvollen Bauten, die aus der Glanz-
zeit der einheimischen Fürsten stammen und sich anderwärts fast
überall im Reiche erhalten haben.

Die vom Mogul Akbar im Jahre 1596 ausgeschriebenen Steuern
enthalten die erste historische Notiz über eine kleine, der furcht-

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[550/0566] Der indische Ocean. lässt, wie mächtig die Anschwemmungen des Ganges gewesen sind und wie weit seewärts die Küste durch die unaufhörliche Einwirkung dieses Stromes verschoben worden ist. An beiden Ufern des Hooghly entwickelt sich eine prächtige tropische Vegetation; kleinere Ortschaften, Pagoden und Tempel folgen einander in bunter Reihenfolge und gestalten die Flusssfahrt zu einer überaus interessanten und malerischen. Die Schönheit des Gesammteindruckes fördern auch zahlreiche terrassenartige Anlagen, sowie eine grosse Zahl von Anlegeplätzen, deren oft ansehnliche Stiegenreihen und schön gearbeitete Geländer, insbesondere in der Nähe von Tempeln und Moscheen, mit Blumen und Kränzen verziert und geschmückt werden. Das Wasser des Ganges, als Stromes der Götter, gilt bei den Bekennern der brahmanischen Religion als reinigend und sühnend, und zahlreiche Pilger suchen sich durch Baden im heiligen Strome von ihren Sünden zu befreien. Der Ver- sandt von Gangeswasser bildet einen sehr einträglichen Handelsartikel. Nach Passirung der James and Mary Bank folgt die Mündung des Damoodah-Flusses, der die Fultah-Sands vorliegen, und von wo an sich das Flussbett des Hooghly immer mehr verengt. Bald nach der Beendigung der scharfen Krümmung bei Hangman Point treten die von dichtem Grün umrahmten Gebäude der Hauptstadt des britisch-indischen Kaiserreichs und der Lieutenant-Governorship Ben- galen hervor. Am linken Ufer des Hooghly, 160 km von dessen Mündung unter 22° 33′ nördlicher Breite und 88° 20′ östlicher Länge, erstreckt sich Calcutta in nordsüdlicher Richtung über fast 5 km längs des Flussufers, während die Breitenausdehnung der Stadt zwischen 2 und 3 km beträgt. Prächtige Paläste, reizende Parkanlagen, grossartige Etablissements, Schulen, Denkmäler und zahlreiche Gotteshäuser ver- einigen sich hier zu einer Grossstadt, die unstreitig zu den ersten und schönsten der alten Welt gehört. Und doch ist Calcutta keine Hinterlassenschaft prunkliebender indischer Nabobs (Nawab) oder mächtiger Mogule, sondern ganz und gar ein Wahrzeichen britischer Machtfülle und britischen Fleisses. Da die Entwicklung Calcuttas als Grossstadt erst seit 1757 begonnen hat, finden sich daselbst keine jener monumentalen und kunstvollen Bauten, die aus der Glanz- zeit der einheimischen Fürsten stammen und sich anderwärts fast überall im Reiche erhalten haben. Die vom Mogul Akbar im Jahre 1596 ausgeschriebenen Steuern enthalten die erste historische Notiz über eine kleine, der furcht-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/566>, abgerufen am 22.11.2024.