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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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lerischen Institute, welche selbst von denen New-Yorks den Leistungen
nach nicht übertroffen werden. Es wäre aber ganz falsch, Boston
als eine Stadt aufzufassen, wohin sich bloss reiche Amerikaner zurück-
ziehen, um die erworbenen Vermögen mit Geist zu geniessen; das "ameri-
kanische Athen" ist vielmehr im tiefsten Kerne noch immer, was es
von Anfang war, eine Kaufmannstadt.

Die Bostoner Kaufleute hatten schon im XVIII. Jahrhunderte den
Ruf grosser Tüchtigkeit und Schlauheit, doch herrscht hier im Ge-
schäftsleben ein vornehmerer Ton als anderswo. Wenn die Capita-
listen Bostons für ein Unternehmen eintreten, so wird es auf
solider Basis durchgeführt. Sie haben in kurzer Zeit das imposante
Eisenbahnnetz von Mexico geschaffen, um die romanische Nachbar-
republik wirthschaftlich an die Vereinigten Staaten zu ketten und der
hochentwickelten Industrie der Neuengland-Staaten ein unbestrittenes
Absatzfeld zu sichern.

Sie betheiligten sich im Westen des eigenen Landes in aus-
gedehntem Masse am Baue der Eisenbahnen, an Industrie- und
Ackerbauunternehmungen. Da nun die gesteigerte Concurrenz auch
dort schon den Gewinn gegen frühere Jahre bedeutend geschmälert
hat, so werfen sie jetzt ein grösseres Augenmerk auf den lang ver-
nachlässigten Süden der Vereinigten Staaten, der in der That einer
raschen Blüthe auf allen Gebieten der Production entgegenzugehen
scheint.

Boston ist aber auch eine hervorragende Industriestadt, für
Lederindustrie wohl der erste Platz der Union. Sehr ansehnlich ist
die Fabrication von Metallwaaren, Maschinen, Glas, Zucker, Wolle,
Baumwolle, Bier.

Die Bedürfnisse dieser Industrien Bostons und seiner Hinterländer
einerseits, die natürliche Production dieser Hinterländer andererseits
spiegeln sich in dem Handel dieser Hafenstadt ab.

Als Handelsplatz ist Boston der wichtigste Ort der Neu-Englandstaaten,
einer der vier Welthäfen der Union am atlantischen Ocean, der nur von New-York
an Bedeutung übertroffen wird und Philadelphia und Baltimore vorangeht.

Die geschäftliche Thätigkeit von Boston ist in erster Linie auf das ameri-
kanische Binnenland gerichtet; und zwar bildet das Hinterland von Boston nicht
allein der Nordosten der Union, sondern auch der reiche Süden von Canada. Für
letzteren war Boston bis zur Eröffnung der kürzeren Verbindung zwischen Montreal
und St. John (Neubraunschweig) der einzige Winterhafen, über welchen der Ver-
kehr lohnend war. Von Südcanada und aus Chicago kommt der grösste Theil des
lebenden Rindviehes, das über Boston nach den englischen Häfen Liverpool,
London und Glasgow gesendet wird. Die Ausfuhr erreichte 1888 54.115 Stück im
Werthe von 4·7 Millionen Dollars, 1887 43.660 Stück, 1886 45.215 Stück. Ueberdies

Boston.
lerischen Institute, welche selbst von denen New-Yorks den Leistungen
nach nicht übertroffen werden. Es wäre aber ganz falsch, Boston
als eine Stadt aufzufassen, wohin sich bloss reiche Amerikaner zurück-
ziehen, um die erworbenen Vermögen mit Geist zu geniessen; das „ameri-
kanische Athen“ ist vielmehr im tiefsten Kerne noch immer, was es
von Anfang war, eine Kaufmannstadt.

Die Bostoner Kaufleute hatten schon im XVIII. Jahrhunderte den
Ruf grosser Tüchtigkeit und Schlauheit, doch herrscht hier im Ge-
schäftsleben ein vornehmerer Ton als anderswo. Wenn die Capita-
listen Bostons für ein Unternehmen eintreten, so wird es auf
solider Basis durchgeführt. Sie haben in kurzer Zeit das imposante
Eisenbahnnetz von Mexico geschaffen, um die romanische Nachbar-
republik wirthschaftlich an die Vereinigten Staaten zu ketten und der
hochentwickelten Industrie der Neuengland-Staaten ein unbestrittenes
Absatzfeld zu sichern.

Sie betheiligten sich im Westen des eigenen Landes in aus-
gedehntem Masse am Baue der Eisenbahnen, an Industrie- und
Ackerbauunternehmungen. Da nun die gesteigerte Concurrenz auch
dort schon den Gewinn gegen frühere Jahre bedeutend geschmälert
hat, so werfen sie jetzt ein grösseres Augenmerk auf den lang ver-
nachlässigten Süden der Vereinigten Staaten, der in der That einer
raschen Blüthe auf allen Gebieten der Production entgegenzugehen
scheint.

Boston ist aber auch eine hervorragende Industriestadt, für
Lederindustrie wohl der erste Platz der Union. Sehr ansehnlich ist
die Fabrication von Metallwaaren, Maschinen, Glas, Zucker, Wolle,
Baumwolle, Bier.

Die Bedürfnisse dieser Industrien Bostons und seiner Hinterländer
einerseits, die natürliche Production dieser Hinterländer andererseits
spiegeln sich in dem Handel dieser Hafenstadt ab.

Als Handelsplatz ist Boston der wichtigste Ort der Neu-Englandstaaten,
einer der vier Welthäfen der Union am atlantischen Ocean, der nur von New-York
an Bedeutung übertroffen wird und Philadelphia und Baltimore vorangeht.

Die geschäftliche Thätigkeit von Boston ist in erster Linie auf das ameri-
kanische Binnenland gerichtet; und zwar bildet das Hinterland von Boston nicht
allein der Nordosten der Union, sondern auch der reiche Süden von Canada. Für
letzteren war Boston bis zur Eröffnung der kürzeren Verbindung zwischen Montreal
und St. John (Neubraunschweig) der einzige Winterhafen, über welchen der Ver-
kehr lohnend war. Von Südcanada und aus Chicago kommt der grösste Theil des
lebenden Rindviehes, das über Boston nach den englischen Häfen Liverpool,
London und Glasgow gesendet wird. Die Ausfuhr erreichte 1888 54.115 Stück im
Werthe von 4·7 Millionen Dollars, 1887 43.660 Stück, 1886 45.215 Stück. Ueberdies

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[39/0055] Boston. lerischen Institute, welche selbst von denen New-Yorks den Leistungen nach nicht übertroffen werden. Es wäre aber ganz falsch, Boston als eine Stadt aufzufassen, wohin sich bloss reiche Amerikaner zurück- ziehen, um die erworbenen Vermögen mit Geist zu geniessen; das „ameri- kanische Athen“ ist vielmehr im tiefsten Kerne noch immer, was es von Anfang war, eine Kaufmannstadt. Die Bostoner Kaufleute hatten schon im XVIII. Jahrhunderte den Ruf grosser Tüchtigkeit und Schlauheit, doch herrscht hier im Ge- schäftsleben ein vornehmerer Ton als anderswo. Wenn die Capita- listen Bostons für ein Unternehmen eintreten, so wird es auf solider Basis durchgeführt. Sie haben in kurzer Zeit das imposante Eisenbahnnetz von Mexico geschaffen, um die romanische Nachbar- republik wirthschaftlich an die Vereinigten Staaten zu ketten und der hochentwickelten Industrie der Neuengland-Staaten ein unbestrittenes Absatzfeld zu sichern. Sie betheiligten sich im Westen des eigenen Landes in aus- gedehntem Masse am Baue der Eisenbahnen, an Industrie- und Ackerbauunternehmungen. Da nun die gesteigerte Concurrenz auch dort schon den Gewinn gegen frühere Jahre bedeutend geschmälert hat, so werfen sie jetzt ein grösseres Augenmerk auf den lang ver- nachlässigten Süden der Vereinigten Staaten, der in der That einer raschen Blüthe auf allen Gebieten der Production entgegenzugehen scheint. Boston ist aber auch eine hervorragende Industriestadt, für Lederindustrie wohl der erste Platz der Union. Sehr ansehnlich ist die Fabrication von Metallwaaren, Maschinen, Glas, Zucker, Wolle, Baumwolle, Bier. Die Bedürfnisse dieser Industrien Bostons und seiner Hinterländer einerseits, die natürliche Production dieser Hinterländer andererseits spiegeln sich in dem Handel dieser Hafenstadt ab. Als Handelsplatz ist Boston der wichtigste Ort der Neu-Englandstaaten, einer der vier Welthäfen der Union am atlantischen Ocean, der nur von New-York an Bedeutung übertroffen wird und Philadelphia und Baltimore vorangeht. Die geschäftliche Thätigkeit von Boston ist in erster Linie auf das ameri- kanische Binnenland gerichtet; und zwar bildet das Hinterland von Boston nicht allein der Nordosten der Union, sondern auch der reiche Süden von Canada. Für letzteren war Boston bis zur Eröffnung der kürzeren Verbindung zwischen Montreal und St. John (Neubraunschweig) der einzige Winterhafen, über welchen der Ver- kehr lohnend war. Von Südcanada und aus Chicago kommt der grösste Theil des lebenden Rindviehes, das über Boston nach den englischen Häfen Liverpool, London und Glasgow gesendet wird. Die Ausfuhr erreichte 1888 54.115 Stück im Werthe von 4·7 Millionen Dollars, 1887 43.660 Stück, 1886 45.215 Stück. Ueberdies

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/55>, abgerufen am 28.04.2024.