Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
Japanische Häfen.

In unserer, an wunderbare Ueberraschungen, Entdeckungen,
geistige Sprünge gewöhnten, schnelllebigen Zeit, ist wohl kein Land,
kein Volk in seiner geistigen und materiellen Entwicklung rascher
vorgeschritten als Japan. Gegenüber dem Sprunge, mit welchem
dieses hochcivilisirte mongolische und alte Culturvolk sozusagen mit
einem Satze tausend Jahre Culturlebens übersetzt, und aus seinem
ostasiatischen Gedankenkreis mitten in unseren europäischen sich ein-
lebt, hundertjährige Traditionen, Rechte, Gewohnheiten und Gesetze
wegwirft, als wären es alte Kleider, um Alles das durch neue, oft
kaum verstandene europäische Ideen zu ersetzen, gegenüber diesem
culturhistorischen Sprunge, der ohnegleichen in der Weltgeschichte
dasteht, ist die Entwicklung der Union eine langsame, systematische
zu nennen.

Alt- und Neujapan sind zwei ebenso verschiedene Cultur-
epochen, wie dies etwa das XIII. und XIX. Jahrhundert für Eng-
land sind. Denken wir uns, die eisengepanzerten Zeitgenossen König
Johann's ohne Land hätten plötzlich ein Volk mit unserer Bildung
kennen gelernt und über Nacht dessen Cultur zur ihrigen gemacht, wie
würden wir eine solche historische Anomalie anstaunen? Noch wunder-
barer wird dieses thatsächliche uns so märchenhafte Vorgehen der
Japaner aber dadurch, dass sie dreihundert Jahre die Europäer und
deren Cultur wenigstens annähernd kannten, sie aber abwiesen,
sogar verfolgten, um dann inmitten unseres Jahrhunderts plötzlich
dem verhassten Fremden Thür und Thor zu öffnen und eine sociale
Häutung durchzumachen, wie sie kein zweites Volk der Erde auch
nur annähernd durchgemacht hat.

Die folgenden Zeilen mögen dem freundlichen Leser die Haupt-
etapen dieser Entwicklung vor Augen führen.

Drei entlaufene portugiesische Matrosen, welche sich an Bord
eines chinesischen Kauffahrers geflüchtet hatten, kamen auf die Insel

Japanische Häfen.

In unserer, an wunderbare Ueberraschungen, Entdeckungen,
geistige Sprünge gewöhnten, schnelllebigen Zeit, ist wohl kein Land,
kein Volk in seiner geistigen und materiellen Entwicklung rascher
vorgeschritten als Japan. Gegenüber dem Sprunge, mit welchem
dieses hochcivilisirte mongolische und alte Culturvolk sozusagen mit
einem Satze tausend Jahre Culturlebens übersetzt, und aus seinem
ostasiatischen Gedankenkreis mitten in unseren europäischen sich ein-
lebt, hundertjährige Traditionen, Rechte, Gewohnheiten und Gesetze
wegwirft, als wären es alte Kleider, um Alles das durch neue, oft
kaum verstandene europäische Ideen zu ersetzen, gegenüber diesem
culturhistorischen Sprunge, der ohnegleichen in der Weltgeschichte
dasteht, ist die Entwicklung der Union eine langsame, systematische
zu nennen.

Alt- und Neujapan sind zwei ebenso verschiedene Cultur-
epochen, wie dies etwa das XIII. und XIX. Jahrhundert für Eng-
land sind. Denken wir uns, die eisengepanzerten Zeitgenossen König
Johann’s ohne Land hätten plötzlich ein Volk mit unserer Bildung
kennen gelernt und über Nacht dessen Cultur zur ihrigen gemacht, wie
würden wir eine solche historische Anomalie anstaunen? Noch wunder-
barer wird dieses thatsächliche uns so märchenhafte Vorgehen der
Japaner aber dadurch, dass sie dreihundert Jahre die Europäer und
deren Cultur wenigstens annähernd kannten, sie aber abwiesen,
sogar verfolgten, um dann inmitten unseres Jahrhunderts plötzlich
dem verhassten Fremden Thür und Thor zu öffnen und eine sociale
Häutung durchzumachen, wie sie kein zweites Volk der Erde auch
nur annähernd durchgemacht hat.

Die folgenden Zeilen mögen dem freundlichen Leser die Haupt-
etapen dieser Entwicklung vor Augen führen.

Drei entlaufene portugiesische Matrosen, welche sich an Bord
eines chinesischen Kauffahrers geflüchtet hatten, kamen auf die Insel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0357" n="[341]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Japanische Häfen.</hi> </head><lb/>
          <p>In unserer, an wunderbare Ueberraschungen, Entdeckungen,<lb/>
geistige Sprünge gewöhnten, schnelllebigen Zeit, ist wohl kein Land,<lb/>
kein Volk in seiner geistigen und materiellen Entwicklung rascher<lb/>
vorgeschritten als Japan. Gegenüber dem Sprunge, mit welchem<lb/>
dieses hochcivilisirte mongolische und alte Culturvolk sozusagen mit<lb/>
einem Satze tausend Jahre Culturlebens übersetzt, und aus seinem<lb/>
ostasiatischen Gedankenkreis mitten in unseren europäischen sich ein-<lb/>
lebt, hundertjährige Traditionen, Rechte, Gewohnheiten und Gesetze<lb/>
wegwirft, als wären es alte Kleider, um Alles das durch neue, oft<lb/>
kaum verstandene europäische Ideen zu ersetzen, gegenüber diesem<lb/>
culturhistorischen Sprunge, der ohnegleichen in der Weltgeschichte<lb/>
dasteht, ist die Entwicklung der Union eine langsame, systematische<lb/>
zu nennen.</p><lb/>
          <p>Alt- und Neujapan sind zwei ebenso verschiedene Cultur-<lb/>
epochen, wie dies etwa das XIII. und XIX. Jahrhundert für Eng-<lb/>
land sind. Denken wir uns, die eisengepanzerten Zeitgenossen König<lb/>
Johann&#x2019;s ohne Land hätten plötzlich ein Volk mit unserer Bildung<lb/>
kennen gelernt und über Nacht dessen Cultur zur ihrigen gemacht, wie<lb/>
würden wir eine solche historische Anomalie anstaunen? Noch wunder-<lb/>
barer wird dieses thatsächliche uns so märchenhafte Vorgehen der<lb/>
Japaner aber dadurch, dass sie dreihundert Jahre die Europäer und<lb/>
deren Cultur wenigstens annähernd kannten, sie aber abwiesen,<lb/>
sogar verfolgten, um dann inmitten unseres Jahrhunderts plötzlich<lb/>
dem verhassten Fremden Thür und Thor zu öffnen und eine sociale<lb/>
Häutung durchzumachen, wie sie kein zweites Volk der Erde auch<lb/>
nur annähernd durchgemacht hat.</p><lb/>
          <p>Die folgenden Zeilen mögen dem freundlichen Leser die Haupt-<lb/>
etapen dieser Entwicklung vor Augen führen.</p><lb/>
          <p>Drei entlaufene portugiesische Matrosen, welche sich an Bord<lb/>
eines chinesischen Kauffahrers geflüchtet hatten, kamen auf die Insel<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[341]/0357] Japanische Häfen. In unserer, an wunderbare Ueberraschungen, Entdeckungen, geistige Sprünge gewöhnten, schnelllebigen Zeit, ist wohl kein Land, kein Volk in seiner geistigen und materiellen Entwicklung rascher vorgeschritten als Japan. Gegenüber dem Sprunge, mit welchem dieses hochcivilisirte mongolische und alte Culturvolk sozusagen mit einem Satze tausend Jahre Culturlebens übersetzt, und aus seinem ostasiatischen Gedankenkreis mitten in unseren europäischen sich ein- lebt, hundertjährige Traditionen, Rechte, Gewohnheiten und Gesetze wegwirft, als wären es alte Kleider, um Alles das durch neue, oft kaum verstandene europäische Ideen zu ersetzen, gegenüber diesem culturhistorischen Sprunge, der ohnegleichen in der Weltgeschichte dasteht, ist die Entwicklung der Union eine langsame, systematische zu nennen. Alt- und Neujapan sind zwei ebenso verschiedene Cultur- epochen, wie dies etwa das XIII. und XIX. Jahrhundert für Eng- land sind. Denken wir uns, die eisengepanzerten Zeitgenossen König Johann’s ohne Land hätten plötzlich ein Volk mit unserer Bildung kennen gelernt und über Nacht dessen Cultur zur ihrigen gemacht, wie würden wir eine solche historische Anomalie anstaunen? Noch wunder- barer wird dieses thatsächliche uns so märchenhafte Vorgehen der Japaner aber dadurch, dass sie dreihundert Jahre die Europäer und deren Cultur wenigstens annähernd kannten, sie aber abwiesen, sogar verfolgten, um dann inmitten unseres Jahrhunderts plötzlich dem verhassten Fremden Thür und Thor zu öffnen und eine sociale Häutung durchzumachen, wie sie kein zweites Volk der Erde auch nur annähernd durchgemacht hat. Die folgenden Zeilen mögen dem freundlichen Leser die Haupt- etapen dieser Entwicklung vor Augen führen. Drei entlaufene portugiesische Matrosen, welche sich an Bord eines chinesischen Kauffahrers geflüchtet hatten, kamen auf die Insel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/357
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. [341]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/357>, abgerufen am 18.12.2024.